VwGH 2009/11/0048

VwGH2009/11/004814.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Q I in L, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oberösterreich vom 10. Dezember 2008, Zl. VwSen-522116/20/Br/RSt, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Lenkverbot (weitere Partei: Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs1 Z2;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11;
FSG 1997 §7 Abs4;
SMG 1997 §28 Abs2 Fall4;
SMG 1997 §28 Abs3 Fall1;
StGB §43 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
FSG 1997 §25 Abs3;
FSG 1997 §7 Abs1 Z2;
FSG 1997 §7 Abs3 Z11;
FSG 1997 §7 Abs4;
SMG 1997 §28 Abs2 Fall4;
SMG 1997 §28 Abs3 Fall1;
StGB §43 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid entzog die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Zeit von fünf Monaten, gerechnet ab Zustellung des erstbehördlichen Mandatsbescheides vom 8. Juli 2008, somit ab 10. Juli 2008. Unter einem wurde dem Beschwerdeführer für den angeführten Zeitraum das Lenken von Motorfahrrädern oder vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen verboten sowie das Recht aberkannt, von einer allfällig erworbenen ausländischen Lenkberechtigung in Österreich Gebrauch zu machen.

Begründend führte die belangte Behörde - nach einer Wiedergabe des Verfahrensgangs und der maßgebenden Vorschriften - im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 12. Oktober 2007 wegen der Verbrechen nach § 28 Abs. 2 4. Fall und Abs. 3 1. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten (gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen) verurteilt worden, weil er in der Zeit von 20. Dezember 2006 bis 10. Jänner 2007 gewerbsmäßig Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG) in Verkehr gesetzt habe, indem er zwei namentlich genannten Personen insgesamt 90 Gramm Heroin verkauft habe. Bei der Strafzumessung sei das umfassende Geständnis und die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers als mildernd, das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen derselben Art als erschwerend gewertet worden. Im Urteil finde sich zudem der Hinweis, dass nach Lage des Falles von einem künftigen Wohlverhalten des Beschwerdeführers auch ohne (teilweisen) Strafvollzug auszugehen sei, weshalb die gänzliche bedingte Strafnachsicht ausgesprochen worden sei.

In der Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer einen "durchaus problembewussten und sachlichen Eindruck" gemacht; es habe der Eindruck gewonnen werden können, "dass zumindest ab dem gegenwärtigen Zeitpunkt von der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit ausgegangen werden" könne, zumal er sich "weiterhin unauffällig im Straßenverkehr verhalten" habe (schon im Rahmen des erstbehördlichen Verfahrens war seitens der Polizei L. mitgeteilt worden, "dass über den (Beschwerdeführer) weder in straßenverkehrsrelevanter noch mit Blick auf Suchtmittel (auch Alkohol) negativ berichtet werden" könne).

Im Zeitpunkt der Erlassung der Berufungsentscheidung liege das Ende der als "bestimmte Tatsachen" im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 11 FSG zu wertenden strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers etwa 22 Monate zurück. Auch wenn Verbrechen nach § 28 SMG besonders verwerflich seien und der Beschwerdeführer mit "harten Drogen" in großer Menge gehandelt habe, sei doch - auch mit Blick auf den im Rahmen der Wertung zu berücksichtigenden Umstand, dass das Strafgericht eine bedingte Strafnachsicht gewährt habe - von entscheidender Bedeutung, dass der Beschwerdeführer sich seither wohlverhalten habe. Es sei daher die von der Erstbehörde ausgesprochene Dauer der Entziehung und des Lenkverbots (18 Monate) auf fünf Monate zu reduzieren gewesen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers könne aber nicht angenommen werden, dieser habe seine Verkehrszuverlässigkeit schon bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides wiedererlangt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

1. Die belangte Behörde macht zunächst geltend, die Beschwerde sei nicht fristgerecht erhoben worden, weil die Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des in der mündlichen Berufungsverhandlung verkündeten angefochtenen Bescheides schon am 7. Jänner 2009 erfolgt, die Beschwerde aber erst am 24. März 2009, daher außerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist, erhoben worden sei.

Dieses Vorbringen ist deshalb nicht zielführend, weil dem Beschwerdeführer auf Grund seines innerhalb der Beschwerdefrist gestellten Antrages vom 17. Februar 2009 mit hg. Beschluss vom 25. Februar 2009 gemäß § 61 VwGG Verfahrenshilfe bewilligt worden war und die Einbringung der Beschwerde innerhalb der dadurch verlängerten Frist erfolgte.

Die Beschwerde ist daher rechtzeitig.

2. Sie ist auch begründet.

2.1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

11. eine strafbare Handlung gemäß den §§ 28 Abs. 2 bis 5 oder 31 Abs. 2 Suchtmittelgesetz - SMG, BGBl. I Nr. 112/1997, begangen hat;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 1 genannten und in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während

dieser Zeit maßgebend, ... .

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen. ...

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. ...

...

Folgen des Entziehungsverfahrens für Besitzer ausländischer

Lenkberechtigungen

§ 30. (1) Besitzern von ausländischen Lenkberechtigungen kann das Recht, von ihrem Führerschein in Österreich Gebrauch zu machen, aberkannt werden, wenn Gründe für eine Entziehung der Lenkberechtigung vorliegen. Die Aberkennung des Rechts, vom Führerschein Gebrauch zu machen, ist durch ein Lenkverbot entsprechend § 32 auszusprechen. ...

...

Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern,

vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen

§ 32. (1) Personen, die nicht im Sinne des § 7 verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26, 29 sowie 30a und 30b entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges

1. ausdrücklich zu verbieten,

..."

2.2. Basis für die Entziehung der Lenkberechtigung und die weiteren Maßnahmen nach dem FSG war - wie erwähnt - das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 12. Oktober 2007, mit dem der Beschwerdeführer wegen Verbrechen nach § 28 Abs. 2 4. Fall und Abs. 3 1. Fall SMG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde. Es unterliegt keinem Zweifel, dass im Hinblick auf diese rechtskräftige Verurteilung die belangte Behörde von der Verwirklichung einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z 11 FSG auszugehen hatte.

2.3. Die belangte Behörde hat (anders als die Erstbehörde) zutreffend erkannt, dass im Rahmen der nach § 7 Abs. 4 FSG gebotenen Wertung dem Umstand, dass das Strafgericht den Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB (zur Gänze) bedingt nachgesehen hat, ebenso Bedeutung zukommt wie dem Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit Beendigung der strafbaren Handlungen im Jänner 2007. Sie hat es im Hinblick darauf als notwendig erachtet, die von der Erstbehörde mit 18 Monaten festgesetzte Entziehungszeit (beginnend mit der am 10. Juli 2008 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Mandatsbescheids vom 8. Juli 2008) auf fünf Monate zu reduzieren. Dabei ist sie (explizit) davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer zwar bei Zustellung des Erstbescheides noch für zumindest drei Monate verkehrsunzuverlässig gewesen sei, er seine Verkehrszuverlässigkeit aber "mittlerweile" (bei Erlassung des angefochtenen Bescheides im Dezember 2008) wiedererlangt habe.

2.4. Bei dieser Beurteilung hat sie aber nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes den Besonderheiten des Beschwerdefalles nicht ausreichendes Gewicht beigemessen:

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt schon seit geraumer Zeit die Auffassung, dass die bedingte Strafnachsicht zwar für sich allein noch nicht zwingend dazu führe, dass der Betreffende bereits als verkehrszuverlässig anzusehen sei, weil sich die bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit zu berücksichtigenden Gesichtspunkte nicht zur Gänze mit jenen decken, die für das Gericht betreffend die bedingte Strafnachsicht nach den Bestimmungen des StGB von Bedeutung sind. Gleichzeitig hat der Verwaltungsgerichtshof aber darauf hingewiesen, dass nach diesen Bestimmungen die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen sind und es sich dabei im Einzelfall durchwegs um Umstände handeln kann, die für die im § 7 Abs. 4 FSG genannten Wertungskriterien von Bedeutung sein können (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2006, Zl. 2006/11/0076, mwN).

Im Beschwerdefall hat das Strafgericht die Auffassung vertreten, dass unter Berücksichtigung der in § 43 Abs. 1 StGB genannten Kriterien (Art der Tat, Person des Rechtsbrechers, Grad seiner Schuld, Vorleben und Verhalten nach der Tat) die bloße Androhung der Vollziehung allein genügen werde, den Beschwerdeführer von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Es hat dabei die bisherige Unbescholtenheit und das umfassende Geständnis als mildernd, das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen derselben Art als erschwerend beurteilt.

Wenn demgegenüber die belangte Behörde die Auffassung vertritt, der Beschwerdeführer sei bei Zustellung des Erstbescheides (also rund 18 Monate nach Tatende bzw. rund 9 Monate nach Erlassung des Strafurteils) und danach noch für mindestens drei weitere Monate (§ 25 Abs. 3 FSG) als verkehrsunzuverlässig anzusehen, wäre dafür die begründete Prognose notwendig gewesen, der Beschwerdeführer werde "sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbaren Handlungen schuldig machen" (§ 7 Abs. 1 Z 2 FSG).

Im Hinblick auf die gegenteilige Auffassung des Strafgerichtes hätte es dazu der Feststellung besonderer Umstände bedurft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2007, Zl. 2005/11/0190). Solche lagen der Aktenlage nach aber nicht vor. Im Gegenteil, geht doch die belangte Behörde selbst von einem Wohlverhalten des Beschwerdeführers, der auch nach Tatende bis Anfang Juli 2008 im Besitz der Lenkberechtigung war, ohne dass über ihn "negativ berichtet" werden konnte, aus.

2.5. Es erweist sich daher die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei als zum Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides und noch für mindestens drei weitere Monate verkehrsunzuverlässig anzusehen gewesen, und er habe seine Verkehrszuverlässigkeit erst im Dezember 2008 wiedererlangt, als inhaltlich rechtswidrig. Aus den gleichen Erwägungen erweisten sich das Lenkverbot und die Aberkennung des Rechts, von einer ausländischen Lenkberechtigung Gebrauch zu machen, als rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 14. Mai 2009

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