VwGH 2009/11/0207

VwGH2009/11/020726.1.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des W M in B, vertreten durch Mag. Andreas Pazderka, Rechtsanwalt in 2460 Bruck/Leitha, Höfleinerstraße 36, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 31. August 2009, Zl. Senat-AB-09-1019, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §26 Abs3;
FSG 1997 §28 Abs1 Z2;
FSG 1997 §7 Abs3 Z6 lita;
FSG 1997 §7 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §26 Abs3;
FSG 1997 §28 Abs1 Z2;
FSG 1997 §7 Abs3 Z6 lita;
FSG 1997 §7 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit am 20. Oktober 2008 vom Beschwerdeführer persönlich übernommenen (rechtskräftigen) Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha (BH) vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klassen A,B,C,E und F für die Dauer von zwei Wochen entzogen.

Mit Bescheid vom 23. Februar 2009 stellte die BH "aufgrund eines rechtlichen Anlassfalls" fest, dass die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers "auf die Dauer von weiteren 4 Monaten, das ist bis einschließlich 3. März 2009" nicht gegeben sei. Unter einem wurde ein Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederausfolgung seines Führerscheines abgewiesen und einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Als Rechtsgrundlagen waren §§ 24 Abs. 1 Z. 1, 25 Abs. 1 und 3 und 28 Abs. 1 FSG sowie § 64 Abs. 2 AVG angegeben. Die BH legte ihrem Bescheid die Annahme zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 3. November 2008 trotz entzogener Lenkberechtigung ein Kraftfahrzeug gelenkt habe.

Die dagegen erhobene Berufung (die sich nicht gegen die Verweigerung der Wiederausfolgung gerichtet hatte) wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (UVS) mit Bescheid vom 31. August 2009 gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

Begründend führte der UVS aus, die Behörde erster Instanz habe dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung "im Anschluss" an den Bescheid vom 20. Oktober 2008 bis einschließlich 3. März 2009 entzogen, weil er am 3. November 2008 um 8 Uhr 15 im Ortsgebiet von B. an einer näher bezeichneten Stelle einen LKW auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt habe, obwohl ihm die Lenkberechtigung entzogen gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung ausgeführt, der Bescheid vom 20. Oktober 2008 sei ihm an diesem Tag bei der BH ausgehändigt worden, eine Bedienstete der BH habe ihm mitgeteilt, dass er den Führerschein am 3. November wieder erhalte, weshalb für ihn unmissverständlich klar gewesen sei, dass die zweiwöchige Entziehungsdauer nicht auch den 3. November 2008 einschließe. An der ihm vorgeworfenen Übertretung treffe ihn kein Verschulden. In der Berufungsverhandlung habe sich der Beschwerdeführer dahin verantwortet, dass anlässlich der Abgabe des Führerscheines (am 20. Oktober 2008) nicht besprochen worden sei, wann genau er den Führerschein wieder abholen könne, er sei davon ausgegangen, dies sei bereits am 3. November 2008 der Fall. Erst an diesem Tag habe er erfahren, dass die Entziehungsdauer bis 24 Uhr des letzten Tages laufe. Die erwähnte Bedienstete der BH habe in der Verhandlung angegeben, sie wisse nicht mehr, ob der Beschwerdeführer anlässlich der Abgabe des Führerscheines gefragt habe, wann er diesen wieder abholen könne, falls er aber gefragt haben sollte, so hätte sie ihm sicher nicht die Auskunft erteilt, dass er den Führerschein bereits am Montag (am 3. November 2008) wieder abholen könne.

Der Beschwerdeführer sei mit Straferkenntnis der BH vom 23. Februar 2009 der Übertretung des § 37 Abs. 1 und Abs. 4 Z. 1 FSG schuldig erkannt worden, weil er am 3. November 2008 ein Kfz auf Straßen mit öffentlichem Verkehr trotz entzogener Lenkberechtigung gelenkt habe. Die dagegen erhobene Berufung sei mit Bescheid des UVS vom 18. August 2009 abgewiesen worden.

In rechtlicher Hinsicht führte der UVS aus, der Beschwerdeführer habe mit dem Lenken eines Kfz trotz entzogener Lenkberechtigung eine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 6 FSG verwirklicht, weshalb davon auszugehen sei, dass er verkehrsunzuverlässig sei. Die Erstbehörde sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Verkehrszuverlässigkeit auf die Dauer von weiteren vier Monaten nicht gegeben sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

6. ein Kraftfahrzeug lenkt;

a) trotz entzogener Lenkberechtigung oder Lenkverbotes oder trotz vorläufig abgenommenen Führerscheines oder

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs. 3 Z 14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.

...

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.

... .

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens 3 Monaten festzusetzen. Sind für die Person, der die Lenkberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit zu entziehen ist, zum Zeitpunkt der Entziehung im Vormerksystem (§ 30a) Delikte vorgemerkt, so ist für jede dieser im Zeitpunkt der Entziehung bereits eingetragenen Vormerkungen die Entziehungsdauer um zwei Wochen zu verlängern; davon ausgenommen sind Entziehungen auf Grund des § 7 Abs. 3 Z 14 und 15.

...

Ablauf der Entziehungsdauer

§ 28. (1) Der Führerschein ist nach Ablauf der Entziehungsdauer auf Antrag wieder auszufolgen, wenn

  1. 1. die Entziehungsdauer nicht länger als 18 Monate war und
  2. 2. keine weitere Entziehung der Lenkberechtigung angeordnet wird.

(2) Vor Wiederausfolgung des Führerscheines ist das Lenken von Kraftfahrzeugen unzulässig.

...

Strafausmaß

§ 37. (1) Wer diesem Bundesgesetz, den auf Grund dieses

Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen, Bescheiden oder sonstigen

Anordnungen zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und

ist, sofern in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist,

mit einer Geldstrafe von 36 Euro bis zu 2 180 Euro, im Falle ihrer

Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe bis zu sechs

Wochen zu bestrafen. ... .

...

(4) Eine Mindeststrafe von 726 Euro ist zu verhängen für das

Lenken eines Kraftfahrzeuges, obwohl

1. die Lenkberechtigung entzogen wurde oder

... ."

2. Die Beschwerde ist - im Ergebnis - begründet.

2.1. Im Hinblick auf die unstrittig rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen des Lenkens eines Kfz am 3. November 2008 trotz entzogener Lenkberechtigung (gegen den Bescheid des UVS vom 18. August 2009 ist die zur hg. Zl. 2009/02/0336 protokollierte Beschwerde anhängig) hatte die belangte Behörde im Verfahren nach dem FSG entgegen dem weitwendigen Vorbringen des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass eine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z. 6 lit. a FSG vorlag. Auch die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vom 23. Februar 2009 im Hinblick auf diese bestimmte Tatsache verkehrsunzuverlässig gewesen, begegnet keinen Bedenken.

2.2. Wie sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt, deutete die belangte Behörde den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides vom 23. Februar 2009 dahin, dass dem Beschwerdeführer in unmittelbarem Anschluss an das Ende der mit dem ursprünglichen Entziehungsbescheid vom 20. Oktober 2008 festgelegten Entziehungsdauer für weitere vier Monate, mithin bis einschließlich 3. März 2009, die Lenkberechtigung entzogen worden sei.

Die Bestätigung eines derartigen neuerlichen Entziehungsausspruchs durch den angefochtenen Bescheid ist allerdings rechtswidrig, weil die erstinstanzliche Behörde im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides vom 23. Februar 2009 nicht ermächtigt war, die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers, die mit Ablauf der ursprünglichen Entziehungsdauer am 3. November 2008 bereits wieder aufrecht war, rückwirkend ab 4. November 2008 (bis zum 3. März 2009) zu entziehen (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2009, Zl. 2007/11/0009). Eine solche Ermächtigung kann auch aus § 28 Abs. 1 Z. 2 FSG nicht abgeleitet werden.

Sollte die Erstbehörde aber mit dem Bescheid vom 23. Februar 2009, entgegen der Deutung der belangten Behörde, keine rückwirkende Entziehung, sondern bloß eine Entziehung für den kurzen Zeitraum zwischen der Erlassung des Bescheides und dem prognostizierten Wiedererlangen der Verkehrszuverlässigkeit ab 3. März 2009 ausgesprochen haben, so erwiese sich die Bestätigung dieses Bescheides durch den angefochtenen Bescheid ebenfalls als rechtswidrig. Damit läge dem erstinstanzlichen Bescheid nämlich zugrunde, dass die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers ab Erlassung dieses Bescheides für einen Zeitraum von weniger als drei Monaten andauern werde. In einem solchen Fall ist aber die Entziehung der Lenkberechtigung - von den in § 26 FSG umschriebenen Sonderfällen abgesehen - gemäß § 25 Abs. 3 FSG nicht zulässig (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2009, Zl. 2007/11/0042).

Es kann dahingestellt bleiben, welcher Deutung des erstinstanzlichen Bescheides vom 23. Februar 2009 der Vorzug zu geben ist, weil der diesen bestätigende angefochtene Bescheid aus den dargelegten Gründen jedenfalls rechtswidrig ist.

2.3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 26. Jänner 2010

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