VwGH 2008/21/0484

VwGH2008/21/048421.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. September 2007, Zl. 149.130/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §21;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §21;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1982 geborene, in Österreich bislang unstrittig nicht berufstätige Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 20. Dezember 2001 in das Bundesgebiet ein. Ihm waren Aufenthaltstitel zum Zweck "Student" bzw. "Ausbildung, § 7 Abs. 4 Z. 1 FrG" mit verlängerter Gültigkeit (zuletzt) bis zum 30. November 2003 erteilt worden. Danach war er, ohne über einen Aufenthaltstitel zu verfügen, im Bundesgebiet verblieben.

Am 8. Februar 2005 stellte er an die Bundespolizeidirektion Graz einen "Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung/eines Niederlassungsnachweises" für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta.-Ö, § 49 Abs. 1 FrG". Dabei bezog er sich auf seine österreichische Adoptivmutter G. sowie - im fortgesetzten Verfahren - auf seinen Vater V., einen (seit 18. April 2005) österreichischen Staatsbürger, der für ihn am 14. November 2006 eine Haftungserklärung iSd § 2 Abs. 1 Z. 15 NAG abgab.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 18. September 2007 wies die belangte Behörde diesen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 und 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG ab.

Begründend führte sie - auf das im vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zusammengefasst - aus, gemäß § 81 Abs. 1 NAG sei das vorliegende, bei Inkrafttreten dieses Gesetzes (am 1. Jänner 2006) noch anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. Der Beschwerdeführer sei nach dem Ende seiner Aufenthaltserlaubnis (30. November 2003) unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben. Die vorliegende Antragstellung vom 8. Februar 2005 sei als Erstantrag zu werten. Der 1982 geborene Beschwerdeführer hätte als Angehöriger von Österreichern, die in Österreich dauernd wohnhaft seien und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukomme, gemäß § 21 Abs. 1 NAG den Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet im Ausland einbringen und die Entscheidung über seinen Antrag im Ausland abwarten müssen.

Humanitäre Gründe iSd § 72 NAG - so argumentierte die belangte Behörde weiter - lägen nicht vor: Der Umstand, dass der leibliche Vater und die Wahlmutter des Beschwerdeführers österreichische Staatsbürger seien, begründe keinen humanitären Aspekt. Dasselbe gelte für den Mangel familiärer Anknüpfungspunkte im Heimatstaat oder die Befürchtung, bei einer Rückkehr dorthin zur Ableistung des Militärdienstes herangezogen zu werden, zumal diese allgemeine Pflicht eines Staatsbürgers keine Gefahr iSd § 50 FPG begründe. Eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen. Anzumerken sei schließlich, dass der Beschwerdeführer die in der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) festgelegten Voraussetzungen nicht erfülle und daher auch kein Recht auf Freizügigkeit nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften in Anspruch nehmen könne.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. Juni 2008, B 1905/07-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, dass zur Zeit seiner Antragseinbringung noch das FrG gegolten habe, auf Grund dessen er den gegenständlichen Antrag im Inland habe stellen dürfen. Dem ist zu entgegnen, dass den Bestimmungen des NAG kein Rückwirkungsverbot zu entnehmen ist. Vielmehr sind gemäß § 81 Abs. 1 NAG Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (am 1. Jänner 2006) anhängig sind, nach den Bestimmungen des NAG zu Ende zu führen (vgl. dazu im vorliegenden Zusammenhang etwa die hg. Erkenntnisse vom 25. September 2007, Zl. 2007/18/0283, und vom 10. Dezember 2008, Zl. 2008/22/0127).

Zwar konnte die während des Geltungsbereiches des FrG erfolgte Antragstellung im Inland - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht schädlich sein. Jedoch hätte sich der Beschwerdeführer ab dem Inkrafttreten des NAG am 1. Jänner 2006 im Ausland aufhalten müssen. § 21 NAG normiert nämlich nicht nur die Pflicht zur Auslandsantragstellung, sondern insbesondere auch die Pflicht, die Entscheidung im Ausland abzuwarten. Letzterem Erfordernis ist der Beschwerdeführer unstrittig nicht nachgekommen, weshalb der unrichtigen Beurteilung seines früheren Verhaltens jede Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens fehlt.

Soweit die Beschwerde (vor allem) der Erstbehörde in diesem Zusammenhang Willkür (überlanges Zuwarten mit der Entscheidung) vorwirft, kann sie hieraus nichts gewinnen, weil auch ein derartiges Zuwarten nichts an den sich aus der maßgeblichen Rechtslage ergebenden Rechtsfolgen ändern und damit die Rechtswidrigkeit eines auf dieser Grundlage erlassenen Bescheides bewirken könnte (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2007, Zl. 2007/18/0283). Die Partei ist hierbei - im Fall des Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen - auf Säumnisbehelfe oder Amtshaftung zu verweisen.

Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang zitierten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes schließen es - soweit überhaupt einschlägig - letztlich nur aus, den seinerzeitigen Antrag als "unzulässig" zu beurteilen. Der ab 1. Jänner 2006 bestehenden Verpflichtung, die Entscheidung im Ausland abzuwarten, steht das nicht entgegen.

Das Recht, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland abzuwarten, kommt im vorliegenden Fall somit nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene "Antragstellung" im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, Zlen. 2008/22/0265 bis 0267).

Der Begründung des angefochtenen Bescheides, derartige humanitäre Gründe seien zu verneinen, ist gerade noch zu entnehmen, dass die belangte Behörde eine Abwägung nach Art. 8 EMRK vorgenommen hat. Aus dem festgestellten Sachverhalt ist jedoch entgegen der Beschwerdeansicht nicht abzuleiten, dass durch die Verweigerung, die Entscheidung über den Antrag im Inland abwarten zu dürfen, in unzulässiger Weise in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers nach Art. 8 EMRK eingegriffen wird.

Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nämlich zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer erst seit Dezember 2001 (damals zum Zweck eines Studiums, also von vornherein nur auf vorübergehende Dauer angelegt) im Bundesgebiet aufhält und er seiner Ausreiseverpflichtung nach dem Ende des Rechts zum Aufenthalt, also nach Ablauf des November 2003, nicht nachgekommen ist. Eine berufliche Integration des unverheirateten und kinderlosen Beschwerdeführers wird nicht behauptet. In Gesamtbetrachtung der vorliegenden Umstände (vgl. zu den weiteren Aspekten der erreichten Integration das die Ausweisung des Beschwerdeführers betreffende hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2008/21/0557) reichen die - neben einem mittlerweile erfolgten Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache vor allem ins Treffen geführten - Beziehungen zu Freunden und Bekannten im Bundesgebiet (insbesondere seiner österreichischen Lebensgefährtin) sowie zu seiner Wahlmutter und zum leiblichen Vater, der ihm laufend Unterhalt gewährt, nicht aus, um sein Interesse an einem Verbleib in Österreich höher zu werten als das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, gegen das der Beschwerdeführer verstoßen hat. Finanzielle Unterstützungen durch den Vater könnten auch nach einer Ausreise fortgesetzt werden. Der Eingriff in das Familienleben mit den Eltern bzw. der Wahlmutter wird im Übrigen dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer längst volljährig ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. September 2010, Zl. 2008/22/0745).

Soweit die Beschwerde schließlich eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darin erblickt, dass die Ausübung des Freizügigkeitsrechtes durch die Angehörigen des Beschwerdeführers nicht ausreichend geprüft worden sei, wird nicht einmal vorgebracht, zu welchen Feststellungen ergänzende Erhebungen konkret geführt hätten. Es fehlt somit schon deshalb die Darstellung einer Relevanz für den Ausgang des Verfahrens.

Die belangte Behörde hat den Antrag des Beschwerdeführers somit im Ergebnis zu Recht unter Hinweis auf § 21 NAG abgewiesen. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Dezember 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte