VwGH 2007/13/0157

VwGH2007/13/015715.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der I O in W, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom 16. Oktober 2007, GZ. RV/0205-G/07, miterledigt RV/0206- G/07, RV/0325-G/07, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für 1999 bis 2002 und betreffend Einkommensteuer für 1999 bis 2002, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs4;
BAO §303 Abs1 litb;
BAO §303 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer für 2000 und 2001 und die Einkommensteuer für 2000 und 2001 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.286,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin erzielte als Lehrerin an einer berufsbildenden höheren Schule Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und war daneben ab 1989 als Rechtsanwältin tätig. Sie erklärte für die Jahre 1989 bis 1998 aus ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin negative Einkünfte aus selbständiger Arbeit.

Auch für das Streitjahr 1999 erklärte die Beschwerdeführerin negative Einkünfte aus selbständiger Arbeit; mit Bescheid vom 26. Juni 2001 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer dementsprechend fest.

Für das Streitjahr 2000 erklärte die Beschwerdeführerin, dass ihr aus selbständiger Arbeit abermals ein Verlust (von rund 212.000 S) entstanden sei.

Mit Vorhalt vom 19. Juli 2002 ersuchte das Finanzamt die Beschwerdeführerin im Rahmen der Veranlagung für das Jahr 2000, bekannt zu geben, welche Schritte sie unternommen habe, um - da seit 1989 die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit negativ seien - künftig höhere Erträge zu erwirtschaften. Weiters möge sie bekannt geben, ab wann mit einem Gesamtüberschuss gerechnet werden könne. Schließlich ersuchte das Finanzamt um eine Prognoserechnung.

Mit Schriftsatz vom 26. August 2002 antwortete die Beschwerdeführerin, zu Beginn ihrer Tätigkeit als selbständige Rechtsanwältin habe sie weder Geld noch Klienten gehabt. Die ersten Jahre seien äußerst mühsam gewesen. Sie habe keine entsprechenden Möglichkeiten gehabt, um über Empfehlungen zu geschäftlichen Kontakten zu gelangen. Ihre anfängliche Gutgläubigkeit habe zunächst dazu geführt, dass ihrem Arbeitseinsatz, wie auch allen Aufwendungen für den Unterhalt der Kanzlei, im Vergleich dazu nur geringe, tatsächlich vereinnahmte Honorarbeträge gegenübergestanden seien. Auch in weiterer Folge habe sich an dieser Entwicklung nicht viel geändert. Um besser "in das Geschäft zu kommen", habe sie in vielen Fällen auf ein Honoraraconto verzichten müssen, was dazu geführt habe, dass es ihr letztlich nicht möglich gewesen sei, erhebliche Beträge einbringlich zu machen, wobei dafür zB Todesfälle wie auch Insolvenzverfahren von Klienten Anlass gewesen seien, weshalb sie auf beträchtliche Honorarforderungen habe verzichten müssen. Dazu komme noch, dass die Zahlungsmoral im Verlauf der Jahre immer mehr gelitten habe. Aus der Vergangenheit bestünden auf Grund angestrengter Klagen gegen säumige Klienten Exekutionstitel über einen Betrag von rund 350.000 S. Bisher sei nur ein Teil davon tatsächlich wieder hereingekommen. Weiter stünden immer noch "alte" offene Honoraransprüche in der Höhe von rund 500.000 S aus, deren Durchsetzbarkeit in Frage stehe. Derzeit habe sie Honorarforderungen von rund 450.000 S und es werde ihr möglich sein, diesen Betrag auch tatsächlich in nächster Zelt hereinzubringen. Sie habe sich inzwischen derart umgestellt, dass sie ohne entsprechendes Aconto keinen Fall mehr übernehme, wobei dabei auch auf ihre Nervenkraft und auf ihre Gesundheit Bedacht zu nehmen sei. Sie übe zwei Berufe aus, wobei sie auf Grund verschiedener persönlicher Umstände zwischenzeitig den Beruf als Rechtsanwalt habe reduzieren müssen. Sie habe bereits viel Zeit und Energie in ihre Anwaltstätigkeit investiert und werde auch weiter arbeiten und ihr Bemühen werde zunehmend darauf gerichtet sein, in Bälde bessere Ergebnisse zu erwirtschaften. Dabei komme ihr sicher ihre doch schon viele Jahre andauernde Erfahrung zugute. Es sei in absehbarer Zeit sicherlich sowohl mit positiven Jahresbetriebsergebnissen als auch mit der Erzielung eines Gesamtgewinnes innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes zu rechnen.

Mit Bescheid vom 28. August 2002 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer für 2000 fest und berücksichtigte dabei den erklärten Verlust aus selbständiger Arbeit.

Auch für die Streitjahre 2001 und 2002 erklärte die Beschwerdeführerin Verluste aus selbständiger Arbeit und berücksichtigte das Finanzamt diese Verluste bei der Festsetzung der Einkommensteuer für diese beiden Jahre mit den Bescheiden vom 18. Juni 2003 und vom 9. Juni 2004.

In der Niederschrift über die am 17. August 2005 abgehaltene Schlussbesprechung anlässlich einer bei der Beschwerdeführerin u. a. hinsichtlich der Einkommensteuer für die Streitjahre 1999 bis 2002 durchgeführten Außenprüfung hielt der Prüfer unter Tz 1 ("Einkünfte aus s.A.") fest, nach seiner Ansicht stelle die Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Rechtsanwältin keine Einkunftsquelle dar, weshalb er die erklärten Verluste u.a. für die Jahre 1999 bis 2002 nicht anerkenne. Zu dieser Ansicht sei er aus folgenden Gründen gekommen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen u.a. in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Der Bescheid des Finanzamtes vom 14. März 2007 betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer für 2001 enthielt lediglich die formularmäßige Standardbegründung, das neue Tatsachen hervorgekommen seien, ohne diese Tatsachen darzulegen oder auf etwa einen Prüferbericht zu verweisen, in welchem sie dargelegt wären. Die gesonderte (ergänzende) Bescheidbegründung vom 15. Dezember 2006 betrifft lediglich die Wiederaufnahmebescheide vom selben Tag hinsichtlich der Einkommensteuer für 1999, 2000 und 2002. Daher erweist sich der angefochtene Bescheid, soweit er die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer für 2001 betrifft, als inhaltlich rechtswidrig. Aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid auch hinsichtlich der Festsetzung der Einkommensteuer für 2001 mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet. In diesem Umfang (Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer für 2001 und Festsetzung der Einkommensteuer für 2001) war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die auch für die weiteren Streitjahre als Wiederaufnahmsgründe herangezogenen Tatsachen des Standortes der Beschwerdeführerin und des "lokalen Umfeldes" stellen keine neuen Tatsachen dar. Die Qualifikation einer Infrastruktur als "schlecht" oder einer Klientel als "lukrativ und finanzkräftig" in einem bestimmten "lokalen Umfeld" für sich ist keine Tatsache. Die Tatsache des Kanzleisitzes und damit dieses Umfeldes ist dem Finanzamt aber seit Beginn der Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Rechtsanwältin bekannt gewesen.

Das Unterlassen strukturverbessernder Maßnahmen als solches könnte nur dann eine dem Finanzamt bisher nicht bekannte Tatsache gewesen sein, wenn das Finanzamt zuvor davon ausgegangen wäre, dass strukturverbessernde Maßnahmen gesetzt worden wären. Dass dies der Fall gewesen wäre, ist aber weder den Bescheiden des Finanzamtes noch dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen. Ob die Setzung strukturverbessernder Maßnahmen geboten gewesen wäre oder nicht, ist für die Frage unerheblich, ob eine Tatsache dem Finanzamt bekannt war oder nicht.

Mit den bisher genannten Wiederaufnahmsgründen durfte die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid rechtens daher nicht begründen.

Schließlich stützt die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid darauf, dass die Beschwerdeführerin durch persönliche Umstände gezwungen gewesen sei, ihren Beruf als Rechtsanwältin "zu reduzieren". Diese Tatsache ist der Abgabenbehörde der Aktenlage zufolge erstmals im Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 26. August 2002 betreffend die Veranlagung zur Einkommensteuer für 2000 bekannt geworden. Der danach erlassene Bescheid über die Festsetzung der Einkommensteuer für 2000 vom 28. August 2002 erging also, nachdem das Finanzamt von dieser Tatsache Kenntnis erlangte. Hinsichtlich der Einkommensteuer für 2000 durfte die belangte Behörde sich somit auch nicht auf diesen Umstand stützen, weil er in diesem Verfahren keine neu hervorgekommene Tatsache darstellte. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Einkommensteuer für 2000 und dementsprechend auch betreffend die Festsetzung der Einkommensteuer für 2000 als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er auch insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Dass die zuvor genannte Reduktion der Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Anwältin zufolge persönlicher Umstände der Abgabenbehörde schon vorher bekannt gewesen wäre, behauptet die Beschwerdeführerin nicht. Angesichts dessen erweist sich diese Tatsache hinsichtlich der Einkommensteuer für 1999, welche mit Bescheid vom 26. Juni 2001 festgestellt wurde, als neu hervorgekommene Tatsache, welche eine Wiederaufnahme rechtfertigen könnte.

Maßgebend für die Antwort auf die Frage, ob ein Sachverhalt der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren bekannt gewesen ist, ist der Wissensstand der Behörde im Verfahren betreffend das jeweilige Veranlagungsjahr (vgl. für viele die hg. Erkenntnisse vom 29. Juli 2010, 2006/15/0006, und vom 28. Oktober 2009, 2008/15/0049, mwN).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erweist sich der von der belangten Behörde herangezogene Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihre anwaltliche Tätigkeit habe reduzieren müssen, welcher der Abgabenbehörde im Schriftsatz vom 26. August 2002 betreffend die Veranlagung der Einkommensteuer für 2000 bekannt gegeben wurde, auch mit Rücksicht auf den Bescheid des Finanzamtes vom 9. Juni 2004 betreffend die Einkommensteuer für 2002 als durch die im Jahr 2005 durchgeführte Außenprüfung neu hervorgekommene Tatsache.

Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, der Wiederaufnahme sei Verjährung entgegengestanden, zeigt die belangte Behörde in der Gegenschrift zutreffend auf, dass die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer 1999 mit Ablauf dieses Jahres begonnen habe. Vor Ablauf dieser fünfjährigen Frist wurde der Aktenlage nach durch Erlassung des Einkommensteuerbescheides für 1999 vom 26. Juni 2001 eine Amtshandlung gesetzt, welche die Verjährungsfrist um ein Jahr bis Ende 2005 verlängerte. In diesem "Verlängerungsjahr" 2005 wurde durch die Außenprüfung neuerlich eine die Verjährungsfrist um ein weiteres Jahr verlängernde Amtshandlung gesetzt. Die vom Finanzamt mit Bescheid vom 15. Dezember 2006 letztlich verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens erweist sich daher als innerhalb der Verjährungsfrist erfolgt.

Die Beschwerdeführerin trägt vor, der jeweiligen Wiederaufnahme des Verfahrens sei entschiedene Sache entgegengestanden. Dabei übersieht sie, dass die Bescheide des Finanzamtes vom 5. September 2006 mit den Bescheiden des Finanzamtes vom 13. Dezember 2006 gemäß § 299 BAO mangels ausreichender Begründung und somit mangels Umschreibung der Tatsachen aufgehoben wurden und dass die Bescheide vom 26. August 2005 durch den Bescheid der belangten Behörde vom 3. August 2006 mit der selben Begründung aufgehoben worden waren. Damit liegt aber keine entschiedene Sache hinsichtlich der Wiederaufnahme mit Bescheid des Finanzamtes vom 15. Dezember 2006 vor, weil sich die seinerzeitigen - aufgehobenen - Wiederaufnahmen nicht auf die nunmehr als neu hervorgekommen herangezogenen Tatsachen gestützt haben.

Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die belangte Behörde führe im angefochtenen Bescheid aus, die Bescheide des Finanzamtes vom 5. September 2006 seien bekämpft, ist ihr entgegenzuhalten, dass im Spruch des angefochtenen Bescheides nicht diese, sondern die Bescheide vom 15. Dezember 2006 genannt sind und aus dem Gesamtzusammenhang der Begründung offensichtlich ist, dass der belangten Behörde an der einen von der Beschwerdeführerin gerügten Stelle in der Begründung des angefochtenen Bescheides ein offenkundiger Irrtum im Datum unterlaufen ist. Dieser einem Schreib- und Rechenfehler gleichzuhaltende Irrtum verletzt die Beschwerdeführerin nicht im geltend gemachten Recht auf Unterbleiben der Wiederaufnahme des Verfahrens.

Es bleibt sohin zu prüfen, ob die Behörde bei Kenntnis des als neu hervorgekommene Tatsache zu wertenden Umstandes, dass die Beschwerdeführerin durch persönliche Umstände die anwaltliche Tätigkeit habe reduzieren müssen, zu einem anders lautenden Bescheid hätte gelangen müssen.

Waren die von der belangten Behörde herangezogenen, nicht näher beschriebenen "persönlichen Umstände" der Beschwerdeführerin entscheidende Unwägbarkeiten, so waren sie für die bei der Liebhabereibeurteilung anzustellende Prognose eines Gesamtgewinnes insoweit ohne Bedeutung, als diese Umstände jedenfalls für Zeiten vor ihrem Eintritt nicht einzuberechnen sind. Die belangte Behörde - wie auch das Finanzamt - enthalten sich aber jeglicher Konkretisierung dieser näheren Umstände, insbesondere jeglicher Aussagen, wann diese Umstände eingetreten wären und wann die Auswirkung dieser Umstände in der Reduktion der anwaltlichen Tätigkeit eingetreten wäre. Somit ist die Prüfung nicht möglich, ob die Kenntnis dieser Umstände einen anders lautenden - nämlich einen von Liebhaberei ausgehenden - Bescheid herbeigeführt hätte.

Soweit der angefochtene Bescheid daher die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Festsetzung der Einkommensteuer für 1999 und 2002 betrifft, war er wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte aus den in § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG angeführten Gründen abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 15. Dezember 2010

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