VwGH 2009/21/0326

VwGH2009/21/032617.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des H, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 23. September 2009, Zl. Sich40-42951, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §3 Abs1;
NAG 2005 §3 Abs2 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §3 Abs1;
NAG 2005 §3 Abs2 idF 2009/I/029;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/029;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 7. Mai 2002 nach Österreich gekommene, damals vierzigjährige Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am selben Tag einen Asylantrag, der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 4. Dezember 2008 im Instanzenzug rechtskräftig abgewiesen wurde. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde (nach der Aktenlage) mit Beschluss vom 29. Jänner 2009 abgelehnt. Während des Asylverfahrens verfügte der Beschwerdeführer über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung.

In der Folge stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) idF BGBl. I Nr. 29/2009, der mit dem angefochtenen, im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich erlassenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (der belangten Behörde) vom 23. September 2009 abgewiesen wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

Vorauszuschicken ist zunächst, dass die vorliegende Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges zulässig ist, weil nach § 3 Abs. 2 zweiter Satz NAG gegen Entscheidungen über Anträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 NAG eine Berufung nicht zulässig ist.

Weiters ist vorweg zu dem in der Beschwerde vorgetragenen Einwand der Unzuständigkeit des Landeshauptmannes, in dessen Namen die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid erlassen hat, auf § 3 Abs. 1 erster Satz NAG zu verweisen, wonach "Behörde nach diesem Bundesgesetz" der örtlich zuständige Landeshauptmann ist. Der Landeshauptmann ist daher auch dafür zuständig, über Anträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 NAG zu entscheiden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, Zl. 2009/22/0219). Nach dem zweiten Satz des § 3 Abs. 1 NAG kann der Landeshauptmann im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit oder Sparsamkeit der Verwaltung die Bezirksverwaltungsbehörden mit Verordnung ermächtigen, alle oder bestimmte Fälle in seinem Namen zu entscheiden. Von dieser Ermächtigung wurde mit der Verordnung des Landeshauptmannes von Oberösterreich über die Ermächtigung der Bezirksverwaltungsbehörden zur Entscheidung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, LGBl. Nr. 127/2005, in Bezug auf "alle in die Zuständigkeit des Landeshauptmanns fallenden niederlassungs- und aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen" Gebrauch gemacht. Die belangte Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat daher über den gegenständlichen Antrag zu Recht "im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich" entschieden. Dass dabei als Rechtsgrundlage für die erwähnte Entscheidungsermächtigung (offenbar irrtümlich) die Verordnung LGBl. Nr. 47/1993 genannt wurde, führt aber für sich genommen noch nicht zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides.

Der gegenständliche Antrag stützt sich auf § 44 Abs. 4 NAG, der in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 (auszugsweise) lautet:

"Niederlassungsbewilligung - beschränkt

§ 44.

(4) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und

2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.

Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der Deutschen Sprache, zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. ..."

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid zunächst davon aus, dass im vorliegenden Fall die in der Z 1 und 2 der zitierten Bestimmung genannten zeitlichen Voraussetzungen gegeben seien und kein zwingender Versagungsgrund iSd § 11 Abs. 1 NAG vorliege. Der Aufenthalt des strafrechtlich unbescholtenen Beschwerdeführers widerstreite auch nicht den öffentlichen Interessen. Er verfüge an einer näher genannten Adresse in Traun über eine ortsübliche Unterkunft und einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz. Weiters stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei bis 7. Jänner 2009 als Arbeiter bei einem Bauunternehmen beschäftigt gewesen. Derzeit sei er arbeitslos, habe jedoch "im Fall eines positiven Verfahrens" eine Wiedereinstellungszusage seines bisherigen Arbeitgebers. Derzeit werde er von seinem Onkel H.Ö. finanziell unterstützt; dieser habe auch eine Patenschaftserklärung abgegeben.

Unter der Überschrift "Bleiberechtskriterien" führte die belangte Behörde dann aus, der lange Aufenthalt von acht Jahren spreche "für einen weiteren Aufenthalt", zumal dem Beschwerdeführer die Asylverfahrensdauer, die auf Verzögerungen des unabhängigen Bundesasylsenates zurückzuführen sei, nicht angelastet werden könne. In der Befragung am 8. Mai 2009 habe sich allerdings gezeigt, dass der Beschwerdeführer äußerst mangelhaft Deutsch spreche, auch wenn er im Jahr 2008 einen Deutschkurs mit 75 Unterrichtseinheiten besucht habe. Zum Heimatstaat bestünden noch insofern Bindungen, als der Beschwerdeführer in der Türkei verheiratet sei und drei Kinder habe, die er mit seinem Einkommen finanziell unterstützt habe.

Daraus folgerte die belangte Behörde im Rahmen der rechtlichen Würdigung, die Beurteilung des Integrationsgrades des Beschwerdeführers sei "negativ", weil er "aufgrund des erhobenen Sachverhaltes" die in § 44 Abs. 4 NAG geforderten Kriterien wie Selbsterhaltungsfähigkeit, Ausbildung, Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache nicht erfülle.

Selbsterhaltungsfähigkeit, eine besondere Ausbildung und vor allem Kenntnisse der deutschen Sprache - welche nach einem so langen Aufenthalt im Bundesgebiet vorhanden sein müssten - lägen nicht vor. Somit komme die belangte Behörde "unter Betrachtung des gesamten Sachverhaltes" zu dem Schluss, dass der Antrag abzuweisen sei.

Dem tritt die Beschwerde vor allem mit dem Hinweis darauf entgegen, dass der Beschwerdeführer seit "01.08.2003" bis "Ende Mai 2009" mit einer Beschäftigungsbewilligung als (Bau-)Arbeiter berufstätig gewesen sei und für den Fall der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung diese Tätigkeit (beim letzten Arbeitgeber) sofort und zu den gleichen Bedingungen wie bisher wieder aufnehmen könne. Die behördliche Annahme, der Beschwerdeführer sei nicht selbsterhaltungsfähig, sei somit aktenwidrig. Er sei überdies sprachlich in der Lage, sich zu verständigen und habe entsprechende Deutschkurse besucht. Zu seiner Familie in der Türkei - die Kinder seien außerdem bereits erwachsen - habe er kaum noch Kontakt. Seine Ehe sei gescheitert und nur noch formal aufrecht. Im Übrigen verweist die Beschwerde noch auf die eine Integration des Beschwerdeführers in Österreich indizierenden Umstände - wie Aufenthaltsdauer, Unbescholtenheit, Beschäftigung, Krankenversicherung und Wohnung - und bemängelt diesbezüglich, die belangte Behörde habe die für den Beschwerdeführer sprechenden Aspekte "unter den Teppich gekehrt".

Mit diesem Vorbringen wird ein relevanter Begründungsmangel aufgezeigt:

Die für die Antragsabweisung auch herangezogene Überlegung, das Kriterium der Selbsterhaltungsfähigkeit sei nicht erfüllt, ist nämlich vor dem Hintergrund der unbestrittenen Berufstätigkeit des Beschwerdeführers in der Vergangenheit und der nicht bezweifelten Wiedereinstellungszusage seines bisherigen Arbeitgebers nicht nachvollziehbar. Zu den weiters in den Vordergrund gestellten unzureichenden Deutschkenntnissen und der auch ins Treffen geführten fehlenden Ausbildung in Österreich hätte aber einbezogen werden müssen, dass diese Umstände jedenfalls einer immer wieder erfolgten Beschäftigung in der Baubranche - der Beschwerdeführer hatte seinem Vorbringen zufolge schon in seiner Heimat nach Absolvierung eines Kurses als Fliesenleger gearbeitet - nicht entgegen gestanden sind und der festgestellte Besuch eines Deutschkurses zumindest ein diesbezügliches Bemühen und ein Interesse an der Verbesserung der Sprachkenntnisse beweist. Soweit die belangte Behörde auch die familiären Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Heimatstaat für entscheidungswesentlich angesehen hat, ist außerdem noch darauf hinzuweisen, dass diese bei der Beurteilung des in Österreich erlangten Integrationsgrades keine Rolle spielen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2009/21/0255). Im Übrigen bemängelt die Beschwerde der Sache nach zu Recht, dass die belangte Behörde - ungeachtet diesbezüglicher Feststellungen - im tragenden Begründungsteil auf die oben genannten, für eine Integration des Beschwerdeführers sprechenden Umstände überhaupt nicht mehr eingegangen ist.

Angesichts dieser Begründungsmängel, bei deren Vermeidung nicht ausgeschlossen ist, dass die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 17. November 2011

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