VwGH 2008/15/0215

VwGH2008/15/021531.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde des I in G, vertreten durch Mag. Albert Ferk, Steuerberater in 8010 Graz, Hans-Sachs-Gasse 14/III, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 14. Mai 2008, Zl. RV/0046- G/08, betreffend u.a. Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO hinsichtlich Festsetzung der Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Juli bis Dezember 2002 und Jänner bis April 2003, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs1 litb;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, der im gegenständlich relevanten Zeitraum Einkünfte aus gewerblicher Vermietung erzielte, beantragte mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2007 u.a. die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Festsetzung der Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Juli bis Dezember 2002 und Jänner bis April 2003 und brachte unter Bezugnahme auf die dazu ergangene Berufungsentscheidung der auch hier belangten Behörde vom 4. Dezember 2006, RV/0151-G/04, vor, in der angeführten Entscheidung werde davon ausgegangen, dass Mietzinszahlungen der B AG an den Beschwerdeführer mit Schadenersatzforderungen der B AG gegenüber dem Beschwerdeführer kompensiert würden, wodurch sich für den Beschwerdeführer eine monatliche Umsatzsteuerzahllast vom 730,01 EUR ergebe.

Die in der Berufungsentscheidung vom 4. Dezember 2006 vertretene Auffassung "einer eingetretenen Kompensation gemäß § 1438 ABGB" sei im Verwaltungsverfahren erster und zweiter Instanz nie erörtert, über ein allenfalls bestehendes Kompensationsverbot nicht gesprochen worden.

Der Beschwerdeführer sei davon ausgegangen, dass er die abzuführende Umsatzsteuer auf die B AG überwälzen könne, und sei der im Bescheid vom 4. Dezember 2006 vertretenen "Rechtsmeinung" nicht weiter nachgegangen. Er habe die B AG zur Zahlung der Umsatzsteuer aufgefordert und in weiterer Folge geklagt. Das Gericht habe die Klage - unter Bezugnahme auf die Berufungsentscheidung vom 4. Dezember 2006 - abgewiesen. Ein etwaiges Kompensationsverbot sei auch vom Gericht nicht erörtert worden.

Das Finanzamt sei davon ausgegangen, dass in Bezug auf Mietzins- und Schadenersatzforderungen der B AG eine Kompensation stattfinde, und hätte dazu Beweise aufnehmen und Feststellungen treffen müssen. Dabei wäre hervorgekommen, dass im Mietvertrag mit der B AG aus dem Jahr 1976, der dem Finanzamt mit den Schriftsätzen vom 2. Mai 2003 und 31. März 2004 vorgelegt worden sei, die Aufrechnung von Gegenforderungen gegen den Mietzins ausgeschlossen werde. Voraussetzung der steuerrechtlichen Aufrechnung sei deren zivilrechtliche Wirksamkeit. Diese liege nicht vor, weil für die Kompensation nach § 1438 ABGB kein vertragliches Aufrechnungsverbot bestehen dürfe.

"Sowohl das Finanzamt als auch das (Gericht) haben aber aktenwidrig durch die Feststellung des Gegenteils ohne Erörterung mit (dem Beschwerdeführer) gehandelt und überraschende Entscheidungen gefällt."

Die dreimonatige Frist für den Wiederaufnahmeantrag sei aufgrund des am 4. September 2007 zugestellten Gerichtsurteils noch nicht abgelaufen, "da erst nach Zustellung dieses Urteils nach intensiver Suche (des Beschwerdeführers) die vergessene Kompensationsausschluß-Vereinbarung 1976 aufgefunden wurde, wobei (dem Beschwerdeführer) das Wissen hievon mangels Erörterung durch das Finanzamt und das Gericht nichts genützt hätte". Im Übrigen wäre es - aus im Wiederaufnahmeantrag näher dargelegten Überlegungen - in jedem Fall verfehlt, dem Beschwerdeführer Umsatzsteuer für nicht erhaltene Mieten vorzuschreiben.

Das Finanzamt wies den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ab und führte begründend aus, dass sich die Ausführungen des Beschwerdeführers auf rechtliche Erwägungen beschränkten und die Versteuerung der strittigen Mieten in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, die der Beschwerdeführer gegen die Berufungsentscheidung vom 4. Dezember 2006 eingebracht habe, nicht bekämpft worden sei. Dem angeführten Gerichtsurteil seien keine neuen Tatsachen zu entnehmen, die als Wiederaufnahmegründe taugten, weil darin die Verrechnung von Ansprüchen im Sinne des § 1438 ABGB ausdrücklich bestätigt werde.

Der Beschwerdeführer berief gegen den Abweisungsbescheid und brachte in ergänzenden Schriftsätzen zur Berufung auf das Wesentliche zusammengefasst vor, in der Berufungsentscheidung vom 4. Dezember 2006 seien "rein spekulativ die allgemeinen Aufrechnungsbedingungen des § 1438 ABGB angenommen" worden. Wäre der belangten Behörde das im Mietvertrag vereinbarte Aufrechnungsverbot bekannt gewesen, hätte sie feststellen müssen, dass eine Kompensation der Mietzinse mit Schadenersatzansprüchen ausgeschlossen sei. Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde vom Beschwerdeführer weiters beantragt, auf seine Kosten einen Sachverständigen aus dem Fach des Zivilrechtes für Befund und Gutachten über die präjudizielle zivile Aufrechnungsunmöglichkeit zu bestellen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung in der der Beschwerdeführer seinen Rechtsstandpunkt, dass in Bezug auf Mieten und Schadenersatzansprüche keine zivilrechtlich gültige Kompensation vorliege, ein weiteres Mal darlegte, als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde stützte sich hierbei nach allgemeinen rechtlichen Ausführungen auf folgende Erwägungen:

Der vom Beschwerdeführer als Wiederaufnahmegrund ins Treffen geführte Mietvertrag aus dem Jahr 1976 sei im wiederaufzunehmenden Verfahren vorgelegen und stelle keinen tauglichen Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens dar. Die belangte Behörde habe in der Berufungsentscheidung vom 4. Dezember 2006 einen zwischen der B AG und dem Beschwerdeführer geschlossenen Vergleich vom 19. April 2002 als maßgebliche Rechtsgrundlage für die Lösung der Streitfrage erachtet. Die in Punkt 6. des Vergleiches getroffene Vereinbarung ("Zur Abgeltung der bereits entstandenen und bis 30.11.2002 entstehenden Schäden werden an die Fa. (B AG) ein Pauschalbetrag von EUR 360.000,00 netto bezahlt und verzichten (der Beschwerdeführer) und seine Gattin für den Zeitraum 1. Juli 2002 bis einschließlich 30. Juni 2012 auf den Hauptmietzins für das gesamte Mietobjekt") könne nur dahingehend interpretiert werden, dass die Vertragsparteien im Rahmen der Privatautonomie das im Mietvertrag vereinbarte Aufrechnungsverbot außer Kraft gesetzt hätten. Allein aus der Tatsache, dass die Streitfrage nicht im Sinne des Beschwerdeführers entschieden worden sei, könne nicht der Schluss gezogen werden, dass das im Mietvertrag - der in der Berufungsentscheidung vom 4. Dezember ausdrücklich angeführt werde - vereinbarte Aufrechnungsverbot unbekannt gewesen sei.

Das Vorbringen, die belangte Behörde hätte bei entsprechender Kenntnis des Mietvertrages schon im Erstverfahren zur "richtigen Entscheidung der Nichtvorschreibung der Umsatzsteuer" gelangen können, erweise sich letztlich als Rüge von verfahrens- und materiellrechtlichen Mängeln des mit Bescheid vom 4. Dezember 2006 abgeschlossenen Verfahrens, die in der gegen diesen Bescheid gerichteten Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zu bekämpfen gewesen wären.

Der als Wiederaufnahmegrund herangezogene Mietvertrag aus dem Jahr 1976 erweise sich als untaugliches Beweismittel, weshalb sich die Prüfung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen erübrige. Die Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Berufungsverhandlung änderten daran nichts, weil sich diese in der Darlegung seiner Rechtsansicht zur zivilrechtlichen Problematik der Kompensation erschöpften. Die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet des Zivilrechts sei entbehrlich, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzulehnen gewesen sei.

Die gegen den angefochtenen Bescheid eingebrachte Beschwerde macht inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit wird gerügt, dass dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht stattgegeben worden sei, obwohl als bewiesen erscheine, dass Tatsachen und Beweismittel neu hervorgekommen seien, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht hätten geltend gemacht werden können. Als Verfahrensmangel wird der Umstand angesehen, dass dem Antrag auf Zuziehung eines Sachverständigen für Zivilrecht nicht stattgegeben worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO idF BGBl. I Nr. 97/2002 ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b leg.cit. Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten. Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind keine Tatsachen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2011, 2007/15/0262, mwN). Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des der Partei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung lassen sich demnach bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2011, mwN).

Auch hat das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen (vgl. ein weiteres Mal das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2011, mwN).

Der Beschwerdeführer hat mit der B AG 1976 einen Mietvertrag und 2002 einen Vergleich abgeschlossen. Im 1976 abgeschlossenen Mietvertrag wurde die Aufrechnung von Gegenforderungen gegen den Mietzins ausgeschlossen, wohingegen im Vergleich aus dem Jahr 2002 vereinbart wurde, dass der B AG zur Abgeltung bereits entstandener und bis 30. November 2002 entstehender Schäden "ein Pauschalbetrag von EUR 360.000,00 netto bezahlt" wird und der Beschwerdeführer und seine Ehefrau "für den Zeitraum 1. Juli 2002 bis einschließlich 30. Juni 2012 auf den Hauptmietzins für das gesamte Mietobjekt" verzichten. Im wiederaufzunehmenden Verfahren lagen Mietvertrag und Vergleich auf, wobei der Vergleich aus dem Jahr 2002 von der belangten Behörde dahingehend interpretiert wurde, dass die Vertragsparteien im Rahmen der Privatautonomie das im Mietvertrag vereinbarte Aufrechnungsverbot außer Kraft gesetzt haben. Der Umstand, dass im Mietvertrag ein Aufrechnungsverbot vereinbart worden ist stellt daher - wie von der belangten Behörde zutreffend erkannt - keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund dar.

Soweit die Beschwerde vermeint, der Vergleich sei nicht rechtswirksam zustande gekommen, weil der Beschwerdeführer und seine Ehefrau über die von diesem umfassten Mieten nicht hätten verfügen dürfen, zumal jene Liegenschaftsteile, für die die Mieten bezahlt worden seien, bis 29. Mai 2002 der Zwangsverwaltung unterlegen und der Vergleich am 19. April 2002 abgeschlossen worden sei, ist sie darauf zu verweisen, dass der gegenständliche Wiederaufnahmeantrag auf das im Mietvertrag vereinbarte Aufrechnungsverbot gestützt wurde.

Das im Mietvertrag vereinbarte Aufrechnungsverbot stellt - wie bereits ausgeführt - keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund dar, weshalb die belangte Behörde zur Prüfung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen nicht gehalten war.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen, wobei von der beantragten Verhandlung nach § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden konnte.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 31. März 2011

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