VwGH 2010/21/0377

VwGH2010/21/037719.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des J, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 26. Juli 2010, Zl. E 1/196/2010, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am 10. November 2004 illegal nach Österreich ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Dieser Antrag wurde erstinstanzlich am 5. April 2005, zweitinstanzlich am 29. Oktober 2008 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen. Zugleich wurde gemäß § 8 leg. cit. festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei und es wurde der Beschwerdeführer nach Nigeria ausgewiesen. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung einer in dieser Angelegenheit erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 30. Jänner 2009, U 967/08-3, ab.

Der Beschwerdeführer verblieb im Bundesgebiet. Laut eigenen Angaben (gegenüber der Psychologin Mag. O.) war er im Jahr 2007 mit der aus der Dominikanischen Republik stammenden, mittlerweile österreichischen Staatsbürgerin K. eine Lebensgemeinschaft eingegangen. Er lebt gemeinsam mit K., deren 2005 geborenen Sohn J. und der gemeinsamen, am 7. Februar 2009 geborenen Tochter B., einer österreichischen Staatsbürgerin.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 sowie § 66 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend stützte sie sich darauf, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 15. September 2009 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG und des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten (davon 8 Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden sei. Er habe in Graz vorschriftswidrig zwischen Mitte Mai 2008 und seiner Festnahme am 5. August 2009 in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge vier namentlich genannten sowie weiteren unbekannt gebliebenen Abnehmern zumindest 835 g Cannabiskraut verkauft. Im Zeitraum vom November 2004 bis zu seiner Festnahme am 5. August 2009 habe er darüber hinaus unbekannte Mengen Cannabiskraut erworben und konsumiert bzw. sonst besessen. (Der unbedingt verhängte Teil der Freiheitsstrafe wurde bis zum 5. Dezember 2009 vollzogen.)

Auf Grund dieser Freiheitstrafe und des ihr zu Grunde liegenden gravierenden Fehlverhaltens seien sowohl die Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z. 1 (zweiter Fall) FPG erfüllt als auch die Annahme nach § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertigt, der Aufenthalt des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit und laufe im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider. Es bestehe nämlich ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität sowohl unter dem Blickwinkel des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit als auch zum Schutz der Gesundheit anderer Personen. Da das über einen langen Deliktszeitraum hinweg ausgeübte Verbrechen des Suchtgifthandels geeignet sei, die Volksgesundheit nachhaltig zu gefährden, werde von der Möglichkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Gebrauch gemacht.

Zur Interessenabwägung nach § 66 FPG führte die belangte Behörde aus, eine berufliche Integration des (vorübergehend mit dem Verteilen und Zustellen von Zeitungen tätig gewesenen) Beschwerdeführers sei nur in Ansätzen, jedoch nicht in einem derart berücksichtigungswürdigen Ausmaß erkennbar, dass deshalb eine abweichende Entscheidung geboten wäre. Im Übrigen seien dem Beschwerdeführer zwar familiäre Kontakte zu seiner österreichischen Lebensgefährtin K., deren (von ihm betreuten) Sohn J. und der gemeinsamen Tochter B. zuzubilligen. Der Beschwerdeführer habe auch "mit 29.06.2010 eine klinischpsychologische Stellungnahme" (der Psychologin Mag. O.) vorgelegt, worin ausgeführt werde, dass eine "förderliche und zugewandte Vater-Tochter-Beziehung bzw. Stief/Zieh-Sohn-Beziehung bestehe". Die Beziehung der beiden genannten Kinder zu ihrem (Stief-)Vater sei - so die Stellungnahme - als überaus wichtig für deren weitere sozial-emotionale Entwicklung zu bewerten. Ein plötzlicher Verlust der Beziehung würde eine radikale Veränderung des innerfamiliären Beziehungssystems bedeuten, in dem der Vater als ein "drittes Objekt" (neben der Mutter und dem Kind) eine entwicklungspsychologisch entscheidende Funktion für das Gelingen des Loslösungs- und Integrationsprozesses des Kindes habe. Über diese Gefährdung der weiteren sozial-emotionalen Entwicklung hinaus bestehe durch den plötzlichen Verlust des Vaters die potenzielle Gefahr einer Traumatisierung und Entwicklung von Verhaltensstörungen. Damit sei davon auszugehen, dass durch eine Trennung vom Vater bzw. Stiefvater in beiden Fällen eine Gefährdung des Kindeswohls möglich sei.

Dem hielt die belangte Behörde allerdings entgegen, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Begehung des dargestellten Verbrechens nach dem SMG keine Vorbildfunktion für die genannten Kinder habe, und dass sein geringes Verantwortungsgefühl keinesfalls zum Wohle seiner Familie diene. Kontakte zu deren Mitgliedern könnten durch Besuche im Ausland aufrechterhalten werden. Außerdem sei auch von dort aus eine Erfüllung der Unterhaltspflicht für seine Tochter möglich.

Das vom Beschwerdeführer gesetzte Gesamtverhalten lasse sein Charakterbild als äußerst ungünstig erscheinen. Auch sei die Suchtmittelkriminalität von besonders hoher Wiederholungsgefahr gekennzeichnet. Insgesamt müsse daher den öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet der Vorrang eingeräumt werden. Die Integration des Beschwerdeführers habe in ihrer sozialen Komponente auf Grund des gravierenden Fehlverhaltens eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren.

Auch eine Übung des der Behörde eingeräumten Ermessens zu Gunsten des Beschwerdeführers sei unter Berücksichtigung des Gewichtes der Störung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit ausgeschlossen. Das Aufenthaltsverbot sei unter Bedachtnahme auf § 63 Abs. 1 und 2 FPG auf unbestimmte Dauer zu verhängen, weil angesichts des massiven Fehlverhaltens auch unter Berücksichtigung der privaten und familiären Situation des Beschwerdeführers der Zeitraum nicht vorhergesehen werden könne, innerhalb dessen ein allfälliger positiver Gesinnungswandel zu den österreichischen Rechtsvorschriften zu erwarten sei.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Angesichts der unbestrittenen Verurteilung des Beschwerdeführers kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 zweiter Fall FPG verwirklicht ist. Im Hinblick auf das dieser Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten kann auch der Auffassung der belangten Behörde, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden. Zu Recht wies die belangte Behörde auf die besondere Gefährlichkeit und die hohe Rückfallsneigung der Suchtgiftkriminalität hin, wobei sich die Wiederholungsgefahr im vorliegenden Zusammenhang schon dadurch manifestierte, dass der Beschwerdeführer sein Fehlverhalten über einen längeren Zeitraum hinweg begangen hatte und dieses erst durch seine Festnahme beendet wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. September 2009, Zl. 2009/18/0317).

Bei der gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG (idF der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) vorzunehmenden Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK sind insbesondere folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

1. Die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

    Die belangte Behörde ging bei ihrer Abwägung davon aus, dass mit dem gegenständlichen Aufenthaltsverbot ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei. Dabei berücksichtigte sie insbesondere den Aufenthalt im Bundesgebiet seit November 2004, die (in geringem Umfang und vorübergehend, also nicht nachhaltig ausgeübte) Berufstätigkeit sowie das Familienleben mit der österreichischen Lebensgefährtin K., deren Sohn J. und der gemeinsamen Tochter B., wobei allerdings das Familienleben erst in einem Zeitpunkt begründet worden war, als sich der Beschwerdeführer - nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages - der Unsicherheit seines künftigen Aufenthaltes im Bundesgebiet bewusst sein musste. Wenn die belangte Behörde dessen ungeachtet zum Ergebnis gelangte, dass der mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (insbesondere zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Gesundheit anderer Personen) dringend geboten sei, so begegnet dies angesichts des gravierenden und über einen langen Zeitraum fortgesetzten Verbrechens des Beschwerdeführers keinen Bedenken. Dieser hat sich nämlich weder durch die Lebensgefährtin oder deren Sohn noch durch die Geburt der gemeinsamen Tochter (am 7. Februar 2009) von einer Fortsetzung wiederholter Verkäufe von Suchtgift (bis zu seiner Verhaftung im August 2009) abhalten lassen. Die möglichen nachteiligen Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Situation des Beschwerdeführers einerseits und auf die seiner Lebensgefährtin und der genannten Kinder andererseits müssen angesichts der vom Beschwerdeführer ausgehenden hohen Gefährlichkeit hingenommen werden.

    Die Beschwerde hält der belangten Behörde entgegen, sie habe (insbesondere) zu den dargestellten Familienverhältnissen keine konkreten Feststellungen getroffen, weiters, dass jegliche Interessenabwägung fehle, kein Ermessen geübt und das vorgelegte psychologische Gutachten der Mag. O. gänzlich unberücksichtigt gelassen worden sei. Diese Beschwerdevorwürfe stehen allerdings mit der dargestellten Begründung des angefochtenen Bescheides nicht im Einklang. Insofern entfernt sich die Beschwerde, die selbst keine weiteren Gesichtspunkte einer nachhaltigen Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufzeigt, daher vom Inhalt des bekämpften Bescheides, weshalb sie dem Beschwerdeführer nicht zum Erfolg verhelfen kann.

    Soweit der Beschwerdeführer auf seine Absicht verweist, die Lebensgefährtin K. zu heiraten, brauchte die belangte Behörde hierauf als bloß ungewisse, in der Zukunft liegende Möglichkeit nicht Bedacht zu nehmen.

    Auch das bisherige Wohlverhalten des Beschwerdeführers nach der Entlassung aus der Strafhaft (am 5. Dezember 2009) kann nicht zu einer für ihn günstigeren Beurteilung führen, ist der bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides (am 29. Juli 2010) verstrichene Zeitraum doch bei weitem zu kurz, um einen verlässlichen Rückschluss auf einen Gesinnungswandel zuzulassen.

    Schließlich rügt die Beschwerde als Mangelhaftigkeit des Verfahrens, dass die belangte Behörde eine (ergänzende) Befragung des Beschwerdeführers sowie eine Einvernahme seiner Lebensgefährtin K. unterlassen habe. Dabei wird jedoch nicht dargelegt, welche konkreten - über die bereits erwiesenen Umstände hinausgehenden - Feststellungen diese ergänzenden Beweisaufnahmen ermöglicht hätten, sodass eine Relevanz für den Ausgang des Verfahrens nicht ersichtlich ist.

    Insgesamt erweist sich die Beschwerde daher als unbegründet, sodass sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

    Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

    Wien, am 19. Mai 2011

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