Spruch:
Der hinsichtlich Spruchpunkt 1. (Abweisung der Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997) angefochtene Bescheid wird in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer, einem afghanischen Staatsangehörigen, gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) subsidiärer Schutz gewährt und gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkte 2. und 3.). Gleichzeitig wurde sein Asylantrag vom 30. Mai 2001 gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt 1.). Dazu führte die belangte Behörde aus, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei in sich stimmig und glaubwürdig gewesen. Ausgehend davon stellte sie fest (Schreibfehler im Original):
"Während der Zeit der Taliban hatte der Asylwerber mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft eine Beziehung. Als er dabei beobachtet worden war, sind die Taliban verständigt worden. Schon kurze Zeit, nachdem das Mädchen gekommen ist, sind die Taliban gekommen, und der Asylwerber wurde festgenommen. Sie brachten ihn in den Distrikt Rashidian. Die Taliban wollten von ihm, dass er ein Geständnis ablege. Er wurde hierauf die ganze Nacht geschlagen und gefoltert. Irgendwann am nächsten Tag sind die Taliban wieder gekommen und wollten ihn nochmals befragen. Er habe aber wiederum gesagt, dass er nichts getan habe und das Mädchen nur zu ihm gekommen sei und sie nur gesprochen hätten. Er wurde daraufhin nach Ghazni gebracht. Dort wurde er ebenfalls befragt und geschlagen. Bei seiner ersten Befragung hat er noch nichts zugegeben, aber irgendwann nach Mitternacht, seien die Taliban gekommen und hätten ihn wieder gefragt und gefoltert. Er ist am Ende seiner Kräfte gewesen und hat schließlich die Beziehung zugegeben. Am nächsten Tag kamen dann zwei Taliban zu ihm, und sagten ihm, dass er mit ihnen zu ihrem Kommandanten gehe müsse. Der Berufungswerber erkannte seine letzte Chance, zerschlug ein Fenster, durch welches er sprang. Er gelangte so in einen Hof und flüchtete über eine Mauer. Er hörte zwar Schüsse, wurde jedoch nicht getroffen. Unter einer Brücke in einem Bach versteckte sich der Asylwerber bis es dunkel wurde. Er konnte schließlich zu einem Freund gelangen, der ihn mehrere Tage versteckte und ihm schließlich zur Flucht aus Afghanistan verhalf. Der Asylwerber hat nun Racheakte seitens der Brüder des Mädchens zu befürchten. Der Asylwerber leidet an einer psychischen Erkrankung, weswegen er bereits in stationärer Behandlung im Krankenhaus in Braunau gewesen ist. In der Folge musste er in den geschützten Bereich des Wagner-Jauregg-Krankenhauses Linz transferiert werden. Der Asylwerber befindet sich auch derzeit in medizinischer Behandlung."
Anschließend traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage in Afghanistan.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dem Beschwerdeführer sei subsidiärer Schutz zu gewähren. Einerseits sei er durch die Familie des Mädchens gefährdet, wovor ihn der Staat nach den Feststellungen nicht in ausreichendem Maß schützen könne, und andererseits sei die Versorgungslage im gesamten Land insbesondere für Personen wie den Beschwerdeführer, die unter einer psychischen Erkrankung litten, derart prekär, dass eine ihm drohende Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Sein Asylantrag sei jedoch nicht berechtigt, weil sich aus dem festgestellten Sachverhalt keine Gefährdung des Beschwerdeführers aus asylrechtlich relevanten Motiven ergebe. Der Umstand, dass von staatlicher Seite kein Schutz zu erwarten sei, vermöge ein asylrechtlich relevantes Motiv nicht zu ersetzen. Dass der Beschwerdeführer außerehelichen Geschlechtsverkehr gehabt habe und nunmehr von der Familie des betreffenden Mädchens verfolgt werde, sei keine Verfolgung aus politischen Gründen. Nicht jeder Verstoß gegen eine Ordnung bzw. gegen in Afghanistan vorherrschende Wertvorstellungen könne schon als Ausdruck einer politischen Meinung angesehen werden, würde dies doch bedeuten, dass jeder, der etwa gegen strafrechtliche Vorschriften verstoße, im Falle einer Strafverfolgung wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt werde. Der Beschwerdeführer habe aber im gegenständlichen Fall nicht betont, dass er durch seine außereheliche Beziehung gegen die in Afghanistan vorherrschenden Wertvorstellungen auftreten habe wollen oder diesen gegenüber auch nur reserviert eingestellt sei. Im Gegenteil habe er sein diesbezügliches Verhalten bereut. Der Beschwerdeführer habe zwar behauptet, dass er von den Taliban wegen seiner Tat Nachstellungen zu befürchten habe, doch seien die Taliban mittlerweile gestürzt worden, weshalb eine Gefährdung durch die Taliban nicht mehr ausreichend wahrscheinlich sei. Außereheliche Beziehungen könnten im Allgemeinen nicht schon als Ausdruck einer politischen Meinung angesehen werden. Anders als im Falle des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Mai 2004, Zl. 2001/20/0256, bestehe hier kein Anhaltspunkt, dass dem Beschwerdeführer ein Abweichen der von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung unterstellt werde, ergebe sich doch aus den Feststellungen, dass seitens des Staates Ehrenmorde verfolgt würden, wenngleich nicht verkannt werde, dass der Staat nicht in ausreichendem Maße schützen könne. Der Beschwerdeführer könne für sich - aus näher dargestellten Gründen - auch nicht geltend machen, als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden.
Gegen Spruchpunkt 1. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde tritt der Rechtsauffassung der belangten Behörde zur Asylrelevanz des festgestellten Sachverhalts entgegen. Es sei zwar richtig, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgung aus "rein politischen Gründen" drohe. Dennoch habe er durch sein Handeln massiv gegen die Wertvorstellungen der islamischafghanischen Gesellschaft verstoßen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe ihm deshalb Verfolgung, Misshandlung, Folterung und letztendlich die Todesstrafe, zumal in Afghanistan weiterhin islamisches Recht bestehe und für gewisse "Vergehen", worunter auch nichteheliche sexuelle Beziehungen fielen, die Todesstrafe angedroht sei. Dass die Taliban in Afghanistan wieder die überwiegende Macht erlangt hätten, verstärke die Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer.
2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde - zumindest im Ergebnis - eine unrichtige rechtliche Beurteilung der belangten Behörde auf.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion in muslimischen Staaten das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Werte dienender Strafvorschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung besteht. Die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindliche Moralvorstellungen drohen, kann nämlich darauf hindeuten, dass diese Maßnahmen an eine dem Zuwiderhandeln gegen das Gebot vermeintlich zu Grunde liegende, dem Betroffenen unterstellte Abweichung von der ihm von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung anknüpfen. Es wurde auch bereits erkannt, dass nicht nur eine etwa wegen Ehebruchs drohende Steinigung, sondern auch die Auspeitschung eine unverhältnismäßige staatliche Reaktion auf die Abweichung von der von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung darstellt (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. April 2002, Zl. 2001/20/0361, mwN, vom 17. September 2003, Zl. 99/20/0126, und vom 6. Mai 2004, Zl. 2001/20/0256).
Ausgehend davon greift die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde zu kurz. Wenn sie argumentiert, der Beschwerdeführer habe durch seine Tat nicht gegen die islamische Wertvorstellung auftreten wollen, übersieht sie, dass es nicht auf das Wollen des Beschwerdeführers ankommt, sondern darauf, wie sein Verhalten im Herkunftsstaat beurteilt wird und ob darin eine zu Religion und Politik - allenfalls auch nur unterstellte - oppositionelle Gesinnung gesehen wird. Der belangten Behörde kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie - ohne nähere Feststellungen über die zu erwartende Bestrafung - keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen meint, dass dem Beschwerdeführer eine solche oppositionelle Gesinnung unterstellt würde, wäre doch - nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung - in einer unverhältnismäßigen Bestrafung eben jener Anhaltspunkt zu erblicken.
3. Die belangte Behörde verweist darauf, dass das Regime der Taliban, unter dem der Beschwerdeführer die Tat begangen hatte und von dem er auch tatsächlich verfolgt worden war, mittlerweile gestürzt worden sei und für den Beschwerdeführer keine Gefahr mehr darstelle. Dem tritt die Beschwerde entgegen, ohne jedoch aufzuzeigen, dass die Taliban im gesamten Herkunftsstaat des Beschwerdeführers einen solchen Machtfaktor darstellen würden, dass ihm bei Rückkehr von dieser Seite noch immer eine Verfolgung drohen würde.
4. Aufgrund ihrer unrichtigen Rechtsansicht unterließ es die belangte Behörde jedoch, Feststellungen darüber zu treffen, ob die (neuen) Machthaber im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers seine fluchtauslösende Tat noch unter Strafe stellen würden und ihm bei Rückkehr nach Afghanistan deshalb eine unverhältnismäßige Bestrafung im Sinne der obigen Rechtsgrundsätze drohen würde.
Der angefochtene Bescheid war deshalb - im Anfechtungsumfang -
gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 19. November 2010
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