VwGH 2008/22/0004

VwGH2008/22/000421.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 12. März 2008, Zl. Fr-329/4/07, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §6;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §86 Abs3;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §6;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §86 Abs3;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang des Ausspruchs über die Erlassung des Aufenthaltsverbotes wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und im Umfang des Ausspruchs über die Versagung des Durchsetzungsaufschubes wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste am 1. Oktober 2001 in Österreich ein. Sein am selben Tag gestellter Asylantrag wurde mit 9. August 2005 rechtskräftig abgewiesen.

Am 25. September 2004 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (die belangte Behörde) gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Begründet wurde diese Maßnahme einerseits mit einer rechtskräftigen Verurteilung nach § 28 Abs. 2 4. Fall SMG, § 27 Abs. 1 6. Fall und Abs. 2 Z 2 SMG und § 297 Abs. 1 1. Fall StGB zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe (davon acht Monate unbedingt) und dem dieser zugrundeliegenden strafbaren Verhalten, andererseits mit dem Vorliegen einer Aufenthaltsehe gemäß § 60 Abs. 1 Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG. Außerdem sei der Beschwerdeführer verwaltungsrechtlich zweimal nach dem Führerscheingesetz sowie je einmal nach dem Fremdengesetz 1997, dem Kraftfahrgesetz und dem Parkgebührengesetz bestraft worden, sodass auch der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 2 FPG erfüllt sei.

Die Zuständigkeit der belangten Behörde bejahte diese unter Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG, aber kein begünstigter Drittstaatsangehöriger sei, weil seine österreichische Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe. Dafür wäre es erforderlich gewesen, dass seine Ehefrau einen längerfristigen Aufenthalt im EU-Ausland nachweisen und dadurch "die Freizügigkeit im Sinne des EU-Rechtes erlangen" hätte können.

Gemäß § 87 FPG sei aber § 86 FPG anzuwenden. Das Vorliegen einer Gefährdung nach dem auf Grund dieser Bestimmung anzulegenden Maßstab bejahte die belangte Behörde mit näherer Begründung.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 FPG berücksichtigte die belangte Behörde den sechsjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich. Es bestünden in Österreich aber keine familiären Bindungen "außer zur Scheinehefrau". Auch "berufliche Bindungen" bestünden derzeit nicht. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers hätten gegenüber den in seinem Fall hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen zurückzutreten.

Ein Durchsetzungsaufschub gemäß § 86 Abs. 3 FPG komme nicht zur Anwendung, weil die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Gebiet der Republik Österreich im Interesse der öffentlichen Ordnung zum Schutz der Gesundheit der in Österreich lebenden Bevölkerung jedenfalls erforderlich sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich, soweit damit die Berufung gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes und gegen die Versagung des Durchsetzungsaufschubes abgewiesen wurde, die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde wendet sich zunächst gegen die Inanspruchnahme der Zuständigkeit zur Berufungsentscheidung durch die belangte Behörde. Zuständig sei der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Salzburg, weil die Ehefrau des Beschwerdeführers ihr Freizügigkeitsrecht innerhalb der Europäischen Union dadurch in Anspruch genommen habe, dass sie in Deutschland Wohnsitz genommen habe und dort einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Sie sei in Deutschland als Saisonarbeiterin beschäftigt und an den Wochenenden nach Österreich gekommen. Auch der Beschwerdeführer habe mit seiner Ehefrau zeitweise in Deutschland gelebt. Er sei daher als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG zu behandeln.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Der Beschwerdeführer hat bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, dass seine Ehefrau in Deutschland als Saisonarbeitskraft einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und er phasenweise bei ihr in Deutschland gelebt habe. Ausgehend von diesen Behauptungen könnte eine relevante Inanspruchnahme des gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechts durch die Ehefrau des Beschwerdeführers zu bejahen und dieser daher als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 1 FPG anzusehen sein. Die belangte Behörde hätte daher nähere Feststellungen zu den besagten Auslandsaufenthalten der Ehefrau des Beschwerdeführers und des Beschwerdeführers selbst treffen und sich damit auseinandersetzen müssen, ob damit im Sinne des FPG ein Freizügigkeitssachverhalt verwirklicht wurde.

Indem die belangte Behörde dies unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weil nicht auszuschließen ist, dass sie bei Durchführung eines mängelfreien Verfahrens zum Ergebnis gekommen wäre, dass der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger ist und der Sicherheitsdirektion daher nicht die Zuständigkeit zur Berufungsentscheidung zukommt; diesfalls hätte die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 AVG an den unabhängigen Verwaltungssenat weiterzuleiten gehabt. Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang der Abweisung der Berufung gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Soweit die Berufung gegen die Versagung des Durchsetzungsaufschubes abgewiesen wurde, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben, weil der diesbezügliche Spruchpunkt des erstinstanzlichen Bescheides gar nicht bekämpft worden war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Juni 2011

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