Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerinnen sind die Töchter einer madegassischen Staatsangehörigen und eines eritreischen Staatsangehörigen und sind selbst Staatsangehörige von Eritrea.
Sie stellten, vertreten durch ihre Mutter, am 24. September 2004 Anträge auf Gewährung von Asyl, in denen im Wesentlichen vorgebracht wurde, die Beschwerdeführerinnen würden nach den Informationen ihres Vaters Schwierigkeiten haben, wenn sie nach Eritrea kämen. In einer ergänzenden Stellungnahme brachten die Beschwerdeführerinnen vor, in Eritrea würden praktisch alle weiblichen Kinder "beschnitten" werden und es bestehe ein enormer gesellschaftlicher und familiärer Druck, weibliche Kinder "beschneiden" zu lassen. Dagegen gebe es weder einen ausreichenden staatlichen Schutz noch könne die Mutter der Beschwerdeführerinnen ihre Kinder entsprechend schützen, da sie als Ausländerin einen prekären Status hätte. Dabei verwiesen die Beschwerdeführerinnen auf einen Bericht des U.S. Department of State "Country Report on Human Rights Practices" vom 28. Februar 2005, wonach in Eritrea 95 % der Frauen und Mädchen Genitalverstümmelungen unterworfen würden.
Mit Bescheiden des Bundesasylamtes (BAA) jeweils vom 17. August 2005 wurden die Asylanträge der Beschwerdeführerinnen gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerinnen nach Eritrea gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.) und den Beschwerdeführerinnen gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Begründend führte das BAA im Wesentlichen aus, es sei dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) zu entnehmen, da die Mutter der Beschwerdeführerinnen immer wieder auf ihr eigenes Asylverfahren verwiesen habe und diesem keine Flüchtlingseigenschaft zu entnehmen gewesen sei. Zur Unzulässigkeit der Abschiebung führte das BAA im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerinnen hätten laut einer Stellungnahme von ACCORD aus Mai 2005 nach ihrem Vater die Staatsangehörigkeit von Eritrea, nicht jedoch diejenige ihrer Mutter. Da der derzeitige Aufenthaltsort des Vaters nicht eruiert werden könne, die Mutter der Beschwerdeführerinnen als Staatsangehörige von Madagaskar und trotz aufrechter Ehe nicht nach Eritrea reisen könne und die Beschwerdeführerinnen keinen einzigen Tag in Eritrea verbracht hätten, bestehe ein reales Risiko, dass die Beschwerdeführerinnen im Falle einer Abschiebung nach Eritrea von einer lebensbedrohenden Notlage betroffen wären, welche eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK indizieren würde.
In ihrer alleine gegen die Abweisung ihrer Asylanträge in Spruchpunkt I. der Bescheide des BAA gerichteten Berufung vom 1. September 2005 verwiesen die Beschwerdeführerinnen auf ihr Vorbringen in ihrer ergänzenden Stellungnahme vor dem BAA und brachten neuerlich vor, dass in Eritrea etwa 95 % aller Frauen Genitalverstümmelungen unterworfen würden. Diesem gesellschaftlichen Druck wären die Beschwerdeführerinnen in Eritrea schutzlos ausgeliefert und es sei daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch an den Beschwerdeführerinnen Genitalverstümmelungen verübt würden. Zu diesem Vorbringen verwiesen die Beschwerdeführerinnen auf verschiedene Berichte (Jahresbericht 2005 amnesty international, Jahresbericht für 2004 des U.S. Department of State vom 28. Februar 2005 und Freedom House-Bericht vom 29. Juni 2005). Sodann beantragten die Beschwerdeführerinnen die Anberaumung einer Berufungsverhandlung und die Behebung der Spruchpunkte I. der Bescheide des BAA.
Mit den vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheiden wurden die Berufungen der Beschwerdeführerinnen gemäß § 7 AsylG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerinnen hätten in Eritrea überhaupt keine familiären oder gesellschaftlichen Anknüpfungspunkte, weshalb bereits durch das BAA die Unzulässigkeit der Abschiebung nach Eritrea festgestellt worden sei. Daher könne aber auch nicht erkannt werden, dass die Beschwerdeführerinnen einem - über die bloße abstrakte Möglichkeit hinausgehenden - konkreten familiären oder gesellschaftlichen Druck hinsichtlich einer "Beschneidung" ausgesetzt wären. Dies noch viel weniger, als außenstehende fremde Personen gar keine Kenntnis darüber haben könnten, ob die Beschwerdeführerinnen bereits "beschnitten" worden seien oder nicht. Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführerinnen entgegen ihrem oder ihrer Mutter Willen einer zwangsweisen "Beschneidung" zugeführt werden würden, sei somit nicht gegeben, weshalb die subjektive Befürchtung der Beschwerdeführerinnen, in Eritrea durch familiären bzw. gesellschaftlichen Druck einer zwangsweisen "Beschneidung" zugeführt zu werden, auf Grund der konkreten äußeren Umstände objektiv betrachtet nicht wohlbegründet im Sinne der FlKonv sei.
Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach § 7 AsylG ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass der Asylwerberin in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde. Anhand dieses Maßstabes ist auch zu ermitteln, ob eine asylrelevante Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe glaubhaft ist (vgl. zu allem das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2009, Zl. 2008/19/1031, mit Hinweisen auf Vorjudikatur).
2. Davon ausgehend erweist sich fallbezogen die Auffassung der belangten Behörde, die Beschwerdeführerinnen würden in Eritrea einer Genitalverstümmelung (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 22. November 2005, Zl. 2005/01/0285, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2008, B 902/08) nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein, unzureichend begründet:
So hat sich die belangte Behörde - worauf die Beschwerde zutreffend hinweist - in keiner Weise mit den von den Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Berichten und der sonst zu berücksichtigenden Berichtslage auseinandergesetzt, sondern ihre Auffassung alleine darauf gestützt, die Beschwerdeführerinnen wären hinsichtlich einer Genitalverstümmelung keinem konkreten familiären oder gesellschaftlichen Druck ausgesetzt, da sie in Eritrea überhaupt keine familiären oder gesellschaftlichen Anknüpfungspunkte hätten. In diesem Zusammenhang geht die belangte Behörde von der Annahme der BAA aus, wonach die Mutter der Beschwerdeführerinnen nicht nach Eritrea reisen könne.
Diese Argumentation ist schon deshalb unschlüssig, weil in einem solchen Fall - wie die Beschwerde ausführt - damit zu rechnen wäre, dass die Beschwerdeführerinnen in Eritrea entweder auf der Straße leben müssten, einem Waisenhaus bzw. einer Pflegefamilie zugewiesen oder allenfalls in Eritrea auffindbaren Verwandten übergeben würden. Warum in einem solchen Fall vor dem Hintergrund der von den Beschwerdeführerinnen angeführten Berichtslage, nach der 95 % aller Frauen in Eritrea im Kindesalter Genitalverstümmelungen unterworfen werden, bei den Beschwerdeführerinnen kein dahingehender "konkreter" gesellschaftlicher Druck bestehen würde, begründet die belangte Behörde damit, dass außenstehende, fremde Personen gar keine Kenntnis darüber haben könnten, ob die Beschwerdeführerinnen bereits einer Genitalverstümmelung unterworfen worden seien oder nicht. Diesem Argument ist mit der Beschwerde entgegenzuhalten, dass angesichts des Alters der minderjährigen Beschwerdeführerinnen, der angeführten in Eritrea zu erwartenden Lebensumstände und der nach den angeführten Berichten bestehenden Häufigkeit solcher Eingriffe vernünftigerweise davon ausgegangen werden muss, dass sich auch außenstehende Personen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Kenntnis über diesen Umstand verschaffen würden.
Die Begründung erweist sich somit (im Hinblick auf die nicht erhobene, einschlägige Berichtslage) als unvollständig und (im Hinblick auf die angenommene fehlende maßgebliche Wahrscheinlichkeit) als unschlüssig.
3. Die angefochtenen Bescheide waren somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 23. September 2009
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