VwGH 2009/21/0270

VwGH2009/21/027027.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 30. Juli 2009, Zl. Sich40- 34075, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
VwRallg;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 17. Mai 1980 geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste am 22. April 2003 illegal nach Österreich ein und stellte in der Folge einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. August 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen; außerdem stellte das Bundesasylamt gemäß § 8 Asylgesetz 1997 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan zulässig sei. Die dagegen erhobene Berufung wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. März 2009 als unbegründet ab.

Am 5. Mai 2009 beantragte der Beschwerdeführer daraufhin die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG. Mit dem hier bekämpften Bescheid wies die Bezirkshauptmannschaft Gmunden, die belangte Behörde, den genannten Antrag gemäß § 44 Abs. 4 NAG ab. Auf das Wesentliche zusammengefasst begründete sie das damit, dass der Beschwerdeführer zwar über gute Deutschkenntnisse verfüge, strafgerichtlich unbescholten sei und lt. seinem Vorbringen - nachgewiesen durch eine seinen Aufenthalt in Österreich befürwortende "Unterschriftenliste" - bereits mehrere Freunde in Österreich gefunden habe. Außerdem habe er den Staplerführerschein "absolviert". Der bisher erlangte Grad der Integration sei jedoch während eines Zeitraumes entstanden, in dem sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus stets bewusst gewesen sei. Er sei (überdies) ledig, habe keine Sorgepflichten und lebe allein in einem Haushalt. Die Mitglieder seiner "Kernfamilie" lebten in Spanien, in Österreich befänden sich drei Onkeln. Pakistan, wo der Beschwerdeführer die Grundschule besucht habe und einer Beschäftigung als Installateur nachgegangen sei, habe er erst mit 22 Jahren verlassen, es sei ihm daher zumutbar, "sich mit den Gegebenheiten" in Pakistan "wieder neu auseinanderzusetzen". Die schulische und berufliche Ausbildung des Beschwerdeführers - so die belangte Behörde weiter - lasse keinen besonders berücksichtigungswürdigen Fall erkennen. Außerdem sei der Beschwerdeführer in Österreich noch nie einer Beschäftigung nachgegangen. Er habe derzeit (daher) kein eigenes Einkommen und sei auf die Gewährung von Grundversorgung des Landes Oberösterreich angewiesen. Die von einem Onkel abgegebene Patenschaftserklärung sei "absolut nicht tragfähig" und könne keinesfalls als Absicherung für seinen Unterhalt herangezogen werden. Soweit sich der Beschwerdeführer auf zwei Arbeitszusagen berufe, sei ihm zu entgegnen, dass daraus keine Rückschlüsse "für eine eventuelle fixe Anstellung nach Abschluss des Probemonats" gezogen werden könnten. "Aus all diesen Gründen" sei kein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn des § 44 Abs. 4 NAG zu erkennen, weshalb der Antrag des Beschwerdeführers abzuweisen gewesen sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

§ 11 Abs. 1 bis 3 und § 44 Abs. 4 NAG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 lauten wie folgt:

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot gemäß §§ 60 oder 62 FPG besteht;

2. gegen ihn ein Aufenthaltsverbot eines anderen EWR-Staates besteht;

3. gegen ihn in den letzten zwölf Monaten eine Ausweisung gemäß § 54 FPG oder § 10 AsylG 2005 rechtskräftig erlassen wurde, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. eine Aufenthaltsehe oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) die Integrationsvereinbarung nach § 14 oder ein einzelnes Modul bereits erfüllt hat, soweit er bereits ein Jahr niedergelassen war und ihm kein Aufschub gemäß § 14 Abs. 8 gewährt wurde.

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

    ...

    Niederlassungsbewilligung - beschränkt

§ 44. ...

(4) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und

2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.

Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der Deutschen Sprache, zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. Ein einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt. Die §§ 44b Abs. 2 sowie 74 gelten."

In den ErläutRV zu § 44 Abs. 4 NAG (88 BlgNR 24. GP 10 f) heißt es auszugsweise:

"Die Entscheidung über die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach Abs. 4 hat unter Berücksichtigung des Grades der Integration des Fremden zu erfolgen. Diese Beurteilung hat sich insbesondere an den in Abs. 4 genannten Kriterien zu orientieren, welche wiederum im Wesentlichen den auch zu Z 4 des § 11 Abs. 3 von der Judikatur entwickelten Kriterien entsprechen. Dabei ist aber jedenfalls zu beachten, dass die Beurteilung des Integrationsgrades gemäß Abs. 4 nicht in einer gesamtheitlichen Prüfung der Kriterien zu Art. 8 EMRK besteht, sondern lediglich in einer 'isolierten' Bewertung des zitierten Integrationsgrades. Es soll eben gerade auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abs. 4 an 'Altfälle' ermöglicht werden, denen gemäß den Kriterien des § 11 Abs. 3 ein Aufenthaltstitel nicht zu erteilen wäre. Die Qualifikation eines Falles als 'besonders berücksichtigungswürdig' wird sich im Allgemeinen auch entlang der Beurteilung des Integrationsgrades und an der bisherigen Praxis zum ehemaligen § 72 in vergleichbaren Fällen zu orientieren haben."

§ 44 Abs. 4 NAG ermöglicht die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" für besonders berücksichtigungswürdige "Altfälle", wofür solche Fremde in Betracht kommen, die sich zumindest seit 1. Mai 2004 durchgängig in Österreich aufhalten. Wann ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Es sieht aber vor, dass die Behörde "dabei" den Grad der Integration des Fremden, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen hat. Die zitierten Gesetzesmaterialien deuten darauf hin, dass andere Kriterien, die im Rahmen einer Prüfung nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen wären, keine Bedeutung haben sollen. Gleichwohl können die in § 11 Abs. 3 NAG genannten, bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu beachtenden Gesichtspunkte auch in die Beantwortung der Frage einfließen, ob ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt, und zwar in dem Maße, als sie auf den Integrationsgrad des betreffenden Fremden Auswirkungen haben. Daran kann auch deshalb kein Zweifel bestehen, weil § 44 Abs. 4 NAG im Rahmen der erwähnten "Altfälle" erkennbar vor allem jene Konstellationen erfassen soll, in denen die Schwelle des Art. 8 EMRK, sodass gemäß den Kriterien des § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, insbesondere 4.3.3. der Entscheidungsgründe).

Ob vor diesem Hintergrund die von der belangten Behörde auch ins Treffen geführten Umstände des bislang gegebenen "unsicheren Aufenthaltsstatus" des Beschwerdeführers in Österreich einerseits und der Zumutbarkeit seines (neuerlichen) Aufenthalts in Pakistan andererseits eine Rolle spielen durften, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Zutreffend hat die belangte Behörde - und insoweit jedenfalls den Integrationsgrad des Beschwerdeführers beurteilend -

nämlich auch ins Treffen geführt, dass keine wesentliche familiäre Verankerung im Bundesgebiet besteht, der Beschwerdeführer hier noch nie einer Beschäftigung nachgegangen ist und hier keine spezifische, schulische oder berufliche Ausbildung genossen hat. Eine (allfällige) Selbsterhaltungsfähigkeit, die festgestellten guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers und der - nicht näher spezifizierte - Freundeskreis (die mit dem Antrag vorgelegte "Unterschriftenliste" weist acht Nennungen auf, ohne je Person konkret das Verhältnis zum Beschwerdeführer darzulegen) vermögen demgegenüber noch nicht einen solchen Integrationsgrad zu bewirken, dass von einem "besonders berücksichtigungswürdigen Fall" gesprochen werden könnte. Dass es, wie die Beschwerde ausführt, "der gegenständlichen Gesetzeslage zu verdanken ist", dass der Beschwerdeführer keiner geregelten Beschäftigung in Österreich nachgehen könne, ist im gegebenen Zusammenhang irrelevant, weil § 44 Abs. 4 NAG gerade am Boden dieser Gesetzeslage auf eine - rechtlich nicht unmögliche - (bisherige) Berufstätigkeit abstellt. Auch der Umstand, dass "die Verhältnisse hinsichtlich Schulbesuch und Berufsausbildung" in Pakistan völlig anders seien als in Österreich, ist nicht von Bedeutung, kommt es doch im Rahmen der Beurteilung des Integrationsgrades auf die schulische oder berufliche Ausbildung in Österreich an. Was die belangte Behörde schließlich hinsichtlich persönlicher Bindungen des Beschwerdeführers ergänzend zu ermitteln gehabt hätte, wird in der Beschwerde nicht näher dargelegt. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge erweist sich daher ebenfalls als nicht zielführend, weshalb die Beschwerde zusammenfassend nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 27. Jänner 2010

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