VwGH 2004/10/0024

VwGH2004/10/002426.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner sowie den Senatspräsidenten Dr. Novak und den Hofrat Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde des F R in N, vertreten durch Dr. Michaela Iro, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Invalidenstraße 13/1/5/15, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland vom 5. Juni 2003, Zl. E HG1/08/2003.013/002, betreffend Übertretung des Burgenländischen Naturschutz- und Landschaftspflegegesetzes 1990, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art6 Abs1;
EMRK Art6;
StGB §34 Abs2;
VStG §19 Abs2;
VStG §19;
VStG §51e;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
EMRK Art6 Abs1;
EMRK Art6;
StGB §34 Abs2;
VStG §19 Abs2;
VStG §19;
VStG §51e;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Strafausspruches wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und hinsichtlich seines Schuldspruches wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Burgenland hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im ersten Rechtsgang war der Beschwerdeführer der Verwaltungsübertretung nach § 78 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit § 5 lit. a des Burgenländischen Naturschutz- und Landschaftspflegegesetzes 1990 (in der Folge: NatSchG) schuldig erkannt worden. Dieser Bescheid war vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 25. Februar 2003, Zl. 2001/10/0077, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben worden, weil die belangte Behörde verkannt hatte, dass das festgestellte Verhalten des Beschwerdeführers dem § 78 Abs. 1 lit. b NatSchG in Verbindung mit § 3 der Natur- und Landschaftsschutzverordnung Neusiedler See, LGBl. Nr. 23/1980 (in der Folge: NatLSchV) zu subsumieren war; des Näheren wird auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 25. Februar 2003 verwiesen.

Mit dem daraufhin ergangenen (Ersatz-)Bescheid vom 5. Juni 2003 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe,

"wie anlässlich einer naturschutzbehördlichen Überprüfung am 09.06.1999 festgestellt wurde, auf dem Grundstück Nr. 5757/111 der KG N., das im rechtswirksamen Flächenwidmungsplan der Gemeinde N. als 'BEF - Bauland-Erholung-Fremdenverkehr' ausgewiesen ist und im Natur- und Landschaftsschutzgebiet N. liegt, ein Gebäude, und zwar ein Bootshaus im Ausmaß von ca. 7 m x 10 m errichtet, ohne im Besitz einer naturschutzbehördlichen Bewilligung gewesen zu sein."

Dem Beschwerdeführer wurde vorgeworfen, er habe damit eine Verwaltungsübertretung gemäß § 3 NatLSchV in Verbindung mit § 78 Abs. 1 lit. b NatSchG begangen zu haben. Es wurde eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 726,73 (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 66 Stunden) verhängt.

In der Begründung hob die belangte Behörde nach Wiedergabe der (nunmehr) angewendeten Rechtsgrundlagen hervor, der Wortlaut des § 3 NatLSchV zeige, dass Bauvorhaben aller Art in dem in § 1 bezeichneten Gebiet einer Genehmigung der Landesregierung bedürften. Die Errichtung eines Bootshauses im Ausmaß von ca. 7 m x 10 m sei dabei unter den umfassenden Begriff des "Bauvorhabens aller Art" zu subsumieren, sei doch darunter jede durch bauliche Maßnahmen hergestellte Anlage zu verstehen. Für die Errichtung des Bootshauses sei daher eine naturschutzbehördliche Bewilligung erforderlich gewesen. Dabei komme es nicht darauf an, ob für diesen Bereich ein Teilbebauungsplan der Gemeinde vorliege oder dieser Bereich auch nur eine eingeschränkte landschaftliche Sensibilität aufweise. Es obliege vielmehr der Naturschutzbehörde, im Einzelfall zu prüfen, ob das beantragte Gebäude im Interesse des Natur- und Landschaftsschutzes genehmigt werden könne. Unter diesen Umständen sei der Beschwerdeführer verpflichtet, vor Errichtung des Bootshauses eine naturschutzbehördliche Bewilligung einzuholen. Dies habe er allerdings unterlassen. Damit habe der Beschwerdeführer aber in objektiver Hinsicht die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung begangen. Bei dem dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verstoß handle es sich um ein sogenanntes Ungehorsamsdelikt im Sinne des § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG. Bei einem solchen Delikt bestehe von vornherein die Vermutung des Verschuldens (in Form fahrlässigen Verhaltens) des Täters, welche von ihm in der Weise widerlegt werden könne, dass er sein mangelndes Verschulden glaubhaft mache. Diesbezüglich habe der Beschwerdeführer aber nichts Sachdienliches vorgebracht.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der deren Behandlung mit Beschluss vom 3. Dezember 2003, B 1017/03-5, abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde wird beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen hat, hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Schuldspruch

§ 51e VStG, BGBl. Nr. 52/1991, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 65/2002, lautet auszugsweise:

"Öffentliche mündliche Verhandlung (Verhandlung)

§ 51e. (1) Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn

1. der Antrag der Partei oder die Berufung zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, daß der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist;

2. der Devolutionsantrag zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(3) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von einer Berufungsverhandlung absehen, wenn

1. in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder

  1. 2. sich die Berufung nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder
  2. 3. im angefochtenen Bescheid eine 500EUR nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

    4. sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Berufungswerber hat die Durchführung einer Verhandlung in der Berufung zu beantragen. Etwaigen Berufungsgegnern ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Der unabhängige Verwaltungssenat kann ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn er einen verfahrensrechtlichen Bescheid zu erlassen hat, die Akten erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten läßt, und dem nicht Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, entgegensteht.

(5) Der unabhängige Verwaltungssenat kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

(6) ..."

Die Beschwerde macht mit näherer Begründung geltend, die belangte Behörde habe keine mündliche Verhandlung durchgeführt, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung nicht vorgelegen wären.

Bereits mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Der angefochtene Bescheid enthält keine Begründung für den Entfall einer mündlichen Verhandlung (§ 51 Abs. 2 VStG) oder das Absehen von der Berufungsverhandlung (§ 51 Abs. 3 bis 5 VStG). Die in § 51 Abs. 2, 4 und 5 VStG genannten Gründe sind nach Lage des Beschwerdefalles nicht in Betracht zu ziehen. Es lag aber auch kein Fall des § 51 Abs. 3 VStG vor.

Zum einen beschränkte sich die Berufung nicht auf einen der in § 51e Abs. 1 bis 4 VStG angeführten Inhalte. Zum anderen lag aber auch die Tatbestandsvoraussetzung "keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat", nicht vor. Nach Lage der Akten war der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten; der Vertretungshinweis im Kopf des angefochtenen Bescheides erfolgte offenbar im Hinblick auf die anwaltliche Vertretung des Beschwerdeführers im (ersten) verwaltungsgerichtlichen Verfahren und somit irrig. Im Fall eines nicht anwaltlich vertretenen Beschuldigten führt die Unterlassung der Antragstellung auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht zum Verlust der Rechte auf die in Strafsachen grundsätzlich garantierte mündliche Verhandlung (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. September 2008, Zl. 2006/09/0110 mwN). Die Voraussetzungen für das Absehen von der Berufungsverhandlung lagen daher nicht vor.

Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich der Schuldfrage gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

2. Strafausspruch

Gemäß § 19 Abs. 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Nach § 19 Abs. 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechts sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach - unter Hinweis auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes - ausgesprochen, dass im Falle einer Überschreitung der nach Art. 6 Abs. 1 EMRK angemessenen Verfahrensdauer dieser Umstand in Anwendung des § 19 VStG in Verbindung mit § 34 Abs. 2 StGB als strafmildernd zu bewerten ist; andernfalls wäre das Gesetz bei der Strafbemessung in einer dem Art. 6 Abs. 1 EMRK widersprechenden Weise angewendet worden (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Dezember 2001, VfSlg. 16.385/2001, und vom 9. Juni 2006, VfSlg. 17.854/2006; vgl. ferner die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 2007, Zl. 2006/03/0155, und vom 14. Dezember 2009, Zl. 2006/10/0250, jeweils mwH).

Wie der Verfassungsgerichtshof in den zitierten Erkenntnissen festgehalten hat, ist der Rechtsprechung des EGMR keine feste Obergrenze für die Angemessenheit einer Verfahrensdauer zu entnehmen, bei deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK anzunehmen wäre. Aus der Gesamtschau der diesbezüglichen Rechtsprechung ergebe sich aber, dass eine Verfahrensdauer von mehr als fünf Jahren nur in seltenen Fällen als angemessen angesehen wird, wobei nach der Rechtsprechung des EGMR und des Verfassungsgerichtshofes auch das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in die zu beurteilende Verfahrensdauer einzurechnen ist (vgl. auch dazu die bereits oben zitierten Erkenntnisse vom 5. Dezember 2001 und vom 9. Juni 2006).

Die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist dabei an Hand der besonderen Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens der Partei und der staatlichen Behörden im betreffenden Verfahren und der Bedeutung der Sache für die Partei zu beurteilen. Die maßgebliche Frist beginnt, sobald die Partei durch offizielle Mitteilung oder auch in sonstiger Weise in Kenntnis gesetzt wird, dass gegen sie wegen des Verdachts, eine strafbare Handlung begangen zu haben, Ermittlungen mit dem Ziel strafrechtlicher Verfolgung durchgeführt werden (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. November 2008, Zl. 2003/10/0002, und vom 24. Juni 2009, Zl. 2008/09/0094).

Im vorliegenden Fall erlangte der Beschwerdeführer mit Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigter der BH vom 22. Oktober 1999 erstmals offiziell Kenntnis von dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf. Die Aufforderung zur Rechtfertigung wurde dem Beschwerdeführer am 27. Oktober 1999 zugestellt; als Anfangszeitpunkt des Verfahrens ist daher dieser Tag anzunehmen.

Das Verfahren in zweiter Instanz wurde mit dem (im zweiten Rechtsgang erlassenen) Bescheid vom 5. Juni 2003 abgeschlossen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 16. Juni 2003 zugestellt.

Unter den Umständen des Beschwerdefalles kann die Verfahrensdauer nicht mehr als angemessen angesehen werden. Die belangte Behörde hat diesen Umstand nicht als strafmildernd berücksichtigt; der angefochtene Bescheid war im Umfang des Strafausspruches daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Für das fortgesetzte Verfahren ist zu bemerken, dass insbesondere bei Bedachtnahme auch auf die seit der Erlassung des angefochtenen Bescheides verstrichene Zeitspanne die gesetzmäßige Strafbemessung eine spürbare und maßgebliche Milderung der ursprünglich verhängten Strafe voraussetzt.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Strafbemessung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 26. April 2010

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