VwGH 2010/08/0153

VwGH2010/08/015316.2.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des Finanzamtes S in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 20. Mai 2010, Zl. Senat-GF-09-2094, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: MF in W, vertreten durch Brandstetter, Pritz & Partner Rechtsanwälte KG in 1010 Wien, Herrengasse 5; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §111;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §33 Abs2;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §4 Abs4;
ASVG §7 Z3 lita;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
ASVG §111;
ASVG §33 Abs1;
ASVG §33 Abs2;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs2;
ASVG §4 Abs4;
ASVG §7 Z3 lita;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft G vom 11. November 2009 wurde der Mitbeteiligte wie folgt bestraft:

"Sie haben es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Firma T. GmbH ..., welche zum angeführten Tatzeitpunkt Arbeitgeberin von

1. Herrn V. V (Beschäftigung: am 08.07.2008 Anreise nach P am 09.07.2008 in P, am 10.07.2008 in W, jeweils acht bis neun Stunden täglich, Entlohnung: 150,-- Euro pauschal netto pro Tag, d. s. 1.350,-- Euro zahlbar nach der Tour laut Beauftragungsvertrag),

2. Herrn S. D (Beschäftigung: am 08.07.2008 Anreise nach P, am 09.07.2008 in P, am 10.07.2008 in W, jeweils acht bis neun Stunden täglich, Entlohnung: 150,-- Euro pauschal netto pro Tag, d. s. 1.350,-- Euro zahlbar nach der tour laut Beauftragungsvertrag)

zu verantworten, dass durch die Firma T. GmbH die zwei angeführten Arbeiter am 10.07.2008 gegen 06.40 Uhr mit dem Aufbau eines Zeltes (Podium Aufbau) für die Firma T. GmbH, ... vor der Hauptschule I, beschäftigt wurde und diese zumindest für den Beschäftigungszeitraum am 10.07.2008 nicht zur Sozialversicherung gemeldet wurden, obwohl die Dienstgeber gem. § 33 ASVG 1955 i.d.g.F. jeden von ihnen Beschäftigten, nach diesem Bundesgesetz in der Krankenversicherung Pflichtversicherten (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsantritt unverzüglich beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden und binnen sieben Tagen nach dem Ende der Pflichtversicherung abzumelden haben. Die An- sowie Abmeldung des Dienstgebers wirkt auch für den Bereich der Unfall- und Pensionsversicherung, soweit der Beschäftigte in diesen Versicherungen pflichtversichert ist.

Übertretungsnorm: 1. + 2. § 33 Abs. 1 iVm. § 111 ASVG

Strafnorm und verhängte Geldstrafe: 1. + 2. § 111 ASVG, jeweils EUR 730,-- EUR 1.460,--

Ersatzfreiheitsstrafe: 1. + 2. 96 Stunden, insgesamt 192 Stunden Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes zu

zahlen:

1. + 2. je EUR 73,-- EUR 146,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, d.s. 10 % der Strafe

Der zu zahlende Gesamtbetrag beträgt daher EUR 1.606,--"

Der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Berufung hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid Folge gegeben, das erstinstanzliche Straferkenntnis aufgehoben und gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG die Einstellung des Strafverfahrens verfügt.

Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 44a Z. 1 VStG habe der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Diese müsse so eindeutig umschrieben sein, dass kein Zweifel darüber bestehe, wofür der Täter bestraft werde. Nur dann sei Gewähr dafür geleistet, dass der Beschuldigte in die Lage versetzt werde, entsprechende Beweisanbote zu seiner Entlastung vorzubringen, und dass die Gefahr einer Doppelbestrafung ausgeschlossen sei.

Tatbildlich iSd § 33 Abs. 1 ASVG handle ein Arbeitgeber bei Bestehen einer Pflichtversicherung in der Krankenversicherung des von ihm beschäftigten Dienstnehmers. Die Meldepflicht bestehe daher hinsichtlich der Personen, die in der Krankenversicherung nach dem ASVG pflichtversichert seien. Dies bedeute im Hinblick auf die Konkretisierung des Tatgeschehens die Notwendigkeit der Umschreibung dahin gehend, dass die konkret beschäftigten Personen in der Krankenversicherung pflichtversichert waren. Weder die (bloße) Beschreibung, dass die Personen (zu einem näher bezeichneten Zeitpunkt) vom Dienstgeber beschäftigt worden seien, noch der Hinweis auf den Gesetzeswortlaut, der diese Umstände erfordere, könnten die Feststellung, dass die konkreten Dienstnehmer in der Krankenversicherung pflichtversichert gewesen seien, ersetzen. Allein aus diesem Grund sei die Tatanlastung im Hinblick auf die Erfordernisse des § 44a Z. 1 VStG als nicht hinreichend anzusehen. Schon aus diesem Grund sei das bekämpfte Straferkenntnis zu beheben, zumal eine entsprechend ausreichend formulierte Verfolgungshandlung innerhalb der Strafverfolgungsverjährungsfrist nie vorgenommen worden und somit auch eine Berichtigung des Straferkenntnisses durch die Berufungsbehörde unzulässig sei.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie der Mitbeteiligte - eine Gegenschrift, in welcher sie die Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Mitbeteiligte beantragt ferner die Zurückweisung der Beschwerde als verspätet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Die Beschwerde ist laut Eingangsstempel des Verwaltungsgerichtshofes am 15. Juli 2010 auf postalischem Weg eingelangt. Der auf dem Briefumschlag angebrachte Barcode, aus dem sich das Postaufgabedatum ermitteln lässt (vgl. § 62 Abs. 1 VwGG iVm § 33 Abs. 3 letzter Satz AVG), bestätigt die Übergabe der Beschwerde an die Österreichische Post AG zur Weiterbeförderung. Gemäß "Vereinbarung Zuführung/Abholung" der Österreichischen Post AG mit der beschwerdeführenden Partei vom 16. Juni 2009 erfolgt die Zuführung und gleichzeitige Abholung an den Abgabestellen in S und in W von Montag bis Freitag zwischen 7h und 8h30. In Anbetracht des Einlangens beim Verwaltungsgerichtshof am 15. Juli 2010 ist die gegenständliche Sendung spätestens am 14. Juli 2010 an einer der genannten Abgabestellen an die Österreichische Post AG zur Weiterbeförderung übergeben worden.

Der angefochtene Bescheid wurde der beschwerdeführenden Partei am 2. Juni 2010 zugestellt. Die sechswöchige Beschwerdefrist (§ 26 Abs. 1 VwGG) endet am 14. Juli 2010. Gemäß § 62 Abs. 1 VwGG iVm § 33 Abs. 3 erster Satz AVG sind die Tage des Postenlaufes nicht in die Frist einzurechnen. Die Beschwerde ist daher rechtzeitig.

2. Gemäß § 33 Abs. 1 ASVG haben die Dienstgeber jede von ihnen beschäftigte, nach diesem Bundesgesetz in der Krankenversicherung pflichtversicherte Person (Vollversicherte und Teilversicherte) vor Arbeitsbeginn beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden, wobei diese Anmeldeverpflichtung auch in zwei Schritten erfüllt werden kann (§ 33 Abs. 1a ASVG).

Für die nur in der Unfall- und Pensionsversicherung sowie für die nur in der Unfallversicherung nach § 7 Z 3 lit. a ASVG Pflichtversicherten gilt § 33 Abs. 1 ASVG mit der Maßgabe, dass die Meldungen beim Träger der Krankenversicherung, der beim Bestehen einer Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz für sie sachlich und örtlich zuständig wäre, zu erstatten sind (§ 33 Abs. 2 ASVG).

Nach § 111 ASVG begehen Dienstgeber, im Falle einer Bevollmächtigung nach § 35 Abs. 3 ASVG die Bevollmächtigten, die der ihnen auf Grund dieses Bundesgesetzes obliegenden Verpflichtung (u.a.) zur Erstattung von Meldungen und Anzeigen nicht oder nicht rechtzeitig nachkommen, eine Verwaltungsübertretung und werden von der Bezirksverwaltungsbehörde in einer näher genannten Weise bestraft.

3. Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2 und 3 VStG) vorgenommen worden ist.

Verfolgungshandlung ist jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat (§ 32 Abs. 2 VStG).

Eine Verfolgungshandlung, die gegen einen zur Vertretung nach außen Berufenen (§ 9 Abs. 1 VStG) gerichtet ist, gilt auch als Verfolgungshandlung gegen die anderen zur Vertretung nach außen Berufenen und die verantwortlichen Beauftragten. Eine Verfolgungshandlung, die gegen den Unternehmer (§ 9 Abs. 3 VStG) gerichtet ist, gilt auch als Verfolgungshandlung gegen die verantwortlichen Beauftragten (§ 32 Abs. 3 VStG). Der Verfolgungshandlung muss entnommen werden können, wegen welcher Tat sich die Verfolgung der Behörde gegen die beschuldigte Person richtet.

Im Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, VwSlg. 11.894/A, wurde in Ansehung der Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a lit. a (nunmehr § 44a Z 1) VStG ausgeführt, dass dieser Bestimmung dann entsprochen werde, wenn a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren und gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten (Bestraften) rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Das an die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat zu stellende Erfordernis wird nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach den jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den erwähnten Rechtsschutzüberlegungen zu messendes, sein. Diese Rechtsschutzüberlegungen sind auch bei der Prüfung der Frage anzustellen, ob eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG vorliegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2010, Zl. 2009/08/0262, mwN).

Die Tatbilder des § 111 ASVG iVm § 33 Abs. 1 ASVG (Bestehen einer Krankenversicherung im Rahmen einer Vollversicherung oder einer Teilversicherung) einerseits und jenes des § 111 ASVG iVm § 33 Abs. 2 ASVG (Nichtbestehen einer Krankenversicherung, aber Bestehen einer Teilversicherung entweder in der Unfallversicherung als geringfügig entlohnter Dienstnehmer oder in der Unfall- und Pensionsversicherung) andererseits können - bezogen auf Beschäftigungsverhältnisse im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 oder § 4 Abs. 4 ASVG sowie auf einen konkreten Arbeitnehmer und eine konkrete Tatzeit - nicht nebeneinander verwirklicht werden, sondern nur alternativ, wobei das Tatbestandselement des Vorliegens einer Teilversicherung nur in der Unfallversicherung gemäß § 7 Z. 3 lit. a ASVG umfänglich enger ist, als jenes der Vollversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung, die nach § 33 Abs. 1 und 2 ASVG zu melden ist. Eine Bestrafung wegen einer Übertretung des § 33 Abs. 1 und 2 ASVG kommt - bei ansonsten identen Tatumständen hinsichtlich Personen, Zeit und Ort und im Falle von Beschäftigten nach § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 oder nach § 4 Abs. 4 ASVG - daher nur dann in Betracht, wenn eine Bestrafung allein wegen Übertretung des § 33 Abs. 1 ASVG ausscheidet. Eine auch nur versehentliche Doppelbestrafung ist insoweit - bei ansonsten gegebenem Sachverhalt - auszuschließen.

Bei Beschäftigten im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 (und bei jenen iS des § 4 Abs. 4 ASVG) ist es daher unter dem Gesichtspunkt der Zwecke des Rechtsschutzes nach dem Erkenntnis des verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Slg. Nr. 11.894/A, zur Vermeidung von Doppelbestrafungen und zur eindeutigen Klärung der vorgeworfenen Tat zwar erforderlich, schon in der Aufforderung zur Rechtfertigung, aber auch im Straferkenntnis die Namen der nicht gemeldeten Dienstnehmer sowie den Tatort und -zeitpunkt präzise zu nennen; es reicht im Übrigen aber aus, den Tatverdacht auf § 111 ASVG iVm § 33 Abs. 1 ASVG zu stützen, da diese Bestimmung kraft der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 33 Abs. 2 ASVG auch für geringfügig Beschäftigte gilt und sich das Tatbild insoweit nicht unterscheidet. Es kann daher in solchen Fällen § 33 Abs. 2 ASVG jederzeit im Verfahren dann zusätzlich zu § 33 Abs. 1 ASVG als Grundlage einer Bestrafung herangezogen werden, wenn zwar eine meldepflichtige Beschäftigung im Sinne des § 4 Abs. 2 Z. 1 iVm Abs. 2 ASVG oder im Sinne des § 4 Abs. 4 ASVG feststeht, eine Bestrafung wegen Übertretung allein des § 33 Abs. 1 ASVG aber mangels Erweislichkeit einer Vollversicherung nicht in Betracht kommt (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2009/08/0262).

In der im Akt erliegenden Aufforderung zur Rechtfertigung wurden die zwei verfahrensgegenständlichen Dienstnehmer mit Vor- und Zunamen, sowie mit Zeit und Ort der Aufnahme der meldepflichtigen Beschäftigung genannt und auf die verletzte Rechtsvorschrift des § 33 Abs. 1 ASVG hingewiesen. Es lag somit innerhalb der Frist für die Verfolgungsverjährung (§ 111 Abs. 3 ASVG; vgl. 77 BlgNR 23. GP, 4 f; 110 BlgNR 23. GP, 13) eine wirksame Verfolgungshandlung betreffend die vorgeworfene Tat des § 33 Abs. 1 ASVG vor. Dieser Tatvorwurf würde auch den Vorwurf eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 2 ASVG umfassen. Im Straferkenntnis sind nachprüfbare Feststellungen dazu zu treffen, in welchem Umfang Arbeitsverpflichtungen bestanden und ob sohin - bezogen auf die einzelnen betroffenen Arbeitnehmer - eine Meldepflicht nach § 33 Abs. 1 oder nach § 33 Abs. 2 ASVG bestand. Derartige Feststellungen könnten auch im Verfahren zweiter Instanz nachgeholt werden.

4. Da die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens wegen eingetretener Verfolgungsverjährung somit nicht der Rechtslage entspricht, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz an die obsiegende Partei kommt nicht in Betracht (§ 47 Abs. 4 VwGG).

Wien, am 16. Februar 2011

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