VwGH 2008/08/0101

VwGH2008/08/01016.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des A N in Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 12, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 23. Jänner 2008, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV, betreffend Einstellung des Notstandshilfebezugs, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §8 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AlVG 1977 §8 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 23. Jänner 2008 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid abgewiesen und der Notstandshilfebezug des Beschwerdeführers gemäß § 24 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 sowie § 8 Abs. 1 AlVG mit 30. November 2007 eingestellt. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, die erstinstanzliche Behörde habe ihre Entscheidung darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer laut arbeitsmedizinischem Gutachten weder kurs- noch arbeitsfähig wäre. In der dagegen erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen eingewendet, es sei nicht richtig, dass er keiner Arbeit nachgehen könne, auch wenn er eine 90%-ige Minderung der Erwerbsfähigkeit aufweise. Es gebe auch Möglichkeiten, Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt zu integrieren. Der Beschwerdeführer habe sich ausdrücklich für arbeitsfähig erklärt; er habe angegeben, die Unterschrift, mit der er die behauptete Arbeitsunfähigkeit bestätigt habe, sei nichtig, da sie unter Druck erfolgt sei.

Eine nochmalige Überprüfung der Angelegenheit durch die belangte Behörde habe ergeben, dass der Beschwerdeführer niederschriftlich am 13. September 2007 davon unterrichtet worden sei, dass sich Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit ergeben hätten. Im arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachten vom 19. Oktober 2007 sei eindeutig festgestellt worden, dass weder Kurs- noch Arbeitsfähigkeit gegeben sei. Dabei handle es sich um eine "unbefristete Befundlage". Der Beschwerdeführer leide nach dem Gutachten an verschiedenen Krankheitserscheinungen, die eine laufende Marcoumartherapie und eine Immunsupressivatherapie zur Unterdrückung der körpereigenen Abwehr bedingten. Dies führe zu Müdigkeit und häufiger Infektanfälligkeit.

Am 30. November 2007 sei niederschriftlich festgehalten worden, dass dieses Gutachten mit dem Beschwerdeführer erörtert wurde, dies habe der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift bestätigt. Wenn er nun in seiner Berufung vorbringe, die Unterschrift sei unter Druck entstanden, erscheine dies angesichts der Umstände nicht glaubwürdig. Es sei ihm auch die Möglichkeit der Beantragung einer Invaliditätspension nahe gebracht worden. Weiters seien Mitarbeiter des Arbeitsmarktservice dazu angehalten, im Falle der Unterschriftsverweigerung diese festzuhalten. Ein Einwirken auf den Kunden sei diesfalls nicht erforderlich. Aus dem Satz, das Gutachten sei erörtert worden, gehe hervor, dass dem Beschwerdeführer der Inhalt zur Kenntnis gebracht worden sei. Das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers werde als Schutzbehauptung gewertet. Da Arbeitsfähigkeit nicht gegeben sei, bestehe nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen kein Anspruch auf Leistung aus der Arbeitslosenversicherung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 AlVG ist eine der Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld die Arbeitsfähigkeit.

Gemäß § 8 Abs. 1 AlVG ist arbeitsfähig, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 beziehungsweise 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist.

Gemäß § 255 Abs. 1 ASVG gilt ein Versicherter, der überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. In ähnlicher Weise bestimmt § 273 ASVG, dass eine versicherte Person, deren Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden versicherten Person von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, als berufsunfähig gilt. § 280 ASVG verweist - für die knappschaftliche Pensionsversicherung - zur Bestimmung der Invalidität wiederum auf § 255 ASVG.

Nach § 24 Abs. 1 AlVG ist das Arbeitslosengeld, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, einzustellen.

Gemäß § 38 AlVG sind die genannten Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

2. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, dass sich die belangte Behörde vollinhaltlich dem Bescheid erster Instanz angeschlossen und deren Ausführungen zum Bestandteil ihres Bescheids gemacht habe. Sie habe jedoch keinerlei Feststellungen dahingehend getroffen, inwieweit durch die Erkrankungen des Beschwerdeführers dieser in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sei. Die belangte Behörde zähle im angefochtenen Bescheid nur ganz allgemein die Krankheitsbilder des Beschwerdeführers auf und zitiere in der Begründung des Bescheids lediglich die maßgeblichen Bestimmungen. Sie setze sich, wenn überhaupt, nur mangelhaft mit dem gegenständlichen Sachverhalt auseinander und komme letztlich zu dem Ergebnis, dass Arbeitsfähigkeit nicht gegeben sei.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung auf eine gewisse Besserung seines Gesundheitszustandes sowie die seiner Ansicht nach gegebene Arbeitsfähigkeit hingewiesen. Die belangte Behörde wäre daher auf Grund der konkreten Behauptungen des Beschwerdeführers verpflichtet gewesen, durch ergänzende - auf sachkundiger Basis belegte - Ermittlungen entsprechende Feststellungen zur Frage der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers zu treffen. Der von der belangte Behörde festgestellte Sachverhalt reiche jedenfalls nicht aus, um die rechtsrichtige Anwendung der §§ 7, 8, 12 und 24 AlVG zu überprüfen. Es lasse sich aus den von der belangten Behörde festgestellten Erkrankungen des Beschwerdeführers nicht ableiten, dass dessen Arbeitsfähigkeit auf weniger als die Hälfte eines körperlich und geistig gesunden Versicherten herabgesunken sei. Bei vollständiger Ermittlung der entscheidungswesentlichen Tatsachen hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass der Beschwerdeführer sehr wohl noch über einen am Arbeitsmarkt verwertbaren Rest an Arbeitsfähigkeit verfüge.

3. Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung auf ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten, nach dem "aus arbeitsmedizinischer Sicht unbefristet weder Arbeits- noch Kursfähigkeit" vorliegt; ausdrücklich wird im Gutachten auch festgehalten, die körperliche Arbeitsfähigkeit - verglichen mit einer Person entsprechenden Alters, Geschlechts und beruflicher Belastung - auf weniger als die Hälfte herabgesunken und eine Arbeits- oder Kursfähigkeit aus arbeitsmedizinischer Sicht nicht vorstellbar ist.

Die belangte Behörde konnte daher auf der Grundlage dieses Gutachtens zutreffend zum Ergebnis kommen, dass der Beschwerdeführer invalid bzw. berufsunfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 AlVG iVm §§ 255, 273 und 280 ASVG ist. Der Beschwerdeführer ist dieser auch bereits von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Beurteilung in seiner Berufung einzig mit der Behauptung entgegengetreten, er könne trotz seiner geminderten Erwerbsfähigkeit einer Arbeit nachgehen. Die bloße Behauptung, arbeitsfähig zu sein, reicht jedoch nicht aus, um ein die Arbeitsfähigkeit verneinendes medizinisches Gutachten in Frage zu stellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2010, Zl. 2008/08/0001). Der Beschwerdeführer ist dem Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1995, Zl. 95/08/0113 uva) und hat im Übrigen auch kein Vorbringen erstattet, das die Schlüssigkeit des erstatteten Gutachtens in Frage gestellt oder eine Neubewertung seiner Arbeitsfähigkeit notwendig gemacht hätte. Entgegen dem Beschwerdevorbringen wurde in der Berufung auch nicht auf "eine gewisse Besserung (des) Gesundheitszustandes hingewiesen"; auch ein derartiges Berufungsvorbringen hätte zudem im Hinblick auf das vorliegende, unbefristete Arbeitsunfähigkeit feststellende Gutachten nicht die Einholung eines neuerlichen Gutachtens erforderlich gemacht.

4. Der Beschwerdeführer behauptet eine Verletzung des Parteiengehörs, da ihm die Behörde das arbeitsmedizinische Sachverständigengutachten vom 19. November 2007 zwar zur Kenntnis gebracht habe, dies jedoch unter Zeitdruck geschehen sei. Der Beschwerdeführer sei jedenfalls nicht in ausdrücklicher und förmlicher Weise zur Erstattung einer Stellungnahme aufgefordert worden.

Ob dem Beschwerdeführer das Gutachten unter Zeitdruck zur Kenntnis gebracht wurde bzw. ob er ausdrücklich zur Stellungnahme aufgefordert wurde, kann hier dahingestellt bleiben, da die Beschwerde nicht darlegt, welches Vorbringen der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren bei Einräumung einer förmlichen Stellungnahmemöglichkeit erstattet hätte, das zu einem anderen Ausgang des Verwaltungsverfahrens hätte führen können. Damit fehlt es dem behaupteten Verfahrensmangel an Relevanz.

5. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 6. Juli 2011

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