VwGH 2006/18/0170

VwGH2006/18/017011.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des B J in W, geboren am 10. Januar 1989, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. Jänner 2006, Zl. SD 2317/05, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen einen Aufenthaltsverbotsbescheid, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §40 Abs2 Z3;
AsylG 2005 §66 Abs2 Z3;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §13 Abs3;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AsylG 1997 §40 Abs2 Z3;
AsylG 2005 §66 Abs2 Z3;
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §13 Abs3;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) vom 21. November 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer, (angeblich) ein Staatsangehöriger von Gambia, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung (Beginn der Abholfrist: 25. November 2005) zugestellt.

Innerhalb der Berufungsfrist langte bei dieser Behörde das von Mag. J. unterfertigte, mit "Berufung gemäß § 63 AVG" (gegen den genannten Aufenthaltsverbotsbescheid) bezeichnete Schreiben vom 5. Dezember 2005 ein, in dem sich Mag. J. als Vertreterin des Beschwerdeführers bezeichnete, auf die mit diesem Schreiben vorgelegte Vollmacht hinwies und (u.a.) namens des Beschwerdeführers den Antrag stellte, den erstinstanzlichen Bescheid aufzuheben "und ersatzlos zu streichen".

2. Mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 17. Jänner 2006 wurde die "Berufung der Mag. (J.), Deserteurs- und Flüchtlingsberatung, (...), gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, vom 21.11.2005, (...)" gemäß § 10 AVG zurückgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass am 5. Dezember 2005 bei der Erstbehörde eine Vollmacht des Beschwerdeführers eingelangt sei, mit der er N. mit seiner Vertretung (beauftragt) und dazu bevollmächtigt habe, einen berufsmäßigen Parteienvertreter in seinem Namen mit seiner umfassenden Vertretung "in den genannten Bereichen" zu beauftragen. Auf gleichem Vollmachtschreiben habe der/die Bevollmächtigte mit gleichen Rechten und Pflichten an Mag. J. substituiert, die auch die gegenständliche Berufung eingebracht habe. Mag. J. sei offenbar Bedienstete der "Deserteurs- und Flüchtlingsberatung" in Wien.

Begründend führte die belangte Behörde nach Hinweis auf § 10 Abs. 2 AVG weiter aus, dass der Beschwerdeführer in der Vollmachtsurkunde N. lediglich zur Substitution an einen berufsmäßigen Parteienvertreter bevollmächtigt habe und zur berufsmäßigen Parteienvertretung insbesondere die Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftstreuhänder und in technischen Angelegenheiten die Ziviltechniker, ferner in Patent- und Markensachen sowie in Angelegenheiten des Musterschutzes die Patentanwälte befugt seien. Mag. J. führe zwar einen akademischen Titel, sie scheine jedoch im österreichischen Rechtsanwaltsverzeichnis nicht auf. In Anbetracht der äußeren Form des Berufungsschriftsatzes und des verwendeten Stempels arbeite sie (lediglich) für die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung. Solcherart sei sie jedoch nicht zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt, weshalb die vom Beschwerdeführer erteilte Vollmacht N. nicht berechtigt habe, die "ihm/ihr" erteilte Vollmacht an Mag. J. zu substituieren. Das Einschreiten von Mag. J. sei daher von der aktenkundigen Vollmacht nicht gedeckt, sodass Mag. J. als Vertreter ohne Vertretungsvollmacht einschreite und die von ihr eingebrachte Berufung dem Beschwerdeführer nicht zurechenbar sei.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bringt vor, dass die belangte Behörde bei lebensnaher Auslegung des Vollmachtsformulars hätte erkennen müssen, dass der Beschwerdeführer mit der Vertretung nicht nur durch N., sondern auch durch Mag. J. - deren Name sich am Vollmachtsformular befinde, das die Unterschrift des Beschwerdeführers trage - einverstanden gewesen sei. Dass der Beschwerdeführer Mag. J. Vollmacht erteilt habe, treffe zu, befinde sich doch seine Unterschrift unter dem bereits zitierten Passus und habe er somit direkt Mag. J. bevollmächtigt, indem er sich einverstanden erklärt habe, auch ihr die erteilte Vollmacht zu übertragen. Wäre diese Beauftragung nicht vom Beschwerdeführer, sondern von N. erteilt worden, hätte die Wortfolge nicht "ich bin damit einverstanden", sondern wohl eher "ich substituiere mit gleichen Rechten und Pflichten" gelautet. Hätte die Behörde etwaige Restzweifel gehabt, hätte sie ein Verbesserungsverfahren gemäß § 13 Abs. 3 AVG einleiten müssen. Bei rechtsrichtiger Würdigung des dargelegten Sachverhaltes hätte die belangte Behörde die an J. erteilte Vollmacht als gültige Vollmacht zur Erhebung der Berufung anerkennen oder allenfalls ein Verbesserungsverfahren einleiten müssen.

2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

2.1. § 10 Abs. 1 und 2 AVG in der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung hat folgenden Wortlaut:

"§ 10. (1) Die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte natürliche Personen, juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts oder eingetragene Erwerbsgesellschaften vertreten lassen. Bevollmächtigte haben sich durch eine schriftliche, auf Namen oder Firma lautende Vollmacht auszuweisen. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk. Schreitet eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person ein, so ersetzt die Berufung auf die ihr erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis.

(2) Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis richten sich nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 von Amts wegen zu veranlassen."

§ 13 Abs. 3 AVG in der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung lautet:

"§ 13 (...)

(3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht."

Wird eine Berufung durch eine eigenberechtigte Person als Vertreter eingebracht, die nicht Rechtsanwalt oder Notar ist, ohne dass eine Vollmacht beiliegt, so handelt es sich bei der Nichtvorlage der Vollmacht bloß um einen Formfehler und hat die Behörde gemäß § 13 Abs. 3 AVG vorzugehen (vgl. dazu etwa die in Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren6, zu § 10 Abs. 1 und 2 AVG E 29d zitierte hg. Judikatur). Wird den gesetzlichen Formvorschriften mangels Vorlage einer Vollmacht für den, der die Berufung unterfertigt hat, bzw. mangels eigenhändiger Unterschrift des Berufungswerber trotz Verbesserungsauftrages nicht entsprochen, so ist eine Berufung als unzulässig zurückzuweisen (vgl. dazu etwa die Hauer/Leukauf, aaO, zu § 10 Abs. 1 und 2 AVG E 38 zitierte hg. Rechtsprechung).

2.2. Die in den Verwaltungsakten enthaltene, mit der Berufung gegen das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot in Kopie vorgelegte Vollmachtsurkunde weist (u.a.) den Namen des Beschwerdeführers als Vollmachtgeber, die (unleserlichen) Unterschriften des Vollmachtgebers und der Vollmachtnehmerin und die Erklärung auf, dass der Vollmachtgeber "Herr/Frau" N. bevollmächtige, ihn u.a. in allen "asyl-, aufenthaltsrechtlichen-, fremdenpolizeilichen-" und Verwaltungsverfahren vor Verwaltungsbehörden zu vertreten und Rechtsmittel aller Art zu ergreifen und zurückzuziehen sowie einen berufsmäßigen Parteienvertreter in seinem Namen mit seiner umfassenden Vertretung in den genannten Bereichen zu beauftragen. Ferner enthält diese unterfertigte Vollmachtsurkunde die folgende Erklärung: "Ich bin damit einverstanden, dass diese Vollmacht mit gleichen Rechten und Pflichten an Herrn/Frau Mag. (J.) übertragen wird."

2.3. Für den Inhalt und den Umfang der Vertretungsbefugnis ist bei schriftlicher Bevollmächtigung der in der Bevollmächtigungsurkunde festgehaltene Wortlaut der Erklärung des Vollmachtgebers maßgebend (vgl. dazu etwa die in Hauer/Leukauf, aaO, zu § 10 Abs. 1 und 2 AVG E 41 angeführte hg. Judikatur). Ob nun der Name der Mag. J. bei Unterfertigung der Vollmachtsurkunde durch den Beschwerdeführer in dieser Urkunde bereits eingetragen war, kann auf Grund des Wortlautes dieser schriftlichen Erklärung mit Sicherheit weder ausgeschlossen, noch angenommen werden, sodass die belangte Behörde zumindest Zweifel über den Inhalt und den Umfang der Vertretungsbefugnis der Mag. J. für den Beschwerdeführer hätte haben müssen, sodass sie vor einer Zurückweisung der Berufung gemäß § 10 Abs. 2 iVm § 13 Abs. 3 AVG einen zur Aufklärung solcher Zweifel dienenden Mängelbehebungsauftrag hätte erteilen müssen.

Schon im Hinblick darauf, dass die belangte Behörde, die zumindest Zweifel im obgenannten Sinn hätte haben müssen, einen solchen Auftrag nicht erteilt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

3. Darüber hinaus jedoch erweist sich der angefochtene Bescheid auch seinem Inhalt nach als rechtswidrig:

So haben Flüchtlingsberater gemäß § 66 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005 Fremde auf Verlangen in Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder - soweit es sich um Asylwerber handelt - nach dem FPG zu vertreten, soweit nicht die Zuziehung eines Rechtsanwaltes gesetzlich vorgeschrieben ist. Gemäß § 66 Abs. 3 erster Satz AsylG 2005 obliegt die Auswahl der Flüchtlingsberater dem Bundesminister für Inneres.

Nach Ausweis der Verwaltungsakten hatte der Beschwerdeführer am 23. Juli 2004 einen Asylantrag gestellt und wurde dieser mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. Jänner 2006 abgewiesen, wogegen der Beschwerdeführer Berufung erhob. Aus den Verwaltungsakten ist nicht ersichtlich, dass bei Erlassung des vorliegend angefochtenen Bescheides das Asylverfahren bereits rechtskräftig negativ beendet war. Im Hinblick darauf ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei Erlassung des vorliegend angefochtenen Bescheides noch Asylwerber war und daher gemäß § 66 Abs. 2 Z. 3 AsylG 2005 im fremdenpolizeilichen Verfahren durch einen Flüchtlingsberater vertreten werden durfte.

Diese Gesetzesbestimmung ist mit 1. Jänner 2006 in Kraft getreten (vgl. § 73 Abs. 1 AsylG 2005). Bis zu diesem Zeitpunkt stand das Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, in Geltung, das in § 40 Abs. 2 Z. 3 bestimmte, dass die Flüchtlingsberater Fremde auf Verlangen in Verfahren nach diesem Bundesgesetz oder nach dem FrG zu vertreten haben, soweit nicht die Zuziehung eines Rechtsanwaltes gesetzlich vorgeschrieben ist, wobei nach § 40 Abs. 3 AsylG die Auswahl der Flüchtlingsberater dem Bundesminister für Inneres oblag.

Nach diesen Regelungen kann kein Zweifel daran bestehen, dass einem berufsmäßigen Flüchtlingsberater, der im Bereich des fremdenpolizeilichen Verwaltungsverfahrens einen Fremden gegenüber den Fremdenpolizeibehörden vertreten darf, auch die Befugnis zukommt, in dessen Namen gegen einen fremdenpolizeilichen Bescheid ein Rechtsmittel zu erheben. Die im Berufungsverfahren für den Beschwerdeführer einschreitende Mag. J. ist laut den im angefochtenen Bescheid getroffenen Sachverhaltsannahmen Bedienstete der "Deserteurs- und Flüchtlingsberatung" in Wien. Dass sie als solche nicht auch Flüchtlingsberaterin im Sinn des § 40 AsylG bzw. des § 66 AsylG 2005 sei, kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden.

Mit ihren Ausführungen im angefochtenen Bescheid, dass Mag. J., weil sie nicht im österreichischen Rechtsanwaltsverzeichnis aufscheine, nicht zur berufsmäßigen Parteienvertretung im fremdenpolizeilichen Verwaltungsverfahren befugt sei, vertritt die belangte Behörde die Auffassung, dass nur Rechtsanwälte in diesem Verwaltungsverfahren zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt seien. Mit dieser Ansicht verkannte die belangte Behörde jedoch die obgenannten fremdenrechtlichen Regelungen betreffend die Vertretungsbefugnis von Flüchtlingsberatern.

4. Demzufolge war der angefochtene Bescheid - da der Aufhebungsgrund der inhaltlichen Rechtswidrigkeit gegenüber jenem der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften prävaliert - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 11. Mai 2009

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