VwGH 2010/21/0252

VwGH2010/21/025226.8.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde 1. des HE,

2. der FE und 3. der KE, alle vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich je vom 30. Juni 2010, Zl. E1/11718/2009, Zl. E1/11721/2009 und Zl. E1/11722/2009, jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2 impl;
AVG §60;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z5;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl;
AVG §58 Abs2 impl;
AVG §60;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z5;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Bescheidausfertigungen ergibt sich Folgendes:

Die Beschwerdeführer sind türkische Staatsangehörige. Der Erstbeschwerdeführer reiste am 27. Oktober 2002 illegal nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag. Im Dezember 2005 heiratete er die Zweitbeschwerdeführerin, die ihrerseits am 27. August 2003 ebenfalls illegal nach Österreich gelangt war und hier einen Asylantrag gestellt hatte. Am 7. Oktober 2006 wurde die gemeinsame Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, geboren; (auch) für sie wurde ein Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz gestellt.

Die genannten Anträge der Beschwerdeführer wurden erstinstanzlich 2003 (Erstbeschwerdeführer), 2004 (Zweitbeschwerdeführerin) bzw. 2007 (Drittbeschwerdeführerin) abgewiesen, dagegen erhobene Berufungen blieben ohne Erfolg.

Mit den nunmehr bekämpften, jeweils im Instanzenzug ergangenen Bescheiden je vom 30. Juni 2010 wies die belangte Behörde die Beschwerdeführer gemäß §§ 31, 53 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidungen im Wesentlichen - weitgehend ident - damit, dass die asylrechtlichen Verfahren der Beschwerdeführer seit dem 20. Jänner 2009 "gemäß den §§ 7 und 8 AsylG" (Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin) bzw. "gemäß den §§ 3 und 8 AsylG" (Drittbeschwerdeführerin) rechtskräftig negativ entschieden seien. Die Beschwerdeführer hielten sich seither rechtswidrig in Österreich auf, ihnen sei weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden. Sie befänden sich seit beinahe sieben Jahren und acht Monaten (Erstbeschwerdeführer), beinahe sechs Jahren und zehn Monaten (Zweitbeschwerdeführerin) bzw. seit der Geburt vor ca. drei Jahren und acht Monaten (Drittbeschwerdeführerin) im Bundesgebiet, verfügten über einen festen Wohnsitz und lebten im gemeinsamen Haushalt. Der Erstbeschwerdeführer sei seit 2003 nahezu durchgehend einer Beschäftigung nachgegangen und sei seit 2009 selbstständig erwerbstätig. Laut eigenen Angaben hätten die Beschwerdeführer ihren Lebensmittelpunkt in Österreich, wo auch einige Verwandte des Erstbeschwerdeführers lebten, seien sozial- und gesellschaftlich in Linz integriert, hätten viele Freunde und Bekannte und beherrschten die deutsche Sprache sehr gut. Die Drittbeschwerdeführerin sei überdies für den Kindergarten vorgemerkt. Angesichts dieser Umstände sei den Beschwerdeführern daher eine entsprechende Integration zuzugestehen und es werde durch die Ausweisung in erheblicher Weise in ihr Privatleben eingegriffen.

Jedoch werde das Gewicht dieser Integration maßgebend dadurch gemindert, dass ihr Aufenthalt während der Asylverfahren nur auf Grund eines Antrages, der sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Den Beschwerdeführern sei bewusst gewesen, dass sie ihr Privatleben während eines Zeitraumes geschaffen hätten, in dem sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt hätten. Sie hätten nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfälligen negativen Ausgang der Asylverfahren weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen, wobei zu berücksichtigen sei, dass die Asylbegehren bereits 2003 bzw. 2004 bzw. 2007 erstinstanzlich negativ entschieden worden seien. Aus diesem Grund relativiere sich auch die berufliche Integration des Erstbeschwerdeführers, weil er bereits bei Aufnahme seiner Erwerbstätigkeit gewusst habe, dass sein Aufenthalt in Österreich "nur an das Abwarten der Entscheidungen über (die) Asylanträge geknüpft" gewesen sei.

Im vorliegenden Fall werde durch die Ausweisungen nicht in das Familienleben der Beschwerdeführer eingegriffen, weil sie alle ausgewiesen würden. Das Vorhandensein zahlreicher Verwandter in Österreich, mit welchen aber kein gemeinsamer Haushalt bestehe, sei "nicht von den geschützten familiären Bindungen erfasst". Die Ausweisung bewirke somit lediglich einen Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführer; insoweit lägen trotz der schon sehr langen Aufenthaltsdauer und der mittlerweile erlangten Integration (noch) keine derart außergewöhnlichen Umstände vor, dass ihnen ein direkt aus Art. 8 EMRK ableitbares Aufenthaltsrecht zugestanden werden müsste.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten - so die belangte Behörde weiter - die Türkei im Alter von 22 bzw. 21 Jahren verlassen. Sie hätten dort die Schule besucht und zuletzt bis zu ihrer Ausreise gearbeitet. Außerdem lebten jeweils die Eltern und die Geschwister in der Türkei, weshalb allen Beschwerdeführern die Bindung zu ihrem Heimatland "nicht abgesprochen werden" könne bzw. "eine Reintegration als zumutbar" erscheine. Die Drittbeschwerdeführerin befinde sich zudem in einem Alter, in dem ihr eine Anpassung an neue "Begebenheiten" vor dem Hintergrund, dass ihr Familienverband mit den Eltern aufrecht bleibe, zugemutet werden könne.

Die Beschwerdeführer hielten sich seit rund 17 Monaten unrechtmäßig in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß, weshalb die Ausweisung der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde zusammenfassend - gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu deren Wahrung dringend geboten sei. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle (nämlich) einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Die öffentliche Ordnung werde schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begeben und versuchten, damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das selbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund seien auch keine tauglichen Gesichtspunkte erkennbar, um das der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumte Ermessen zu Gunsten der Beschwerdeführer zu üben.

Über die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, dass sie sich nunmehr unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und dass daher der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt ist. Sie bringen jedoch unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG vor, dass sie als "hoch integriert" zu betrachten seien. Die Behörden hätten keine Prüfung ihrer Integration in Österreich vorgenommen, sondern "lediglich standardisierend und abstrakt" Ausweisungen ausgesprochen. Eine Auseinandersetzung mit den dargelegten Integrationsnachweisen habe nie stattgefunden, was sich auch daran zeige, dass während des über einen Zeitraum von einem Jahr geführten Berufungsverfahren keine erkennbaren Aktivitäten durch die belangte Behörde gesetzt worden seien; diese habe letztendlich "mit Blocksatzbegründungen und ohne individuelle Beurteilung oder begründete Ausübung eines Ermessens" die angefochtenen Bescheide erlassen.

Es ist richtig, dass die gegenständlichen Berufungsverfahren rund ein Jahr dauerten. Den bekämpften Bescheiden ist auch - im Sinne des Vorbringens der Beschwerdeführer - nicht zu entnehmen, dass während der Berufungsverfahren Ermittlungsschritte gesetzt worden seien. Der Beschwerde gelingt es allerdings nicht aufzuzeigen, dass diesem Umstand für das Verfahrensergebnis Relevanz zukäme. Die von ihr zur Integration vorgebrachten Umstände (Aufenthaltsdauer, Geburt und Kindergartenbesuch der Drittbeschwerdeführerin in Österreich, Begründung des Lebensmittelpunktes aller Beschwerdeführer in Österreich aus beruflicher, sozialer und finanzieller Sicht, Beschäftigung, Sozial- und Krankenversicherung, Kenntnisse der deutschen Sprache, strafrechtliche Unbescholtenheit, geordnete Familien- und Wohnverhältnisse, verwandtschaftliche Beziehungen in Österreich und eine große Zahl von Freunden und Bekannten) wurden von der belangten Behörde nämlich ohnehin berücksichtigt. Von daher trifft es nicht zu, dass keine Auseinandersetzung mit den integrationsbegründenden Umständen der Beschwerdeführer stattgefunden habe. Dass in den bekämpften Bescheiden standardisierende Formulierungen gewählt wurden, begründet aber für sich betrachtet nicht die Rechtswidrigkeit dieser Bescheide.

Im Rahmen der nach dem Gesagten von der belangten Behörde vorgenommenen Abwägung hat diese zutreffend darauf hingewiesen, dass mit den bekämpften Ausweisungen kein Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführer erfolge, weil sie alle ausgewiesen wurden. Die belangte Behörde durfte in ihre Überlegungen auch einbeziehen, dass die Eltern bzw. Großeltern der Beschwerdeführer in der Türkei wohnen und daraus ableiten, dass nach wie vor Bindungen zum Heimatstaat (§ 66 Abs. 2 Z 5 FPG) bestehen. Die Beschwerdebehauptung, "unsere gesamte Familie (Onkel, Tanten, Geschwister ...)" sei in Österreich aufhältig, ist vor dem Hintergrund der unbestrittenen Feststellungen zu den Eltern bzw. Großeltern nicht nachvollziehbar. Auch wenn insoweit, wie behauptet, keine Kontakte mehr bestünden, so ist nicht ersichtlich, dass diese nicht wieder hergestellt werden könnten.

Vor allem aber hielt die belangte Behörde der Integration der Beschwerdeführer zutreffend entgegen, dass der ihr zu Grunde liegende Aufenthalt der Beschwerdeführer lediglich auf unbegründeten Asylanträgen beruhte und seit Beendigung der Asylverfahren unrechtmäßig ist. Die während des Aufenthalts erlangten Gesichtspunkte der Integration wurden in einem Zeitraum erworben, als sich der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin (spätestens auf Grund der erstinstanzlichen Abweisung ihrer Asylanträge) der Unsicherheit ihres Aufenthaltsstatus bewusst waren, sie also nicht mit einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durften.

Zwar bedeutet das - schon vor dem Hintergrund der gebotenen, alle Parameter des § 66 Abs. 2 FPG einzubeziehenden Gesamtbetrachtung - nicht, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt keine Relevanz beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte. Jedoch sind die im vorliegenden Fall zu Gunsten der Beschwerdeführer sprechenden Umstände - auch aus dem Blickwinkel der noch nicht vierjährigen Drittbeschwerdeführerin, bezüglich derer die Einschätzung der belangten Behörde, sie werde sich im Rahmen des gewohnten familiären Umfeldes an die neuen Gegebenheiten anpassen können, nicht als unschlüssig erkannt werden kann - nicht von einem solchen Gewicht, dass sie eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung begründen könnten. Es trifft nämlich zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie die Beschwerdeführer - trotz negativen Abschlusses ihres Asylverfahrens in Österreich (unrechtmäßig) verbleiben, was nach dem Gesagten eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen darstellt.

Zusammenfassend ist es somit insgesamt fallbezogen nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unzulässigen Eingriff in ihr Privatleben angesehen hat. Wie sich aus § 44 Abs. 5 NAG (insbesondere aus dem zweiten Satz dieser Vorschrift) ergibt, stand den Ausweisungen auch nicht entgegen, dass die Beschwerdeführer - wie in der Beschwerde behauptet - Anträge auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 NAG eingebracht haben. Dass die Niederlassungsbehörde mit der Erledigung dieser Anträge unzulässig zugewartet habe, wie in der Beschwerde weiter vorgebracht wird, belastet die gegenständlichen Ausweisungen jedenfalls nicht mit Rechtswidrigkeit.

Soweit die Beschwerdeführer schließlich rügen, dass sie die belangte Behörde nicht vorgeladen und einvernommen habe, um einen persönlichen Eindruck von ihnen zu gewinnen, ist dem zu entgegnen, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht auf eine Berufungsverhandlung und auch kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zlen. 2009/21/0216 bis 0220).

Im Ergebnis lässt somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, weshalb die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen war.

Wien, am 26. August 2010

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