VwGH 2006/18/0484

VwGH2006/18/048429.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und den Hofrat Dr. Enzenhofer sowie die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Beschwerde der J P H in X, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelder Straße 120/2/28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. Februar 2006, Zl. SD 1623/05, betreffend Ausweisung nach § 54 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
FrPolG 2005 §54 Abs1 Z2;
EMRK Art8;
NAG 2005 §30 Abs1;
NAG 2005 §55 Abs1;
VwRallg;
AVG §56;
FrPolG 2005 §54 Abs1 Z2;
EMRK Art8;
NAG 2005 §30 Abs1;
NAG 2005 §55 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 27. Februar 2006 wurde die Beschwerdeführerin, eine rumänische Staatsangehörige, gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin habe am 15. September 2005 einen Verlängerungsantrag betreffend eine Niederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "begünstigte Drittstaatsangehörige - § 49 Abs. 1 FrG 1997" eingebracht, über den bisher nicht entschieden worden sei. Könnte vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ausgegangen werden, läge im Sinn des § 54 Abs. 1 FPG ein Versagungsgrund für die mit Verlängerungsantrag beantragte Niederlassungsbewilligung vor (vgl. § 11 Abs. 1 Z. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005).

§ 30 Abs. 1 NAG bestimme, dass sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führten, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen dürften. Von dieser Gesetzesbestimmung seien nicht nur reine "Scheinehen" erfasst, sondern auch solche Ehen, bei denen die Absicht des Antragstellers auf das Führen eines gemeinsamen Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zwar im Zeitpunkt der Eheschließung gegeben gewesen sei, aber in der Folge weggefallen sei, ohne dass die Ehe aufgelöst worden sei. Ein solcher Fall liege hier vor.

So habe der Zeuge H. - der Ehemann der Beschwerdeführerin - in seiner Aussage vom 10. Juni 2005 seine Aussage vom 12. Oktober 2004 widerrufen und bestätigt, dass er eine sogenannte "Scheinehe" eingegangen wäre, um seiner Ehegattin die Erlangung einer Niederlassungsbewilligung zu ermöglichen. Es hätte nie einen gemeinsamen Wohnsitz und nie ein gemeinsames Familienleben gegeben.

Die Beschwerdeführerin habe in der Stellungnahme vom 30. Juni 2005 u.a. geschrieben, dass sie ihren Mann verlassen hätte, als dieser sie gezwungen hätte, der Prostitution nachzugehen, und seine Geldforderungen immer brutaler geworden wären. In ihrer Berufung vom 26. August 2005 habe sie vorgebracht, dass sie bis etwa April 2005 mit ihrem Mann zusammengelebt hätte, wie dies dem Wesen einer Ehe entspräche.

Am 17. Jänner 2006 sei die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem - wie sie ausdrücklich und wiederholt angegeben habe - Lebensgefährten K. erschienen und habe bei der Erstbehörde sinngemäß angegeben, dass ihr Ehemann sie ständig ausgenützt hätte und sie sich deshalb von ihm getrennt hätte, wobei ihr ihr jetziger Lebensgefährte geholfen hätte.

In Ausübung der freien Beweiswürdigung komme die belangte Behörde zum Ergebnis, es sei im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG davon auszugehen, dass das Ehepaar spätestens seit April 2005 und zur Zeit kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führe, zumal auch das Eingehen einer Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann durchaus dagegen spreche. Ob seit der Eheschließung bis April 2005 ein derartiges Familienleben geführt worden sei, sei für die Anwendung des § 30 Abs. 1 NAG und des § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG belanglos. Der Verlängerung des Aufenthaltstitels für den beantragten Zweck stehe der Versagungsgrund des Bestehens einer Aufenthaltsehe entgegen.

In Bezug auf die Interessenabwägung nach § 66 FPG und die Ermessensübung nach § 54 Abs. 1 leg. cit. führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2003 ständig im Bundesgebiet lebe und sich laut ihren Angaben vorher sichtvermerksfrei hier aufgehalten habe. Ihr am 7. Juni 1989 geborene Sohn C. lebe seit August 2004 - offensichtlich im Wege der Familienzusammenführung - ebenfalls in Österreich. Seine Niederlassungsbewilligung (erstmals beantragt am 17. Juni 2004) habe er von der (damaligen) Zuerkennung der Eigenschaft einer begünstigten Drittstaatsangehörigen an die Beschwerdeführerin abgeleitet. Er sei mit Bescheid der belangten Behörde vom 27. Februar 2006 ebenfalls rechtskräftig aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Die Beschwerdeführerin stehe in einem Beschäftigungsverhältnis und sei auch selbstständig tätig. Eine legale Berufstätigkeit habe sie nur auf Grund der Aufenthaltsehe mit einem Österreicher ausüben können, sodass diese Beschäftigung zu vernachlässigen sei.

Auf Grund ihres bloß etwa dreijährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sei von einem minder bedeutenden Eingriff in ihr Privat- bzw. Familienleben auszugehen, welcher sich jedoch dennoch als dringend geboten erweise. Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Der Umstand, dass die Ehe der Beschwerdeführerin wahrscheinlich nur zum Schein geschlossen worden sei, aber mit Sicherheit nur deshalb rein formal aufrechterhalten werde, um ihr und deren Sohn - weiterhin - aufenthalts- und arbeitsrechtliche Vorteile zu sichern, und die Eheleute offensichtlich kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führten, verstärke jene Argumente, die eine für die Beschwerdeführerin negative Ermessensentscheidung zuließen.

Die nach § 53 Abs. 1 FPG zu treffende Ermessensentscheidung habe daher unter Berücksichtigung des § 66 Abs. 1 leg. cit. zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausfallen müssen.

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluss vom 28. November 2006, B 707/06).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In Beantwortung der hg. Anfrage vom 26. April 2010, ob sich die Beschwerdeführerin im Hinblick auf den Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union mit 1. Jänner 2007 noch als durch den angefochtenen Bescheid in subjektiven Rechten verletzt erachte, brachte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 12. Mai 2010 vor, dass der Ausweisungsbescheid gegen sie noch aufrecht sei und sie durch diesen Bescheid im Recht auf freien Aufenthalt verletzt sei. Die weitere Aufforderung zur Stellungnahme vom 26. April 2010 hinsichtlich der Frage, ob der Beschwerdeführerin als EWR-Bürgerin ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht zukomme, wurde von der belangten Behörde nicht beantwortet.

Im Hinblick darauf kann die Möglichkeit der Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid nicht ausgeschlossen werden, sodass über die Beschwerde meritorisch zu entscheiden ist, wobei der angefochtene Bescheid nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage bei dessen Erlassung zu beurteilen ist.

2. Gemäß der u.a. mit "Aufenthaltsehe" überschriebenen Bestimmung des § 30 Abs. 1 NAG dürfen sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen.

Eine "Aufenthaltsehe" im Sinn dieser Gesetzesbestimmung liegt somit dann vor, wenn sich ein Fremder für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels auf eine von ihm geschlossene Ehe beruft, er in diesem Zeitpunkt jedoch kein gemeinsames Familienleben mit seinem Ehegatten im Sinn Art. 8 EMRK führt.

Gemäß § 11 Abs. 1 Z. 4 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn (u.a.) eine Aufenthaltsehe vorliegt. Gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

3. Die Beschwerdeführerin bestreitet im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass sie am 15. September 2005 einen Verlängerungsantrag betreffend eine Niederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "begünstigte Drittstaatsangehörige - § 49 Abs. 1 FrG 1997" eingebracht und (zumindest) im Zeitraum seit April 2005 nicht mit ihrem österreichischen Ehegatten zusammengelebt sowie mit diesem kein tatsächliches gemeinsames Familienleben geführt hat. Vielmehr bringt die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeergänzung vor, dass sie zwar nach April 2005 eine gesonderte "Wohnnahme durchgeführt" habe, sonstige eherechtliche Beziehungen jedoch weiterhin aufrecht seien.

Dieses Vorbringen vermag die obgenannte Annahme der belangten Behörde hinsichtlich des Fehlens eines tatsächlich geführten Familienlebens nicht zu erschüttern, konkretisiert die Beschwerdeführerin doch nicht, worin sich diese eherechtlichen Beziehungen - sieht man vom formalen Eheband ab - in tatsächlicher Hinsicht (so z.B. Leistung des ehelichen Beistandes) manifestiert haben.

Im Hinblick darauf begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin den Tatbestand des § 30 Abs. 1 NAG ("Aufenthaltsehe") und jenen des § 11 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. erfüllt hat, keinen Bedenken. Im Hinblick darauf ist auch die weitere Beurteilung, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG erfüllt seien, nicht zu beanstanden.

Wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, dass der angefochtene Bescheid deshalb rechtswidrig sei, weil sie nunmehr EWR-Bürgerin sei, verkennt sie, dass der angefochtene Bescheid - wie oben bereits ausgeführt - nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage bei dessen Erlassung zu beurteilen ist. Sollte ihr als EWR-Bürgerin ein Aufenthaltsrecht (vgl. dazu insbesondere § 55 Abs. 1 NAG) nunmehr zukommen, wäre ihr Aufenthalt nachträglich legalisiert worden. Dies könnte jedoch bei der meritorischen Erledigung der Beschwerde nicht berücksichtigt werden. Im Hinblick darauf bestand keine Veranlassung, der Anregung der Beschwerdeführerin zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens zu entsprechen.

4. In Bezug auf die Interessenabwägung nach § 66 FPG enthält die Beschwerdeergänzung kein weiteres konkretisierendes Vorbringen. Auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde zu der Dauer des inländischen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin und ihren sonstigen in Österreich vorhandenen Bindungen - auch ihr Sohn C. wurde mit rechtskräftigem Bescheid der belangten Behörde vom 27. Februar 2006 ausgewiesen -, erscheint ihre Ausweisung auch unter dem Blickwinkel des § 66 FPG nicht als unzulässig.

5. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG zusammengesetzten Senat - gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 29. Juni 2010

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