VwGH 2008/20/0409

VwGH2008/20/04097.10.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 6/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. März 2008, Zl. 316.673-1/5E-XVII/55/08, betreffend §§ 3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §3;
AsylG 2005 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §3;
AsylG 2005 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger christlichen Glaubens, brachte am 21. Jänner 2007 als Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er zusammengefasst an, nach dem Tod seines Vaters - welcher Mitglied der "Reformed Ogboni Fraternity (ROF)" gewesen sei - hätte man ihn zwingen wollen, diesem nachzufolgen und dessen Frau zu heiraten. Mit Hilfe eines Priesters habe er fliehen können.

Mit Bescheid vom 17. Dezember 2007 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers ab, gewährte ihm weder den Status des Asylberechtigten noch des subsidiär Schutzberechtigten und wies ihn nach Nigeria aus. Begründend stützte sich das Bundesasylamt ausschließlich auf die Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte sich der Beschwerdeführer gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung. Darüber hinaus bestritt er das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative, das er schon vor dem Bundesasylamt in Abrede gestellt hatte, substantiiert unter Hinweis auf seine Minderjährigkeit und unter Wiedergabe von Länderberichten. Schließlich beantragte der Beschwerdeführer die Anberaumung einer Berufungsverhandlung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer Verhandlung vollinhaltlich ab. Die vom Bundesasylamt getroffenen Länderfeststellungen wurden zum Inhalt des angefochtenen Bescheides erhoben; der erstinstanzlichen Beweiswürdigung schloss sich die belangte Behörde aber nicht an, da die vom Bundesasylamt aufgezeigten Widersprüche "lediglich Nebenaspekte (und nicht den Kern des Fluchtvorbringens)" betroffen hätten. Auf Basis des Vorbringens des Beschwerdeführers ging die belangte Behörde zwar von dessen Verfolgung aus, bejahte aber entgegen den Berufungsausführungen das Vorliegen einer innerstaatlicher Fluchtalternative. Einer Berufungsverhandlung habe es nicht bedurft, weil der Sachverhalt als geklärt anzusehen sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde macht unter anderem als Verfahrensmangel eine Verletzung der Verhandlungspflicht der belangten Behörde - insbesondere zum Thema der innerstaatlichen Fluchtalternative - geltend und ist damit im Recht.

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhalts gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2008, Zlen. 2008/19/0216, 0217, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist der Beschwerdeführer in seiner Berufung der Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative unter Wiedergabe von Dokumentationsmaterial konkret entgegen getreten. Die belangte Behörde hat es - im Rahmen der Auseinandersetzung mit diesem Berufungsvorbringen - auch für erforderlich gehalten, erstmals Überlegungen zur wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit des minderjährigen Beschwerdeführers anzustellen. Schon aus diesen Gründen ist die von der belangten Behörde geäußerte Annahme, der Sachverhalt sei "gemessen an den vom Verwaltungsgerichtshof dazu

aufgestellten Kriterien ... als geklärt zu betrachten", nicht

vertretbar (zu diesen Kriterien s. die oben zitierte Judikatur). Da die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers als wahr unterstellt hat und von dessen (regional begrenzter) asylrelevanter Verfolgung ausgegangen ist, kommt der Frage, ob ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative offen steht und als Minderjährigem auch zumutbar ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0357), entscheidende Bedeutung zu. Es kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass bei Einhaltung der Verhandlungspflicht ein anderes Verfahrensergebnis erzielt worden wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am 7. Oktober 2010

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