VwGH 2009/10/0174

VwGH2009/10/017416.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Pelant, Dr. Lukasser und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der MG in Graz, vertreten durch Dr. Ulrich Daghofer, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Mariahilferstraße 20/II, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 8. Juni 2009, Zl. FA11A-32-1487/2009-7, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

SHG Stmk 1998 §5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
SHG Stmk 1998 §5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 8. Juni 2009 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, zu den Kosten ihrer Unterbringung in einem näher bezeichneten Pflegeheim ab 6. Februar 2009 aus Sozialhilfemitteln zuzuzahlen, abgewiesen.

Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei seit 6. Februar 2009 im erwähnten Pflegeheim untergebracht, die Kosten hiefür beliefen sich täglich auf EUR 79,395 zuzüglich USt. Die Beschwerdeführerin beziehe Bundespflegegeld der Stufe 2, eine Eigenpension der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in Höhe von EUR 322,41 monatlich netto und eine Witwenpension der Pensionsversicherungsanstalt in Höhe von EUR 722,48 beziehungsweise ab April 2009 in Höhe von EUR 758,05. Sie verfüge weiters über einen Bausparvertrag mit einem Einlagestand von ca. EUR 2.300,--.

Mit Notariatsakt vom 18. Jänner 2006 habe die Beschwerdeführerin eine näher bezeichnete Liegenschaft ihren beiden Kindern, EZ und RG, übergeben. Im Übergabsvertrag sei u.a. vereinbart worden, dass die Übernehmer die Kosten für einen eventuellen Pflegeheimaufenthalt der Übergeberin und ihres Ehegatten, des Vaters der Übernehmer, zu gleichen Teilen tragen.

EZ sei gemeinsam mit Dr. EZ Eigentümerin eines unbelasteten Reihenhauses in Graz. RG sei Eigentümer eines mit einem Pfandrecht in Höhe von ATS 330.000,-- belasteten Grundstücks in M, auf dem sich ein Eigenheim befinde. Das Nettoeinkommen des RG habe im Jahre 2008 EUR 31.884,15 betragen.

Voraussetzung der Gewährung von Sozialhilfe sei, dass der Hilfsbedürftige seinen Lebensbedarf nicht ausreichend aus eigenen Mitteln decken könne. Vertragliche Ansprüche, die so rechtzeitig durchsetzbar seien, dass der Lebensbedarf dadurch gedeckt werden könne, verringerten den Anspruch auf Sozialhilfe. Aus dem Übergabsvertrag ergebe sich der Anspruch der Beschwerdeführerin gegenüber den Übernehmern, zumindest die trotz Einsatz des (um das Taschengeld verminderten) Pflegegeldbezuges und von 80 % der laufenden Pensionsleistungen ungedeckten Kosten der Heimunterbringung, das seien monatlich EUR 1.580,92 bzw. EUR 1.552,06 ab April 2009, zu gleichen Teilen zu tragen. Die rechtzeitige Durchsetzung dieser Verpflichtungen sei der Beschwerdeführerin möglich und zumutbar. Dadurch sei ihr Lebensbedarf gesichert.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 29/1998 in der Fassung LGBl. Nr. 119/2008, (Stmk SHG) lauten auszugsweise wie folgt:

"§ 1

Aufgabe der Sozialhilfe

(1) Durch die Sozialhilfe soll jenen Personen die Führung eines menschenwürdigen Lebens ermöglicht werden, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen.

...

§ 4

Voraussetzung der Hilfe

(1) Auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes besteht für Personen, die den Lebensbedarf für sich und unterhaltsberechtigte Angehörige nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln und Kräften beschaffen können und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhalten, nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes ein Rechtsanspruch.

...

§ 5

Einsatz der eigenen Mittel

(1) Hilfe ist nur so weit zu gewähren, als das Einkommen und das verwertbare Vermögen des Hilfeempfängers nicht ausreichen, um den Lebensbedarf zu sichern.

...

§ 7

Lebensbedarf

(1) Zum Lebensbedarf gehören:

  1. a) der Lebensunterhalt (§ 8);
  2. b) die erforderliche Pflege (§ 9);
  3. c) die Krankenhilfe (§ 10);
  4. d) die Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen (§ 11);
  5. e) die Erziehung und Erwerbsbefähigung (§ 12).

    ...

    § 13

    Unterbringung in stationären Einrichtungen

(1) Personen, die ihren Lebensbedarf auf Grund ihrer Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit sonst nicht in zumutbarer Weise ausreichend decken können, haben Anspruch auf Übernahme der Kosten oder Restkosten der Unterbringung in einer stationären Einrichtung.

…"

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, der Beschwerdeführerin stünden in Gestalt der im Übergabsvertrag betreffend die erwähnte Liegenschaft vereinbarten Verpflichtung der Übernehmer, die Kosten eines Pflegeheimaufenthaltes der Beschwerdeführerin zu gleichen Teilen zu tragen, eigene Mittel zur Verfügung, mit denen der für die Pflegeheimunterbringung geltend gemachte Bedarf abgedeckt werden könne.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Annahme, sie habe aus dem Übergabsvertrag einen Anspruch gegen ihre Kinder auf Übernahme der Heimkosten. Vertragswille sei gewesen, dass die Kinder die Heimkosten dann übernehmen sollten, wenn der zuständige Sozialhilfeträger dafür nicht aufkomme. Die Sozialhilfe komme jedoch für die notwendigen Heimkosten auf, die Kinder könnten auch nicht zur Kostentragung herangezogen werden. Es könne daher nicht angenommen werden, dass die Übernehmer aus dem Übergabsvertrag jedenfalls eine Verpflichtung zur Übernahme der Heimkosten treffe. Die Abweisung des Sozialhilfeantrages sei schon deshalb zu Unrecht erfolgt, weil dem Bedürftigen kein Prozessrisiko aufgebürdet werden dürfe.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. September 2010, Zl. 2009/10/0198, und die dort zitierte Vorjudikatur), können Forderungen des Hilfebedürftigen gegenüber Dritten nur dann und nur insoweit zu den - vor Inanspruchnahme der Sozialhilfe einzusetzenden - "eigenen Mitteln" im Sinne des § 5 Stmk SHG gezählt werden, als sie verfügbar, d.h. liquide oder doch rasch liquidierbar sind. Entscheidend ist, ob der Hilfesuchende die erforderliche Leistung auf Grund seines Anspruches so rechtzeitig erhalten kann, dass er in seinem Bedarf nicht gefährdet wird. Andernfalls hat der Sozialhilfeträger - mit der allfälligen Möglichkeit eines Ersatzanspruches gegenüber dem primär Leistungspflichtigen - in Vorlage zu treten (vgl. nochmals das zitierte Erkenntnis vom 29. September 2010 und die dort zitierte Vorjudikatur).

Im vorliegenden Beschwerdefall verpflichteten sich im erwähnten Übergabsvertrag die Übernehmer der Liegenschaft, EZ und RG, zur - näher beschriebenen - Betreuung und Pflege u.a. der Beschwerdeführerin. Weiters heißt es unter Punkt Drittens, Abs. 2 des Übergabsvertrages:

"Sollten die Übernehmer dieser Verpflichtung nicht selbst nachkommen können, so verpflichten sie sich schon jetzt, für eine entsprechende Betreuung Sorge zu tragen, wobei diese Kosten von den Übernehmern zu gleichen Teilen zu tragen sind. Ebenso verpflichten sich die Übernehmer, die Kosten für einen eventuellen Aufenthalt der Übergeberin und/oder ihres Ehegatten ebenfalls zu gleichen Teilen zu tragen."

Daraus und aus den weiteren Annahmen, EZ sei gemeinsam mit Dr. EZ Eigentümerin eines unbelasteten Reihenhauses, RG sei Eigentümer einer näher bezeichneten Liegenschaft mit einem Eigenheim und verfüge über ein jährliches Nettoeinkommen von EUR 31.884,15, zog die belangte Behörde den Schluss, die aus der - unbestrittenermaßen erforderlichen - Pflegeheimunterbringung der Beschwerdeführerin (nach Abzug von Pension und Pflegegeld) offenen Kosten in Höhe von monatlich EUR 1.580,92 bzw. EUR 1.552,06 könnten aus der "leicht durchsetzbaren vertraglichen Verpflichtung der Übernehmer" gedeckt werden. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde die Bestimmung des Übergabsvertrages, wonach "die Kosten für einen eventuellen Aufenthalt der Übergeberin" zu gleichen Teilen zu tragen sind, ohne weiteres dahin ausgelegt hat, dass darunter auch die Kosten einer Pflegeheimunterbringung zu verstehen sind, hat sie die Frage, ob dieser Anspruch auch so rasch liquidierbar ist, dass der Unterbringungsbedarf der Beschwerdeführerin nicht gefährdet ist, gänzlich unerörtert gelassen. Vielmehr hat sie sich auf den nicht näher begründeten Hinweis beschränkt, es liege eine "leicht durchsetzbare" vertragliche Verpflichtung vor.

Nun hat die Beschwerdeführerin nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten im Verwaltungsverfahren allerdings vorgebracht, sie beziehe eine Eigenpension, Witwenpension und Pflegegeld, sie habe jedoch darüber hinaus "auch einen bestimmten Geldbetrag erspart", sodass sie nicht ab dem 6. Februar 2009 einen Zuschuss zu den Heimkosten aus Sozialhilfemitteln benötige, sondern erst, "wenn mein Erspartes aufgebraucht ist". Träfe es allerdings zu, dass die Beschwerdeführerin ihren Pflegeheimaufenthalt aus ihren Ersparnissen und somit - soweit es sich dabei nicht um Schonvermögen handelt - aus eigenen Mitteln begleichen könnte, hätte die belangte Behörde eine Hilfsbedürftigkeit im betreffenden Zeitraum im Ergebnis zu Recht verneint.

Die belangte Behörde ist auf dieses Vorbringen aber nicht mehr zurückgekommen. Vielmehr hat sie die Ersparnisse der Beschwerdeführerin mit lediglich ca. EUR 2.300,-- angenommen. Für die Annahme, die Beschwerdeführerin sei auf Grund ihrer Ersparnisse nicht hilfebedürftig im Sinne des Stmk SHG, besteht daher keine ausreichende Tatsachengrundlage.

Indem die belangte Behörde eine Hilfsbedürftigkeit der Beschwerdeführerin im Sinne des Stmk SHG jedoch mit dem Hinweis auf die Kostentragungsverpflichtungen der Übernehmer im Übergabsvertrag verneint hat, ohne auf die Frage der Liquidierbarkeit der entsprechenden Forderungen der Beschwerdeführerin konkret einzugehen, hat sie Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie im Ergebnis zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 16. Juni 2011

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