VwGH 2008/21/0183

VwGH2008/21/018314.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des C, vertreten durch Rechtsanwälte Ganzert, Ganzert & Partner OEG in 4600 Wels, Dr.-Koss-Straße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 4. Februar 2008, Zl. St 209/07, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 4. Februar 2008 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 sowie §§ 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein mit sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

In der Begründung gab die belangte Behörde zunächst den Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides wieder. Aus dem von der Erstbehörde festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der Beschwerdeführer seit Mitte Dezember 2001 mit der österreichischen Staatsbürgerin Dr. Ursula A., einer Ärztin, verheiratet ist. Der Ehe entstammen die am 8. Februar 2002 und am 17. August 2004 geborenen Söhne. Der Beschwerdeführer, der seit 2004 an der Universität Salzburg Anglistik und Amerikanistik studiert, verfügte zuletzt über einen Niederlassungsnachweis.

Der Beschwerdeführer sei - so die weitere Darstellung des Inhalts des Bescheides der Erstbehörde - mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 22. März 2006 wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt worden, wobei der unbedingte Strafteil vom Oberlandesgericht Linz im Berufungsweg auf vier Monate herabgesetzt worden sei.

Nach Zitierung der im Spruch genannten Bestimmungen des FPG führte die belangte Behörde im Rahmen der rechtlichen Beurteilung unter Bezugnahme auf das erwähnte Strafurteil aus, der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG sei schon insofern erfüllt, als der Beschwerdeführer zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt worden sei. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG auch dringend erforderlich, weil Verbrechen gegen Unmündige sehr schwer zu gewichten seien. Hinsichtlich der persönlichen und familiären Situation sei zu beachten, dass dem Beschwerdeführer "zweifelsohne eine der Dauer des Aufenthaltes entsprechende Integration" zuzubilligen sei. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer bereits "jahrelang" in Österreich aufhalte und mit einer österreichischen Staatsbürgerin, mit der er zwei Kinder habe, verheiratet sei. Demgegenüber sei jedoch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer "Verbrechen gegen einen Unmündigen" begangen habe, enorm schwer zu gewichten. Unter Abwägung aller angeführten Tatsachen würden die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von einem Aufenthaltsverbot im Hinblick auf die für den Beschwerdeführer zu stellende negative Zukunftsprognose wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation, weshalb die Maßnahme auch im Sinne des § 66 Abs. 2 FPG zulässig sei. Aus den angeführten Gründen sei auch das Ermessen nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers zu üben. Die von der Erstbehörde angenommene Dauer des Aufenthaltsverbotes sei - so die belangte Behörde abschließend - nicht als rechtswidrig zu erkennen, zumal nach Ablauf dieser Zeit erwartet werden könne, dass sich der Beschwerdeführer wieder "an die im Bundesgebiet geltenden Normen" halten werde.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. März 2008, B 336/08-3, abgelehnt. Zugleich hat er die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der darüber nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde wendet sich sowohl gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Gefährdungsprognose als auch gegen die Interessenabwägung und macht in diesem Zusammenhang vor allem Begründungsmängel geltend. Damit ist sie im Ergebnis im Recht.

Gemäß dem (von der belangten Behörde herangezogenen) § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache (u.a.) zu gelten, wenn der Fremde von einem inländischen Gericht zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Für diese Beurteilung ist demnach nicht das Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen oder Verurteilungen, sondern das diesen zu Grunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich. Dabei ist also anders als bei der Frage, ob der erwähnte Tatbestand des § 60 Abs. 2 FPG erfüllt ist, nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (siehe dazu etwa das Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, mwN; vgl. auch das Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2007/21/0533).

Demzufolge reichen die wiedergegebenen Feststellungen im bekämpften Bescheid zur Verurteilung des Beschwerdeführers, denen weder die ihm konkret angelastete Straftat noch deren Begleitumstände zu entnehmen sind, nicht für eine nachvollziehbare Darstellung der Gefährdungsannahme der belangten Behörde. Ausgehend von der sich aus den Akten ergebenden Tatbegehung Anfang Juni 2003 hätte im Übrigen auch das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Wohlverhalten einbezogen werden müssen.

Vor allem hat die belangte Behörde - aber auch schon die Erstbehörde - außer Acht gelassen, dass für ein Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer als Ehemann und somit Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer österreichischen Staatsbürgerin gemäß § 87 zweiter Satz FPG hinsichtlich der Gefährdungsprognose die Voraussetzungen nach § 86 Abs. 1 FPG erfüllt sein müssen. Nach dieser Bestimmung ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Auch für diese Gefährdungsprognose bedarf es somit - wie sich schon aus dem wiedergegebenen Gesetzestext ergibt - konkreter Feststellungen zur angelasteten Straftat, um deren Art und Schwere und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Fremden beurteilen zu können (vgl. auch dazu das schon erwähnte Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197).

Die belangte Behörde hat somit nicht nur unzureichende Feststellungen in Bezug auf die vorzunehmende Gefährdungsprognose getroffen, sondern dabei auch unzutreffend auf den Maßstab des § 60 Abs. 1 FPG statt auf jenen des § 86 Abs. 1 FPG abgestellt. Schon deshalb war der angefochtene Bescheid wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 14. April 2011

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