VwGH 2009/21/0176

VwGH2009/21/017625.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. Friedrich Schwarzinger, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Bahnhofplatz 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 26. Mai 2009, Zl. E 1/2669/6-2009, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung in einer Angelegenheit des Fremdenpolizeigesetzes 2005, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §46 Abs1 impl;
AVG §71 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §63 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §46 Abs1 impl;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 7. Februar 2008 verhängte die Bundespolizeidirektion Graz gegen den Beschwerdeführer, einen mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateten argentinischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Dieser Bescheid wurde dem in der Justizanstalt Suben in Strafhaft befindlichen Beschwerdeführer am 11. Februar 2008 durch persönliche Ausfolgung zugestellt.

Mit am 7. März 2008 zur Post gegebenem Schriftsatz vom selben Tag beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbotsbescheid vom 7. Februar 2008 und holte die Berufung nach. Seinen Wiedereinsetzungsantrag begründete er im Wesentlichen damit, dass der Bescheid ohne Übersetzung in die spanische Sprache und ohne Beifügung einer spanischen Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden sei. Er (Beschwerdeführer) sei jedoch lediglich der spanischen Sprache mächtig und könne deutsche Schriftstücke nicht lesen bzw. verstehen. Er habe (daher) in der Folge täglich versucht, beim Sozialdienst der Justizanstalt Suben einen Termin zu bekommen, um den erhaltenen Bescheid zu besprechen und übersetzen zu lassen bzw. zumindest eine Kopie anfertigen zu lassen, um diese dann seiner Ehefrau zu schicken. Es sei jedoch bis zum Ablauf der 14- tägigen Berufungsfrist nicht möglich gewesen, einen Termin für ein Gespräch mit dem Sozialdienst zu erreichen. Daraufhin habe er "seinem Arbeitgeber" von der Angelegenheit erzählt, welcher sich bereit erklärt habe, Kopien des Bescheides anzufertigen. Am 28. Februar 2008 habe er schließlich eine Kopie an seine Ehefrau versenden können, die dieser am 29. Februar 2008 zugegangen sei. Da der Aufenthaltsverbotsbescheid vom 7. Februar 2008 keine Übersetzung enthalten habe und ihm in der Justizanstalt Suben überdies die Hilfestellung durch eine deutschsprachige Person verwehrt worden sei, sei er (Beschwerdeführer) durch ein unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Einbringung der Berufung gehindert gewesen.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 26. Mai 2009 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab. Sie verwies auf eine von ihr eingeholte Stellungnahme des Leiters des Sozialen Dienstes der Justizanstalt Suben mit folgendem Wortlaut:

"Herr (Beschwerdeführer) trat mittels schriftlichem Ansuchen, welches mit 19.02.2008 datiert ist, ohne eine spezielle Begründung anzuführen, an den Sozialen Dienst heran. (Kopie des Ansuchens liegt bei, der Vermerk: 'möchte Kopie an Frau schicken' stammt vom Sozialen Dienst).

Dies ist die übliche Form, wie sich Insassen an den Sozialen Dienst wenden. Die Ansuchen werden in der Regel der Reihe nach bearbeitet, handelt es sich um dringende Angelegenheiten (z.B. bei Berufungsfristen) werden solche Anliegen vorgezogen. Leider war es aus dem Ansuchen des (Beschwerdeführers) nicht ersichtlich, dass es sich um eine Fristsache handelte, auch von anderen Bemühungen über eine Kontaktaufnahme ist mir nichts bekannt.

Das Ansuchen wurde am 26.02.2008 (laut IVV Aufzeichnung) bearbeitet, das heißt die Kopien wurden erstellt. Eine Übersetzung bzw. eine Erklärung des Schreibens war nicht möglich, da eine Verständigung, aufgrund der Sprachbarriere, nur sehr begrenzt möglich war."

Es wäre dem Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - zumutbar gewesen, sich umgehend nach Empfangnahme des ungeachtet fehlender Sprachkenntnisse als solches ersichtlichen Behördenschriftstückes an den Sozialen Dienst zu wenden und nicht mehr als eine Woche zuzuwarten. Dieses Zuwarten begründe ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Fristversäumnis, zumal dem Beschwerdeführer bereits im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme vom 29. August 2007 unter Beiziehung einer Dolmetscherin die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angekündigt worden sei. Es wäre dem Beschwerdeführer auf jeden Fall möglich gewesen, den Sozialen Dienst der Justizanstalt Suben, der je nach Bedarf der Häftlinge erreichbar sei, wesentlich früher zu informieren, "um dadurch die Wahrung der Rechtsmittelfrist zu gewährleisten und nicht nachlässig mehr als eine Woche ohne Handlungen zu setzen, verstreichen zu lassen". Es könne auch davon ausgegangen werden, dass der Soziale Dienst in der Justizanstalt Suben sofort ab Kenntnis der Tatsache, dass dem Beschwerdeführer ein Behördenschriftstück zugestellt worden sei, ihm auch die entsprechenden Anleitungen und die Unterstützung für die schriftliche Einbringung eines Rechtsmittels erteilt hätte. Leider sei aus dem Ansuchen des Beschwerdeführers nicht ersichtlich gewesen, dass es sich um eine Fristsache gehandelt habe, weshalb durch das nachlässige Verhalten des Beschwerdeführers die Berufungsfrist nicht habe eingehalten werden können. Somit habe der Beschwerdeführer die ihm zumutbare Sorgfaltspflicht dadurch verletzt, dass er den Sozialen Dienst der Justizanstalt Suben erst nach Ablauf von über einer Woche nach Erhalt des Behördenschriftstückes kontaktiert und diesen auch nicht vom Erhalt eines solchen informiert habe, sondern lediglich mittels eines schriftlichen Ansuchens ohne eine spezielle Begründung an den Sozialen Dienst herangetreten sei. Außerdem werde ergänzend festgestellt, dass lt. dem im Akt aufliegenden Formblatt zum Antrag auf Vollzugsortsänderung ersichtlich sei, dass der Beschwerdeführer im Durchschnitt jeden dritten Tag mit seiner Ehefrau in fernmündlichem Kontakt stehe, weshalb es ihm auch zuzumuten gewesen wäre, diese von dem erhaltenen Behördenschriftstück in Kenntnis zu setzen, um geeignete Unterstützung zu erhalten.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist u.a. gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Aufenthalt einer - auch unvertretenen - Person in Haft ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein Grund, der es zuließe, die Unterlassung einer rechtzeitigen Berufungseinbringung als unverschuldet oder als ein über den minderen Grad des Versehens nicht hinausgehendes Verschulden zu werten. Auch das Zusammentreffen des Umstandes der Freiheitsentziehung mit einer mangelnden Sprachkenntnis des Betroffenen vermag ohne das Hinzutreten eines ihn konkret treffenden Hinderungsgrundes, der über die allgemeine Situation einer in Haft befindlichen, der deutschen Sprache nicht mächtigen Person hinausgeht, die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu rechtfertigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. August 2006, Zl. 2004/21/0139). Versuche, mit geeigneten Personen (Dolmetscher und/oder Rechtsbeistand) Kontakt aufzunehmen, sind grundsätzlich auch während der Haft zu unternehmen. Bleiben derartige Versuche jedoch ergebnislos, so kann dies einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darstellen. Es muss sichergestellt sein, dass eine Person - auch oder gerade wegen der Einengung ihrer Freiheit während der Haft - den von ihr gewünschten Rechts- oder sonstigen Beistand rechtzeitig erhält, ohne ihr ständige Urgenzen zuzumuten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 98/21/0421; vgl. zum Ganzen auch die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz. 83 ff. zitierte hg. Judikatur).

Bezogen auf den vorliegenden Fall ist der belangten Behörde zunächst darin zu folgen, dass für den Beschwerdeführer ungeachtet seiner fehlenden Sprachkenntnisse erkennbar sein musste, ein behördliches Schriftstück erhalten zu haben, welches (allenfalls) seine Reaktion binnen bestimmter Frist erfordere. Auf die von der belangten Behörde erwähnte niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vom 29. August 2007, aus deren Anlass ihm die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angekündigt worden sei, kommt es dabei gar nicht an, mussten doch schon nach dem äußeren Erscheinungsbild des ausgefolgten Schriftstückes und der formalisierten Zustellung entsprechende Überlegungen angestellt werden. Der Beschwerdeführer war daher nach der zitierten Judikatur gehalten, Schritte zur Erlangung von Hilfestellung zu setzen und diesbezüglich insbesondere auch mit den Bediensteten des Gefangenenhauses Kontakt aufzunehmen. Das hat er zwar getan, doch wartete er nach den - von seinen Angaben im Wiedereinsetzungsantrag abweichenden, im Ergebnis aber nicht konkret bestrittenen - Feststellungen der belangten Behörde acht Tage, bis zum 19. Februar 2008, zu, ehe er an den Sozialen Dienst der Justizanstalt Suben herantrat. Zudem - und vor allem - war dieses Herantreten mittels schriftlichen Ansuchens aber dergestalt, dass daraus für die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes nicht erkennbar sein konnte, es gehe um die Bearbeitung einer fristgebundenen Angelegenheit. Jedenfalls hat der Beschwerdeführer auch nach Konfrontation mit der im bekämpften Bescheid wiedergegebenen Stellungnahme des Leiters des Sozialen Dienstes der Justizanstalt Suben im Verwaltungsverfahren nicht konkret vorgebracht, bereits mit seinem Ansuchen vom 19. Februar 2008 das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot der Bundespolizeidirektion Graz zum Zweck der Herstellung einer Kopie ausgefolgt zu haben, sodass dem Sozialen Dienst - auch ohne besonderen "Dringlichkeitsvermerk" - die Brisanz der Angelegenheit hätte bewusst sein müssen. Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge, es sei die Einvernahme von Mitarbeitern der Justizanstalt Suben unterblieben, die beantragt worden sei, um die "ins Auge stechende Säumnis der Justizanstalt Suben" nachzuweisen, schlägt daher fehl. Es trifft dann aber entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht auch nicht zu, dass der Beschwerdeführer mit einer "ehest möglichen Bearbeitung" seines Ansuchens, sodass eine (allfällige) Frist gewahrt werden könne, rechnen durfte. Vielmehr musste eine allfällige Fristversäumnis unter diesen Umständen als nicht unwahrscheinlich in Betracht gezogen werden. Von daher kann der belangten Behörde im Ergebnis aber nicht entgegengetreten werden, wenn sie in dem Verhalten des Beschwerdeführers insgesamt ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden erblickte, wobei sie - anders als die Beschwerde meint - auch die Kontaktmöglichkeiten des Beschwerdeführers mit der österreichischen Ehefrau ins Kalkül ziehen durfte. Warum der Beschwerdeführer, in den Worten der Beschwerde, "gerade keine Möglichkeit hatte, rechtzeitig mit seiner Ehegattin über das Schriftstück zu kommunizieren" - zumindest in einem solchen Ausmaß, dass dessen grundsätzliche Bedeutung und seine Fristgebundenheit zutage treten -, ist nämlich angesichts der offen stehenden Möglichkeit zu telefonischem Kontakt nicht ohne Weiteres ersichtlich.

Zusammenfassend ergibt sich damit, dass der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein kann. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 25. März 2010

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