VwGH 2009/16/0115

VwGH2009/16/011525.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde der A T in A, vertreten durch Dr. Martina Simlinger-Haas, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Reisnerstraße 31, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 5. Juni 2007, GZ. RV/1201- W/07, betreffend Gewährung erhöhter Familienbeihilfe ab Jänner 2002, zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §6 Abs2 litd;
FamLAG 1967 §6 Abs3;
FamLAG 1967 §6 Abs5;
FamLAG 1967 §8 Abs6 idF 2002/I/105;
FamLAG 1967;
VwRallg;
FamLAG 1967 §6 Abs2 litd;
FamLAG 1967 §6 Abs3;
FamLAG 1967 §6 Abs5;
FamLAG 1967 §8 Abs6 idF 2002/I/105;
FamLAG 1967;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die am 27. November 1967 geborene Beschwerdeführerin beantragte im Mai 2006 für sich die (erhöhte) Familienbeihilfe ab Mai 2001.

Mit Schriftsatz vom 10. Jänner 2007 reichte sie ihrem Antrag einen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 11. Oktober 2005 nach, wonach das ihr gebührende Pflegegeld ab 1. September 2005 neu bemessen werde und ab diesem Zeitpunkt monatlich 421,80 EUR betrage. Weiters legte sie eine Verständigung der Pensionsversicherungsanstalt aus dem Jänner 2006 vor, wonach sie eine Eigenpension in Höhe von 360,70 EUR zuzüglich Ausgleichszulage von 329,30 EUR und Pflegegeld von 421,80 EUR abzüglich Krankenversicherungsbeitrag von 34,16 EUR, somit einen Auszahlungsbetrag von 1.077,64 EUR erhalte. Schließlich legte sie noch Aufenthaltsbestätigungen über Behandlungen in einer Krankenanstalt im Jahr 1985, ärztliche Bestätigungen über Behandlungen aus den Jahren 1986 und 1987 und einen Arztbrief über eine mehrmonatige stationäre Behandlung im Jahr 1993 vor.

Auf Vorhalt des Finanzamtes vom 19. Februar 2007, wie hoch ihre "Lebenserhaltungskosten" seien und wie viel ihre Mutter an Unterhaltskosten für sie leiste, gab die Beschwerdeführerin bekannt, ihre Mutter leiste keinen Unterhalt und ihre näher aufgeschlüsselten "Lebenserhaltungskosten" würden insgesamt 925 EUR betragen.

Mit Bescheid den jeweils vom 28. Februar 2007 wies das Finanzamt den Antrag der Beschwerdeführerin "ab Jän. 2002"ab. Für den Eigenanspruch eines Kindes auf Familienbeihilfe sei maßgeblich, ob Eltern oder ein früherer Ehegatte den Unterhalt für das Kind noch überwiegend leisten müssten. Bräuchten Eltern oder ein früherer Ehegatte den Unterhalt für ein Kind oder die Ehegattin nicht oder überhaupt nicht leisten, weil dieses die seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse aus eigenen Einkünften überwiegend oder zur Gänze selbst decken könne, bestehe kein Anspruch auf Familienbeihilfe. Dies gelte auch für behinderte Kinder, die dauernd außerstande seien, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, welcher Umstand bei der Beschwerdeführerin "zweifelsfrei durch das vorliegende Gutachten nachgewiesen" sei. Da die Beschwerdeführerin auf Grund der eigenen Einkünfte keinen Unterhaltsanspruch gegenüber ihrer Mutter habe, bestehe kein Anspruch auf Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag. Die Pensionseinkünfte der Beschwerdeführerin würden nämlich "derzeit" 690 EUR (monatlich) betragen, woraus die Beschwerdeführerin die Aufwendungen für den Lebensunterhalt in Höhe von etwa 685 EUR monatlich abdecken könne.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid "betreffend erhöhte Familienbeihilfe ab Jänner 2002" als unbegründet ab. Die Beschwerdeführerin sei nach dem Tod ihres Vaters im Jänner 2005 Halbwaise und beziehe "zum 1. Jänner 2006" eine Eigenpension (Berufsunfähigkeitspension) von 360,70 EUR zuzüglich Ausgleichszulage von 329,30 EUR und Pflegegeld der Stufe 3 von 421,80 EUR, insgesamt sohin 1.077,64 EUR (sc: monatlich). Im Jahr 2006 habe sie an Sozialversicherungsbeiträgen 478,24 EUR geleistet. Ohne Berücksichtigung des Pflegegeldes und nach Abzug der Sozialversicherung habe die Beschwerdeführerin über monatliche Einkünfte in Höhe von 765 EUR verfügt. Ihre monatlichen Ausgaben würden durchschnittlich 965 EUR betragen, worin 240 EUR für Pflege und Unterstützung enthalten seien. Ohne Berücksichtigung der Aufwendungen für Pflege und Unterstützung würden die monatlichen Ausgaben der Beschwerdeführerin somit 725 EUR betragen. Das Pflegegeld beziehe die Beschwerdeführerin seit Jänner 2004, die Pension erhalte sie seit 1. Jänner 1999.

Die Beschwerdeführerin sei auf Grund einer vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen Erkrankung "iSd § 8 Abs 5 FLAG erheblich behindert". Die Mutter der Beschwerdeführerin leiste keinen Unterhalt. Bis 3. März 2003 habe die Beschwerdeführerin bei ihren Eltern gelebt.

Rechtlich schloss die belangte Behörde daraus Folgendes:

Die Beschwerdeführerin habe "heranzuziehende" Einnahmen von 765 EUR (gemeint: monatlich), die über den "Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit a sublit bb ASVG (für Alleinstehende)" hinausgingen, welcher "im Jahr 2006" den Betrag von 690 EUR ausmache. Sie beziehe die Einkünfte aus einer Berufsunfähigkeitspension zuzüglich Ausgleichszulage. Diese Einnahmen stünden tatsächlich für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung und seien daher heranzuziehen. Die Beschwerdeführerin könne mit ihren Einkünften ihre Bedürfnisse zur Gänze abdecken. Damit sei sie selbsterhaltungsfähig und habe keinen "aufrechten" Unterhaltsanspruch gegen ihre Mutter. Da § 6 Abs. 5 FLAG vom aufrechten Bestehen einer Unterhaltspflicht der Eltern der anspruchswerbenden Person ausgehe, habe die Beschwerdeführerin weder einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe noch auf Zuerkennung des Erhöhungsbetrages.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die Beschwerdeführerin im Recht auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe verletzt erachtet.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die - im Beschwerdefall vorliegenden - Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 leg. cit. zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

§ 6 Abs. 3 FLAG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2001, BGBl I Nr. 142/2000, trat am 1. Jänner 2001 in Kraft (§ 50o Abs. 5 FLAG) und bestimmt:

"(3) Für ein Kalenderjahr, das nach dem Kalenderjahr liegt, in dem die Vollwaise das 18. Lebensjahr vollendet hat und in dem sie ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) bezogen hat, das den Betrag von 120.000 S übersteigt, besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe, wobei § 10 Abs. 2 nicht anzuwenden ist. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens der Vollwaise bleiben außer Betracht:

..."

Mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2001, wurde in § 6 Abs. 3 FLAG der Betrag von 120.000 S durch den Betrag von

8.725 EUR ersetzt.

Durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 90/2007 wurde der in § 6 Abs. 3 FLAG genannte Betrag auf 9.000 EUR erhöht, wobei diese Einkommensgrenze erstmals in Bezug auf das Kalenderjahr 2008 gilt (§ 55 Abs. 7 FLAG).

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Die Familienbeihilfe wird nach § 10 Abs. 2 FLAG vom Beginn des Monates gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Die Frage, ob für einen bestimmten Anspruchszeitraum Familienbeihilfe zusteht, ist anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum ist der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruchs für ein Kind kann somit von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. September 2004, 2000/13/0103, mwN, und den hg. Beschluss vom 21. September 2009, 2009/16/0082).

Die Entscheidung über die Gewährung von monatlich wiederkehrenden Leistungen, zu denen auch die Familienbeihilfe zählt, ist ein zeitraumbezogener Abspruch. Ein derartiger Abspruch gilt mangels eines im Bescheid festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 2010, 2009/13/0083, mwN).

Die Befugnis der belangten Behörde, nach § 289 BAO "in der Sache selbst zu entscheiden" erstreckte sich daher auf die Sache des erstinstanzlichen Bescheides, nämlich die Zuerkennung der Familienbeihilfe für den Zeitraum Jänner 2002 bis Februar 2007. Im Beschwerdefall hat nun das Finanzamt mit dem mit Berufung bekämpften Bescheid vom 28. Februar 2007 den Antrag auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum "ab Jän. 2002" abgewiesen. Damit ist jedenfalls kein Abspruch über den (vom Antrag der Beschwerdeführerin umfassten) Zeitraum vom Mai 2001 bis zum Dezember 2001 erfolgt. Den vorgelegten Verwaltungsakten zu Folge ist der Antrag hinsichtlich dieses Zeitraumes noch unerledigt.

Der angefochtene Bescheid enthält keinerlei Feststellungen, aus denen ableitbar wäre, ob die in § 6 FLAG genannten Voraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe durch die Beschwerdeführerin in den jeweiligen Anspruchszeiträumen von Jänner 2002 bis Dezember 2005 vorgelegen wären. Einzelne Feststellungen der belangten Behörde über die Höhe eines von der Beschwerdeführerin bezogenen Geldbetrages an Eigenpension, Ausgleichszulage und Pflegegeld beschränken sich nämlich auf den Zeitraum ab 1. Jänner 2006. Dem Grunde nach enthält der angefochtene Bescheid zwar Feststellungen hinsichtlich der "Pension" für den gesamten Streitzeitraum und hinsichtlich des Pflegegeldes für den Zeitraum ab Jänner 2004, ohne jedoch für vor dem 1. Jänner 2006 gelegene Zeiträume Beträge anzugeben.

Zur Frage der Unterhaltsleistungen beschränkt sich die belangte Behörde auf die Feststellung, die Mutter der Beschwerdeführerin "leistet keinen Unterhalt", ohne dies zeitlich zu konkretisieren, insbesondere ob dies seit Beginn des Streitzeitraumes der Fall gewesen wäre. Weiters übergeht die belangte Behörde völlig, dass ihren Feststellungen zu Folge der Vater der Beschwerdeführerin im Jahr 2005 gestorben sei. Ob und in welchem Umfang dieser bis zu seinem Tod Unterhaltsleistungen erbracht hat, bleibt im Dunkeln.

Wie sich der von der belangten Behörde festgestellte Umstand, dass die Beschwerdeführerin bis 3. März 2003 bei ihren Eltern gewohnt habe, auf Unterhaltsleistungen einerseits und auf die Aufwendungen für ihren Lebensunterhalt andererseits konkret ausgewirkt hat, bleibt im angefochtenen Bescheid völlig offen. Schließlich schenkt die belangte Behörde dem Umstand keinerlei Beachtung, dass im Fall der Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zum Haushalt der Eltern bis zum März 2003 für diesen Teil des Streitzeitraumes die Anspruchsberechtigung der Beschwerdeführerin im Lichte des § 10 Abs. 4 FLAG und der Anspruchsberechtigung eines Elternteils nach § 2 Abs. 2 erster Satzund § 2a FLAG zu sehen wäre.

Die Frage schließlich, ob ein Kind wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ob somit dieser Tatestand des § 6 Abs. 5 iVm Abs. 2 lit. d FLAG erfüllt ist, ist nicht nach den vom Kind erzielten Einkünften (welche etwa auch aus in keinem Zusammenhang mit der Behinderung stehenden Einkünften aus Kapitalvermögen oder aus Vermietung und Verpachtung bestehen können), sondern ausschließlich nach einem Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zu beurteilen (§ 8 Abs. 6 FLAG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 105/2002; vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom 18. November 2008, 2007/15/0019). Die aus Einkünften abgeleitete Schlussfolgerung der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin sei "selbsterhaltungsfähig", ist in diesem Zusammenhang nicht rechtens.

Entscheidend ist im Beschwerdefall jedoch vor allem, dass die belangte Behörde rechtsirrig davon ausgeht, dass § 6 Abs. 5 FLAG eine Unterhaltspflicht der Mutter der Beschwerdeführerin voraussetze.

Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 27. Jänner 2010, 2009/16/0087, auf dessen Gründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG hingewiesen wird, ausdrücklich dargelegt, weshalb - entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Ansicht - § 6 Abs. 5 FLAG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung auf das Bestehen einer Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem Kind nicht abstellt.

Eigene Einkünfte des Kindes (unabhängig davon, aus welcher Einkunftsquelle sie stammen) sind im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 FLAG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung nicht (mehr) vor dem Hintergrund einer allfälligen Unterhaltspflicht, sondern allein im Hinblick auf die in § 6 Abs. 3 FLAG festgelegte Einkommensgrenze von Bedeutung.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 25. März 2010

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