VwGH 2011/05/0092

VwGH2011/05/009213.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie den Hofrat Dr. Enzenhofer und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde 1. des MW und 2. der MW, beide in K und vertreten durch Dr. Martin Hembach, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Herzog Leopold Straße 26/1/7, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 29. April 2011, Zl. RU1-BR-1495/001-2011, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Mag. CG in K, 2. Marktgemeinde K), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO NÖ 1996 §20 Abs1;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauRallg;
AVG §8;
BauO NÖ 1996 §20 Abs1;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 9. Juli 2010 beantragte die erstmitbeteiligte Partei die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den Ausbau eines bestehenden Einfamilienhauses, beinhaltend insbesondere einen 55,53 m2 großen "Bewegungsraum", auf einer näher bezeichneten Liegenschaft in K.

Mit Schreiben vom 25. Juli 2010 brachten die Beschwerdeführer vor, durch den beabsichtigten Zubau würde es zu einer Begrenzung des Lichteinfalls kommen. Die Beschwerdeführer würden dadurch auch einer Lärmbelästigung ausgesetzt sein, weil die erstmitbeteiligte Partei beabsichtige, im geplanten "Bewegungsraum" Pilates und Rhythmikkurse durchzuführen. Die Veranstaltung dieser Kurse würde auch ein erhöhtes Parkplatzproblem verursachen. Weiters machten die Beschwerdeführer Beeinträchtigungen durch die Vornahme der geplanten Bauarbeiten und eine Verminderung des Wertes ihres Grundstücks geltend.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 6. Oktober 2010 erteilte die Bürgermeisterin der mitbeteiligten Marktgemeinde der erstmitbeteiligten Partei mit Bescheid vom 12. Oktober 2010 die baubehördliche Bewilligung für den Ausbau des bestehenden Einfamilienhauses unter Vorschreibung einer Reihe von Auflagen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung verwiesen die Beschwerdeführer im Wesentlichen auf ihr Vorbringen im Schreiben vom 25. Juli 2010 und führten weiters aus, dass die geplante Erweiterung des Gebäudes der erstmitbeteiligten Partei beabsichtigt sei, um die Nutzung als Pilatesstudio und Rhythmikstunden mit Musikuntermalung durchzuführen. Durch die damit verbundene Besucherfrequenz sowie durch die Tätigkeit selbst sei mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen und Lärmbelästigungen zu rechnen. Es sei davon auszugehen, dass eine gewerbliche Tätigkeit vorliege, sodass ein gewerberechtliches Verfahren einzuhalten gewesen wäre. Die Widmung des Gebäudes sei für die von der erstmitbeteiligten Partei beabsichtigte betriebliche Nutzung nicht gegeben.

Mit Bescheid vom 31. Jänner 2011 gab der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Marktgemeinde der Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei den befürchteten Beeinträchtigungen durch die Bauarbeiten und einer allfälligen Wertminderung der eigenen Liegenschaft nicht um subjektiv-öffentliche, sondern um privatrechtliche Einwendungen handle. Weiters ergebe sich aus dem Akteninhalt, dass der Lichteinfall unter 45 Grad für die Hauptfenster der Beschwerdeführer eingehalten sei, und in der Verhandlungsschrift sei auf die eingereichten zwei Stellplätze im Innenhof der Liegenschaft der erstmitbeteiligten Partei hingewiesen worden. Die Einwendungen betreffend Lärmbelästigung und Erhöhung der Verkehrsfrequenz seien von den Beschwerdeführern in der Bauverhandlung nicht mehr erhoben worden, weshalb diese insoweit ihre Parteistellung verloren hätten. Ungeachtet dessen könne die Teilnahme von ca. 20 Personen an Kursen auf der Liegenschaft der erstmitbeteiligten Partei keinesfalls eine das ortsübliche Ausmaß überschreitende Lärmbelästigung durch das verstärkte Verkehrsaufkommen darstellen. Im Hinblick auf die Widmung des Baugrundstücks mit "Bauland-Agrargebiet" und unter Hinweis auf § 48 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 (BO) liege keine unrechtmäßige zu erwartende Immissionsbelastung oder erhöhte unzumutbare Verkehrsfrequenz vor. Dazu werde auch auf den auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen Heurigenbetrieb verwiesen. Weiters verwies der Gemeindevorstand auf eine von der Bezirkshauptmannschaft B (im Folgenden: BH) Gewerbebehörde mit Schreiben vom 18. November 2010 erstattete Rechtsansicht, wonach die Gewerbeordnung auf die Ausübung des Privatunterrichtes gemäß § 2 Z 12 leg. cit. nicht anzuwenden sei, und wonach ein derartiger Gewerbewortlaut (Pilates oder Rhythmikstunden mit Musikuntermalung) auch nicht in der Liste der freien Gewerbe aufscheine. Damit könne auch hinsichtlich eines "Studios" zur Ausübung dieser Tätigkeiten keine gewerbliche Betriebsanlage vorliegen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführer als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der anzuwendenden Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführer hinsichtlich der von ihnen erhobenen Einwendungen betreffend die Lärmbelästigung und die Erhöhung der Verkehrsfrequenz - entgegen der Rechtsansicht des Gemeindevorstandes - zwar nicht die Parteistellung verloren hätten, weil der in der Ladung zur Bauverhandlung enthaltene Hinweis auf den Verlust der Parteistellung für eine Präklusion iSd

§ 42 Abs. 1 AVG nicht ausreichend gewesen sei. Allerdings stelle die Verschlechterung der Verkehrssituation kein Nachbarrecht iSd

§ 6 Abs. 2 BO dar und seien jene Immissionen, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß ergäben, von den Nachbarrechten ausgenommen. Bei der Tätigkeit "Rhythmik und Pilates" handle es sich um einen häuslichen Privatunterricht, der mit der Benutzung zu Wohnzwecken vereinbar sei. Da die Kurse auch nicht zur Nachtzeit stattfänden, seien diese Emissionen, die sich aus der Benützung der Wohngebäude ergäben, vom Nachbarn hinzunehmen und könnten im Bauverfahren nicht eingewendet werden. Der gegenständliche Hausunterricht widerspreche auch nicht der vorhandenen Flächenwidmung Bauland Agrargebiet. Ob eine bestimmte Tätigkeit der Gewerbeordnung unterliege, sei nicht von der Baubehörde, sondern von der Gewerbebehörde zu beurteilen, welche die gegenständliche Tätigkeit als Ausübung des Privatunterrichts gemäß § 2 Z 12 Gewerbeordnung qualifiziert habe, auf welche die Gewerbeordnung nicht anzuwenden sei. Zudem scheine ein derartiger Gewerbewortlaut in der Liste der freien Gewerbe nicht auf. Es sei daher davon auszugehen, dass die gegenständlichen Tätigkeiten keine gewerblichen Tätigkeiten darstellten und damit auch keine Betriebsanlagenbewilligungspflicht für das Studio bestünde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, der Verwaltungsgerichtshof wolle ihn "im antragsabweisenden Sinn abändern", in eventu wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben "bzw, für nichtig erklären und an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Entscheidung zurückverweisen".

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem "Recht auf ein derartiges gesetzmäßiges Verfahren" verletzt, und bringen dazu vor, dass bei der Bewilligung auch auf die für Gewerbebetriebe geltenden Genehmigungsvorschriften Bedacht zu nehmen sei. Die BH habe als Gewerbebehörde die verfehlte Rechtsansicht vertreten, dass keine gewerbliche Tätigkeit vorliege und daher auch keine Betriebsanlagengenehmigungspflicht gegeben sei. Es sei zutreffend, dass die Frage der gewerblichen Tätigkeit keine Frage sei, die von der Baubehörde zu beantworten sei. Als Beschwerdegründe macht die Beschwerde geltend, die Beschwerdeführer hätten bereits darauf hingewiesen, dass sich ihre eigene als auch die Liegenschaft der erstmitbeteiligten Partei im Bauland Agrargebiet befänden. Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Auffassung, dass die geplante Nutzung nicht im Widerspruch zur Widmung stünde, möge aus baurechtlicher Sicht ausreichend sein, nicht aber in Anbetracht des von der Bewilligungswerberin geplanten Betriebes. Die belangte Behörde habe es auf Grund der Aussage der Gewerbeabteilung der BH unterlassen, die angestrebte Tätigkeit der Bewilligungswerberin in gewerberechtlicher Sicht zu beurteilen und daher keine Überprüfung im Hinblick auf eine Betriebsanlagenbewilligungspflicht, sondern lediglich die Prüfung auf Entsprechung der geltenden baurechtlichen Vorschriften vorgenommen.

2.1. Das aufsichtsbehördliche Vorstellungsverfahren (vgl. hiezu insbesondere § 61 NÖ Gemeindeordnung 1973) dient ebenso wie die Bescheidbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Artikel 131 Abs. 1 Z 1 B-VG der Prüfung der Frage, ob subjektive Rechte des Vorstellungswerbers bzw. Beschwerdeführers verletzt wurden. Nicht jede objektive Rechtswidrigkeit eines vor der Aufsichtsbehörde bzw. dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheides führt daher zu dessen Aufhebung, vielmehr tritt diese Rechtsfolge nur im Falle der Verletzung von subjektiven Rechten des Vorstellungswerbers bzw. des Beschwerdeführers ein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2011, Zl. 2009/05/0220, mwN).

2.2. Gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 BO haben in Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 32, § 33 Abs. 2, § 34 Abs. 2 und § 35 die Eigentümer der Baugrundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z.B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind, Parteistellung (Nachbarn). Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektivöffentlichen Rechten berührt sind.

§ 6 Abs. 2 BO hat folgenden Wortlaut:

"(2) Subjektiv-öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8220, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4) sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben,

gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, den Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässigen Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen."

2.3. Aus der dargestellten Rechtslage folgt, dass das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt ist: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat. Daraus folgt, dass die Prüfungsbefugnisse der Berufungsbehörde sowie der Aufsichtsbehörde und auch der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts im Falle des Rechtsmittels einer Partei des Verwaltungsverfahrens mit beschränktem Mitspracherecht, wie dies auf Nachbarn nach der BO im Baubewilligungsverfahren zutrifft, auf jene Fragen beschränkt ist, hinsichtlich derer dieses Mitspracherecht als subjektivöffentliches Recht besteht und soweit rechtzeitig im Verfahren derartige Einwendungen erhoben wurden. Die Beschwerdeführer können durch die von der Berufungsbehörde erteilte Baubewilligung nur dann in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein, wenn ihre öffentlich-rechtlichen Einwendungen von den Baubehörden in rechtswidriger Weise nicht berücksichtigt worden sind (vgl. dazu auch das schon zitierte Erkenntnis vom 25. Februar 2011).

3. Die Beschwerde tritt den im angefochtenen Bescheid ergangenen Ausführungen der belangten Behörde zu den von den Beschwerdeführern im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Einwendungen mit keinem Wort entgegen, sondern wendet sich ausschließlich gegen den Umstand, dass in Bezug auf die von der erstmitbeteiligten Partei geplante Durchführung von Pilates- und Rhythmikstunden - ihrer Ansicht nach zu Unrecht - kein Betriebsanlagengenehmigungsverfahren durchgeführt worden sei.

Mit diesem Vorbringen wird jedoch kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht geltend gemacht. Die im Katalog des § 6 Abs. 2 BO enthaltene Aufzählung der subjektiv-öffentlichen Rechte der Nachbarn ist taxativ (vgl. § 6 Abs. 1 letzter Satz leg. cit) und ein Recht auf Durchführung eines Genehmigungsverfahrens nach gewerberechtlichen Vorschriften findet sich darin nicht. Soweit in der Beschwerde offenbar die Ansicht vertreten wird, die Baubehörde hätte wegen der vermeintlich gewerbebehördlichen Genehmigungspflicht bei Bewilligung des gegenständlichen Bauvorhabens auch die Bestimmungen der Gewerbeordnung anzuwenden und zu beachten gehabt, ist ihr entgegen zu halten, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für die Durchführung eines derart konzentrierten Genehmigungsverfahrens fehlt. Vielmehr ergibt sich aus § 20 Abs. 1 letzter Satz BO in solchen Fällen das Erfordernis einer (gesonderten) Genehmigung durch die Gewerbebehörde sowie eine Einschränkung der Prüfungsbefugnis der Baubehörde (vgl. zur Abgrenzung der Zuständigkeiten der Baubehörde und der Gewerbebehörde insbesondere in Bezug auf die zu wahrenden Nachbarrechte etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 2008, Zl. 2007/05/0054, und vom 16. September 2009, Zl. 2008/05/0038, jeweils mwN).

Da den Beschwerdeführern kein subjektiv-öffentliches Recht auf Durchführung eines gewerbebehördlichen Verfahrens bzw. auf Anwendung der gewerberechtlichen Genehmigungsvorschriften durch die Baubehörde zukommt, liegt die behauptete Rechtsverletzung nicht vor.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 13. Dezember 2011

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