VwGH 2008/22/0625

VwGH2008/22/062518.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des J, vertreten durch Maga. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 2. Mai 2006, Zl. Fr 2125/04, betreffend Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

11997E039 EG Art39;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public;
62001CJ0482 Orfanopoulos und Oliveri VORAB;
EURallg;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
EMRK Art8;
SMG 1997 §28 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs4 Z2;
SMG 1997 §28 Abs4;
11997E039 EG Art39;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public;
62001CJ0482 Orfanopoulos und Oliveri VORAB;
EURallg;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
EMRK Art8;
SMG 1997 §28 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs4 Z2;
SMG 1997 §28 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 31. Mai 2001 erließ die Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdengesetz 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde im Instanzenzug den Antrag des Beschwerdeführers vom 1. Juli 2004 auf Aufhebung des genannten Aufenthaltsverbotes gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ab.

Sie verwies dabei auf die strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers, die dem unbefristeten Aufenthaltsverbot zu Grunde lagen. Der Beschwerdeführer sei mit Urteil vom 29. Februar 2000 nach den §§ 28 Abs. 2 und 4 Z 2 Suchtmittelgesetz und 15 StGB und wegen Fälschung einer besonders geschützten Urkunde nach den §§ 12, 15, 223 Abs. 1 und 224 StGB als Beteiligter zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Die belangte Behörde listete dazu die Straftaten des Beschwerdeführers in den Jahren 1998 und 1999 auf. Der Beschwerdeführer habe im Februar 1998 mit Suchtgiftgeschäften begonnen; er sei als Detailverkäufer im Rahmen einer organisierten schwarzafrikanischen Straßenhändlerbande intensiv tätig geworden.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers stellte sie fest, dass dieser im August 1997 illegal eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe, der mit Bescheid vom 3. Juni 1998 abgewiesen worden sei. Mit Bescheid vom 10. März 2004 sei ihm ein Abschiebungsaufschub bis 9. März 2005 erteilt worden. Am 8. Mai 2004 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Am 10. Juli 2004 sei er nach Nigeria abgeschoben worden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer Familienangehöriger einer nicht freizügigkeitsberechtigten Österreicherin sei und gemäß § 87 FPG auf ihn die Bestimmung für begünstigte Drittstaatsangehörige des § 86 Abs. 1 FPG anzuwenden sei. Der Beschwerdeführer habe mit den "harten Drogen Heroin und Kokain" gewerbsmäßig gehandelt; mit Suchtgiftdelikten würden üblicherweise eine hohe Begleitkriminalität und eine große Wiederholungsgefahr einhergehen. Diese Delikte seien in höchstem Maß sozialschädlich. Durch die Begehung derartiger Delikte werde eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung bewirkt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr habe sich seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes "jedenfalls nicht reduziert". Die Strafhaft sei in den Zeitraum des Wohlverhaltens nicht einzubeziehen. Der seit Entlassung aus der Strafhaft am 27. November 2002 verstrichene Zeitraum von dreieinhalb Jahren sei zu kurz, um auf einen Wegfall oder auch nur eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr schließen zu können. Weiters habe der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin zu einem Zeitpunkt geheiratet, als gegen ihn ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot bestanden habe. Der Beschwerdeführer habe daher nicht mit einer rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet rechnen können. Somit müssten seine persönlichen und familiären Interessen eindeutig hinter die genannten öffentlichen Interessen an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität und anderer Straftaten zurücktreten. Es seien daher die Gründe, die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblich gewesen seien, nicht weggefallen, und es seien keine zu berücksichtigenden maßgeblichen Änderungen im Sinn des § 66 FPG eingetreten.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 27. November 2006, B 1080/06-11, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Dieser hat über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage samt Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung nach § 86 Abs. 1 FPG liegt dann vor, wenn das persönliche Verhalten des Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen.

Grundlage für das unbefristet erlassene Aufenthaltsverbot waren gravierende Straftaten im Bereich der Suchtmittelkriminalität. Der Beschwerdeführer hat nicht nur mit Kokain, sondern auch mit Heroin in einer großen Menge gewerbsmäßig gehandelt. Er wurde "intensiv" im Rahmen einer organisierten Bande tätig. Wegen dieser schweren Suchtgiftkriminalität wurde er zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Gemäß § 28 Abs. 4 SMG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu 15 Jahren zu bestrafen, wer Suchtgift in einer großen Menge erzeugt, einführt, ausführt oder in Verkehr setzt, wenn die Tat als Mitglied einer Bande begangen wird (Z 1). Mit einer derart schweren Suchtmittelkriminalität wird nicht nur die öffentliche Ordnung gestört, sondern ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Zutreffend hat die belangte Behörde darauf hingewiesen, dass die Zeit der Strafhaft für die Beurteilung eines Wohlverhaltens keine maßgebliche Bedeutung hat. Der Zeitraum seit der Entlassung aus der Strafhaft im November 2002 bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ist nun aber tatsächlich zu kurz, um einen Entfall der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers annehmen zu können. Die belangte Behörde durfte somit die Gefährlichkeitsprognose gegen den Beschwerdeführer auch unter Anwendung des § 86 Abs. 1 FPG aufrecht halten.

Entgegen der Beschwerdemeinung ist die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes auch verhältnismäßig. Auch hier ist der belangten Behörde beizupflichten, dass es für die Gewichtung des Familienlebens von Bedeutung ist, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt begründet wurde, als mit einem rechtmäßigen Aufenthalt gerechnet werden durfte. Dass dies hier nicht der Fall war, liegt auf der Hand. Dazu kommt, dass das Familienleben in Österreich lediglich zwei Monate angedauert hat.

Auch die weitwendigen Ausführungen zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte führen die Beschwerde nicht zum Erfolg.

Entgegen der dem Urteil des EuGH vom 29. April 2004, Rechtssachen C-482/01 und C-493/01 , "Orfanopoulos und Oliveri", zu Grunde liegenden Konstellation gebietet das österreichische Recht nicht eine automatische Ausweisung auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung, ohne das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu berücksichtigen. Hingewiesen sei auf die Ausführungen des EuGH in Rnr. 100:

"Dagegen stehen Artikel 39 EG und die Richtlinie 64/221 der Ausweisung eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden ist und der einerseits eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt und sich andererseits seit vielen Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat und sich gegenüber dieser Ausweisung auf Umstände familiärer Art berufen kann, nicht entgegen, sofern die von den innerstaatlichen Behörden im Einzelfall vorgenommene Beurteilung der Frage, wo der angemessene Ausgleich zwischen den betroffenen berechtigten Interessen liegt, unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere unter Wahrung der Grundrechte wie desjenigen auf Schutz des Familienlebens erfolgt."

Im Erkenntnis vom 10. Dezember 2008, 2008/22/0580, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 28. Juni 2007 (Kaya gg. Deutschland, NL 2007, 144) dargelegt, dass selbst gegen einen Migranten zweiter Generation ein Aufenthaltsverbot erlassen werden darf, wenn angesichts der Umstände des Falles und der Schwere der begangenen Straftaten der mit dieser Maßnahme verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben iSd Art. 8 EMRK verhältnismäßig ist. (Auch diesem Fall lag u.a. eine Suchtmittelkriminalität zu Grunde.)

Insgesamt hielt daher die belangte Behörde zutreffend die Gefährlichkeitsprognose gegen den Beschwerdeführer aufrecht und maß den geänderten persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers keine solche Bedeutung zu, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes unzulässig wäre.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 18. Juni 2009

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