VwGH 2009/21/0303

VwGH2009/21/030315.12.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des E (alias J) in L, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 24. Juni 2009, Zl. E1/3408/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im November 2002 illegal nach Österreich ein und stellte unter der Identität J. I., geboren am 3. März 1985, einen Asylantrag. (Erst nach Einbringung der gegenständlichen Beschwerde gab der Beschwerdeführer am 2. November 2010 gegenüber der Fremdenpolizeibehörde an, dass sein Name richtig E. A. J. E. laute und er am 20. November 1975 geboren sei.) Der Asylantrag wurde schließlich mit dem im Dezember 2008 (im Instanzenzug) ergangenen Erkenntnis des Asylgerichtshofes rechtskräftig abgewiesen. Unter einem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 12. Februar 2009 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 24. Juni 2009 keine Folge gegeben und es wurde der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

In der Begründung traf die belangte Behörde nach Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides, Darstellung des Vorbringens in der Berufung und nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften die einleitend wiedergegebenen Feststellungen zum Asylverfahren des Beschwerdeführers. Daran anknüpfend führte sie aus, der Beschwerdeführer halte sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens (24. Dezember 2008) unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

In Anbetracht der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer seit ca. sechs Jahren und sieben Monaten in Österreich aufhalte, dass er in Österreich eine Lebensgefährtin habe, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitze und von ihm ein Kind erwarte, und sich (laut seinen Angaben) gute Deutschkenntnisse angeeignet und die Führerscheinprüfung abgelegt habe, sei ihm eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen. Demzufolge werde in erheblicher Weise in sein Privat- und Familienleben eingegriffen.

Dem sei jedoch entgegen zu halten, dass das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration maßgebend dadurch gemindert werde, als der Aufenthalt während des Asylverfahrens nur aufgrund eines letztlich unberechtigten Antrages temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass er ein Privat- und Familienleben während dieses Zeitraums geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen dürfen, nach einem allfällig negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu können.

Nach der Aktenlage habe der Beschwerdeführer mit der österreichischen Staatsbürgerin T. N., die von ihm (mit dem errechneten Geburtstermin 20. August 2009) ein Kind erwarte, eine außereheliche Beziehung in Form einer tatsächlich praktizierten Lebensgemeinschaft mit einem seit 27. April 2009 bestehenden gemeinsamen Haushalt an einer Adresse in L. Dieser Umstand stelle jedenfalls eine vom Begriff des "Privatlebens" im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG erfasste Beziehung dar, in das somit durch die Ausweisung eingegriffen werde.

Bei der Bewertung der Zulässigkeit des Eingriffs in familiäre und private Bindungen sei jedoch - so führte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf das Urteil des EGMR vom 31. Juli 2008, Darren Omoregie u.a. gegen Norwegen, aus - darauf zu achten, ob die vorhandenen Familienbande während einer rechtmäßigen Niederlassung des Fremden begründet worden seien oder nicht, und ob sich der Fremde im Falle der Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts der Unsicherheit "seines weiteren Schicksals" hätte bewusst sein müssen. Bereits die erstinstanzlich negative Entscheidung im Asylverfahren am 28. April 2003 hätte vom Beschwerdeführer als eindeutiges Indiz dafür betrachtet werden müssen, dass sein weiterer Aufenthalt in Österreich "gefährdet" sei. Dem Beschwerdeführer und seiner Lebensgefährtin habe daher bereits bei Beginn ihrer Beziehung klar sein müssen, dass ihr gemeinsamer Verbleib in Österreich "sehr unsicher" sei. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass der gemeinsame Haushalt erst vor ca. zwei Monaten gegründet worden sei. Somit könne davon ausgegangen werden, dass das gemeinsame Familienleben noch nicht eine besonders intensive Ausgestaltung erfahren habe. Ohne die durch eine allfällige Abschiebung bewirkte Beeinträchtigung des Lebens des voraussichtlich am 20. August 2009 zur Welt kommenden Kindes und der Lebensgefährtin zu unterschätzen, sei es doch unwahrscheinlich, dass die Auswirkungen dieselben seien, wie wenn sie schon längere Zeit zusammengelebt hätten bzw. das Kind schon geboren wäre. Außerdem könne der Kontakt auch auf andere Art (Telefon, E-mail, Besuche) aufrechterhalten werden und für den Beschwerdeführer bestehe überdies die Möglichkeit, unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen einen Aufenthaltstitel für Österreich zu beantragen.

Aus der Aktenlage sei - so begründete die belangte Behörde weiter - auch ersichtlich, dass der Beschwerdeführer bisher keiner legalen Beschäftigung nachgegangen und folglich nicht selbsterhaltungsfähig sei. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer in drei Fällen verwaltungsstrafrechtlich vorgemerkt sei; insbesondere erwähnte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang eine seit 29. Juni 2007 rechtskräftige Bestrafung (EUR 900,-) wegen Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO (Lenken eines Fahrzeuges im alkoholisierten Zustand). Dabei handle es sich um eine der schwersten Übertretungen der StVO, die geeignet sei, vor allem die öffentliche Sicherheit zu beeinträchtigen.

Außerdem könnten Bindungen zum Herkunftsstaat nicht abgesprochen werden, zumal die Ausreise erst im Alter von 17 Jahren (nach der eingangs erwähnten Berichtigung tatsächlich erst im Alter von 27 Jahren) erfolgt sei und der Beschwerdeführer somit den überwiegenden Teil seines Lebens (nach dem Volksschulbesuch als selbständiger Händler) dort verbracht habe.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 24. Dezember 2008, also seit ca. sechs Monaten, illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde aber - so führte die belangte Behörde im Rahmen der Interessenabwägung weiter aus - die öffentliche Ordnung in hohem Maße; die Ausweisung sei demnach gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme nämlich aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.

Die öffentliche Ordnung werde demnach schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die inländischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das gelte auch dann, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung bzw. nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund sei auch das Ermessen nicht zugunsten des Beschwerdeführers zu üben, insbesondere weil das ihm vorwerfbare (Fehl-)Verhalten (Weigerung, das Bundesgebiet nach Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen; ca. sechs Monate illegaler Aufenthalt in Österreich) im Verhältnis zu der von ihm geltend gemachten, jedoch zu relativierenden Integration überwiege. Es seien auch sonst keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine andere Ermessensübung begründen könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird ausdrücklich zugestanden, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers "seit 24.12.2008 rechtskräftig negativ abgeschlossen" ist. Gegen die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei erfüllt, bestehen somit keine Bedenken.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG (in der genannten Fassung) nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa aus der letzten Zeit das hg. Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2009/21/0156).

Unter diesen Gesichtspunkten bezieht sich die Beschwerde vor allem auf die Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin und das (mittlerweile am 30. August 2009 geborene) gemeinsame Kind. Der persönliche Kontakt zum eigenen Kind sei jedenfalls von immenser Wichtigkeit; Kontakte mittels Telefon und E-Mail seien dafür nicht ausreichend. Der Umstand, dass der gemeinsame Haushalt erst seit einigen Monaten bestehe, ändere nichts daran, dass auch schon davor ein intensiver Kontakt bestanden habe und "de facto" eine Lebensgemeinschaft geführt worden sei. Die Geburt seines Kindes habe das Leben des Beschwerdeführers "nachhaltig verändert" und er habe den Wunsch, ein "normales" Familienleben mit seiner Lebensgefährtin und dem Kind in Österreich zu führen.

Damit zeigt der Beschwerdeführer im Ergebnis einen relevanten Begründungsmangel auf:

Die belangte Behörde hat zwar auch auf die vom Beschwerdeführer eingegangene Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin Bedacht genommen. Angesichts der Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit einer Österreicherin und der absehbaren Geburt des gemeinsamen Kindes hatte sie in diesem Zusammenhang vom Bestehen eines Familienlebens auszugehen (vgl. dazu das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2009/21/0197, mwN). Die das relativierende Begründung im angefochtenen Bescheid beruht im Wesentlichen darauf, dass die Haushaltsgemeinschaft erst Ende April 2009 während eines unsicheren Aufenthaltsstatus eingegangen worden sei. Das greift zu kurz.

Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen (vgl. dazu Punkt 2.4.2. des Erkenntnisses vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, mwH). In diesem Sinn ist nach der Z 8 des § 66 Abs. 2 FPG (in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung bei der Interessenabwägung auch darauf Bedacht zu nehmen, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

Der belangten Behörde ist aber vorzuwerfen, bei dieser Beurteilung vorrangig die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Lebensgefährtin in den Blick genommen zu haben. Entscheidend wäre aber gewesen, dass im Zeitpunkt der Erlassung der gegenständlichen Ausweisung absehbar war, der Beschwerdeführer werde demnächst Vater eines Kindes mit österreichischer Staatsbürgerschaft werden, und dass die Schwangerschaft schon vor Beendigung des Asylverfahrens begonnen haben musste. Davon ausgehend hätte die belangte Behörde unter näherer Bedachtnahme auf die Lebensverhältnisse der Genannten eingehend begründen müssen, weshalb die Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers und die damit verbundene Trennung insbesondere von seinem österreichischen Kind dringend geboten im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG ist. In einer solchen Konstellation reicht der bloße Hinweis auf das Eingehen der Beziehung zu seiner Lebensgefährtin zu einem Zeitpunkt, als sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthalts bewusst gewesen sei, und die Betonung des großen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesens für eine nachvollziehbare Interessenabwägung nicht aus (vgl. dazu auch die ebenfalls Bescheide der belangten Behörde betreffenden Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes jeweils vom 5. März 2008, B 61/08, und B 1918/07). Dass in den genannten Fällen die österreichischen Kinder bereits ein Jahr alt waren, macht keinen wesentlichen Unterschied, geht es doch jeweils (bei normalen Verlauf) um die Trennung eines Elternteiles von einem Kleinkind. Dem wird die thematisch in diesem Zusammenhang stehende Vermutung der belangten Behörde, es sei unwahrscheinlich, dass die Auswirkungen einer allfälligen Abschiebung und die dadurch bewirkten Beeinträchtigungen des Lebens des voraussichtlich (nicht einmal zwei Monate nach der Bescheiderlassung) zur Welt kommenden Kindes dieselben seien, wie wenn das Kind schon geboren wäre, nicht gerecht. Im Übrigen berücksichtigte die belangte Behörde bei ihrer Verweisung des Beschwerdeführers auf die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels E-Mail und Telefon nicht, dass eine derartige Kommunikation mit einem Kleinkind nicht möglich ist und dem Vater eines Kindes grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zukommt (vgl. zu Letzterem ebenfalls aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes das Erkenntnis vom 3. September 2009, U 354/09). Für die unbestimmt bleibende Annahme, die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers und das Kind halte nichts davon ab, ihn in Nigeria zu besuchen, fehlt es aber an einem entsprechenden Tatsachensubstrat.

Angesichts der aufgezeigten Begründungsmängel, bei deren Vermeidung die belangte Behörde in Bezug auf die Interessenabwägung zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 15. Dezember 2011

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