VwGH 2007/21/0031

VwGH2007/21/00318.7.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Jantschgi, über die Beschwerde des SA in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 30. November 2006, Zl. Fr 1598/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62007CO0551 Sahin VORAB;
62008CJ0127 Metock VORAB;
EURallg;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62007CO0551 Sahin VORAB;
62008CJ0127 Metock VORAB;
EURallg;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen bosnischen Staatsangehörigen, gemäß §§ 60 Abs. 1 Z 1, 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich ihre Zuständigkeit betreffend - aus, der Beschwerdeführer habe am 19. Dezember 2003 die deutsche Staatsangehörige S geheiratet. Mit dieser habe er bis 20. Jänner 2004 einen gemeinsamen Hauptwohnsitz gehabt. Anschließend habe sich der Hauptwohnsitz seiner Ehefrau im Frauenhaus in Amstetten befunden. Die Ehe sei mit Urteil des Bezirksgerichts Mistelbach vom 30. April 2004 aus dem Alleinverschulden des Beschwerdeführers geschieden worden. Am 23. August 2004 sei die (die deutsche Staatsangehörigkeit besitzende) gemeinsame Tochter des Beschwerdeführers und seiner (vormaligen) Ehefrau geboren worden. Am 15. September 2006 habe der Beschwerdeführer die deutsche Staatsangehörige S nochmals geheiratet. Diese Ehe sei im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aufrecht.

Ihre Zuständigkeit bejahte die belangte Behörde anhand § 9 Abs. 1 Z 2 FPG. Der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung - sei kein begünstigter Drittstaatsangehöriger, weil er seine Ehefrau weder nach Österreich begleitet habe noch ihr nachgezogen sei. Die deutsche Staatsangehörige S sei bereits in Österreich aufhältig gewesen als er in Österreich eingereist sei. Die Eheschließung sei erst anschließend erfolgt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen den Bescheid vom 30. November 2006 erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 2 Abs. 4 Z 10, 11 und 15 FPG (in der Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) lauten:

"(4) Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

...

10. Drittstaatsangehöriger: ein Fremder, der nicht EWR-Bürger ist;

11. begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;

...

15. Recht auf Freizügigkeit: das gemeinschaftliche Recht eines EWR-Bürgers, sich in Österreich niederzulassen;"

Die Regierungsvorlage zum Fremdenrechtspaket 2005 (952 BlgNR 22. GP 76) führt hiezu auszugsweise Folgendes aus:

"Das Recht auf Freizügigkeit in Abs. 4 Z. 15 wird aus der Unionsbürgerschaft hergeleitet und verleiht jedem Bürger der Union und dessen Familienangehörigen das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und in den Durchführungsvorschriften vorgesehen(en) Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten."

§ 9 Abs. 1 FPG lautet:

"§ 9. (1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz."

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u.a. (C-127/08 ), Folgendes ausgesprochen:

"1. Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG steht der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, vor seiner Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben muss, um sich auf die Bestimmungen dieser Richtlinie berufen zu können.

2. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ist dahin gehend auszulegen, dass sich ein Drittstaatsangehöriger, der der Ehegatte eines Unionsbürgers, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, ist und diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, auf die Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig davon berufen kann, wann oder wo ihre Ehe geschlossen wurde oder wie der betreffende Drittstaatsangehörige in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist ist."

Ein Drittstaatsangehöriger, der Ehegatte eines Unionsbürgers ist, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, und der diesen Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, kann sich somit auf die Bestimmungen der genannten Richtlinie unabhängig davon berufen, auf welchem Weg er in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt ist (vgl. weiters den Beschluss des EuGH vom 19. Dezember 2008, Sahin, C-551/07 ).

Die Wortfolge "begleitet oder ihm nachzieht", an die § 2 Abs. 4 Z 11 FPG u.a. die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger knüpft, ist gleichfalls gemäß der genannten RL 2004/38/EG auszulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2009, Zl. 2008/21/0033, mwN). Auf den von der belangten Behörde als maßgeblich erachteten Zeitpunkt der Eheschließung, der nach der Einreise des Beschwerdeführers in das Bundesgebiet lag, kommt es unter Berücksichtigung der zitierten Judikatur des EuGH nicht an. Ob der Beschwerdeführer als Ehemann einer deutschen Staatsbürgerin iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen ist, hängt demnach nur mehr davon ab, ob diese ihr gemeinschaftsrechtlich begründetes Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat. Dies ist jedoch nach Aktenlage im Hinblick auf ihre Berufsausübung in Österreich nicht fraglich. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 FPG hätte daher über die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aussprechenden Bescheid der unabhängige Verwaltungssenat entscheiden müssen (vgl. nochmals das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2009).

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 8. Juli 2009

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