VwGH 2005/06/0064

VwGH2005/06/006431.3.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des MB in S, vertreten durch Dr. Axel Fuith, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Tschurtschenthaler-Straße 4a, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 28. Dezember 2004, Zl. Ve1-8-1/34- 3, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde S, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

BauO Tir 1998 §2 Abs16;
BauO Tir 2001 §2 Abs16;
BauO Tir 2001 §6 Abs2 lita;
BauRallg;
VwRallg;
BauO Tir 1998 §2 Abs16;
BauO Tir 2001 §2 Abs16;
BauO Tir 2001 §6 Abs2 lita;
BauRallg;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 4. Juli 2001 wurde dem Beschwerdeführer die baubehördliche Bewilligung für einen Zu- und Umbau an seinem bestehenden Wohn- und Gästehaus auf einem näher bezeichneten Grundstück in der KG S unter Auflagen erteilt.

Auf Grund der - im Hinblick auf eine abweichende Bauführung erfolgte - Aufforderung durch die Baubehörde erster Instanz brachte der Beschwerdeführer am 10. September 2002 einen Änderungsplan mitsamt Beschreibung der Änderungen ein, in der unter anderem in Punkt 1 eine Neusituierung und Vergrößerung einer süd-östlichen "Wandscheibe" dargestellt wurde.

Mit Bescheid vom 18. Februar 2004 versagte der Bürgermeister als Baubehörde erster Instanz die (nachträgliche) Baubewilligung für die mit dem Änderungsplan angezeigten Änderungen der Wandscheibe, da dieser Bauteil in den Mindestabstand zu den Nachbargrundstücken rage. Begründend führte die Behörde aus, dass sie zur Beurteilung des gegenständlichen Bauteils neben dem hochbautechnischen noch einen raumplanerischen Sachverständigen zugezogen habe. Beide seien zur Ansicht gekommen, dass es sich bei der Wandscheibe um keinen untergeordneten Bauteil im Sinne der TBO 2001 handle. Die Baubehörde erster Instanz komme daher ebenfalls zur Rechtsansicht, dass es sich bei der Wandscheibe, für welche die Baubewilligung versagt worden sei, um keinen untergeordneten Bauteil im Sinne des § 2 Abs. 16 TBO 2001 handle, sondern um einen Teil einer baulichen Anlage, welche den Abstandsvorschriften zu entsprechen habe. Die in § 2 Abs. 16 TBO 2001 beispielhaft aufgezählten Bauteile untergeordneter Bedeutung seien nicht vergleichbar. Eine Interpretation als untergeordneter Bauteil entspreche auch dem Zweck der Regelung und der Absicht des Gesetzgebers nicht, da der Bauteil das unmittelbar durch die Abstandsvorschriften gesetzlich geschützte Interesse des Nachbarn auf Einfall von Licht und Sonne zu beeinträchtigen geeignet sei, und zwar wesentlich stärker als die beispielhaft angeführten Bauteile.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung und brachte vor, dass es sich bei der Wandscheibe um einen untergeordneten Bauteil im Sinne des § 2 Abs. 16 TBO 2001 handle. Der Verwaltungsgerichtshof habe ausgesprochen, dass es sich bei untergeordneten Bauteilen durchwegs um vorspringende - horizontale oder vertikale - Gliederungen des Gebäudes handle, denen der Charakter eines Raumes fehle. Der Begriff "untergeordnet" bedeute nicht, dass dabei auf die Größe abzustellen sei, sondern einzig und allein darauf, ob es sich um eine raumbildende Gestaltung handle oder nicht. Der Wandscheibe fehle jegliche Art von Raumbildung. Auch sei die Baubehörde offenbar der rechtsirrigen Ansicht, dass zur Beurteilung, ob ein untergeordneter Bauteil vorliege, Sachverständige berufen seien. Tatsächlich handle es sich hier um eine Rechtsfrage und nicht um eine Tatsachenfrage.

Die Baubehörde zweiter Instanz gab mit Bescheid vom 15. Juni 2004 dem Berufungsantrag keine Folge und führte aus, dass der Begründung des Beschwerdeführers nicht gefolgt werden könne. Sollte es bei der Definition von "untergeordnet" nur auf die Raumbildung und nicht auf die Größe ankommen, so wären alle baulichen Anlagen, denen die Raumbildung fehlten, als untergeordnet zu bezeichnen und daher eine Wandscheibe direkt an der Grundgrenze mit einer beliebigen Höhe bewilligungsfähig.

Der Beschwerdeführer bekämpfte diesen Bescheid mit der Vorstellung an die belangte Behörde und führte darin aus, dass es sich bei der gegenständlichen Wandscheibe um einen Bauteil handle, dem der Charakter des Raumes vollständig fehle. Die Baubehörde habe der Berufung inhaltlich nichts entgegen gesetzt. Auch sei der gegenständliche Bescheid mit Verfahrenmängeln belastet, da kein Sachverständigengutachten eines unabhängigen Sachverständigen zur Frage der raumbildenden Gestaltung eingeholt worden sei.

Die belangte Behörde wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid die Vorstellung des Beschwerdeführers ab und führte aus, dass der als "Wandscheibe" bezeichnete Bauteil unbestrittener Maßen um 1,43 m in den gesetzlichen Abstandsbereich rage. Es sei daher zu prüfen gewesen, ob es sich dabei um einen untergeordneten und damit privilegierten Bauteil im Sinne der Begriffsdefinition des § 2 Abs. 16 TBO 2001 handle, dh. um einen Bauteil, der Vordächern, Dachkapfern, Kaminen, Windfängen, Freitreppen, offenen Balkonen, Sonnenschutzeinrichtungen, fassadengestaltenden Bauteilen wie Erkern, Gesimsen, Lisenen, Rahmen sowie an baulichen Anlagen angebrachten Werbeeinrichtungen und Solaranlagen vergleichbar sei. Die Berufungsbehörde sei in ihrer rechtlichen Beurteilung davon ausgegangen, dass die Wandscheibe nicht mit den im § 2 Abs. 16 leg. cit. untergeordneten Bauteilen verglichen werden könne, da sie keine der diesen eigenen spezielle Funktion zur Nutzung des Gebäudes aufweise. Auch handle es sich nicht um eine architektonische Gliederung der Fassade, wie Gesimse, Lisenen, Rahmen udgl., da die Wandscheibe nicht in die Fassade integriert sei. In der rechtlichen Begründung des bekämpften Bescheides werde dargelegt, dass auf Grundlage der im Bauverfahren eingeholten Gutachten des hochbau- und brandschutztechnischen Sachverständigen sowie des raumplanerischen Sachverständigen davon ausgegangen worden sei, dass die Wandscheibe nicht nur raumbildend sei, sondern auch auf Grund ihrer Höhe von ca. 6,5 m, wodurch eine Traufenhöhe eines zweigeschossigen Objektes erreicht werde, nicht mehr als untergeordneter fassadengestaltender Bauteil angesehen werden könne. Es handle sich bei der Frage, ob ein Gebäudeteil einem der in § 2 Abs. 16 TBO 2001 aufgezählten untergeordneten Bauteile ähnlich sei, nicht um eine vom Sachverständigen zu beantwortende Tatfrage, sondern um eine Rechtsfrage, die von der Behörde zu lösen sei. Auf Grund der rechtlichen Beurteilung durch die Baubehörde, die sich auf die schlüssigen Gutachten der Sachverständigen stütze, könne jedoch dem gegen die beiden Sachverständigengutachten erhobenen Einwand (die Sachverständigen hätten in Überschreitung ihrer Kompetenz auch die Rechtsfrage gelöst) kein Erfolg beschieden sein.

Wenn nunmehr in der Vorstellung als Verfahrensfehler gerügt werde, die Baubehörde hätte zur Frage der raumbildenden Gestaltung ein Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen einholen müssen, werde darauf hingewiesen, dass eine Befangenheit erstmals im Vorstellungsverfahren geltend gemacht werde und darüber hinaus vom Beschwerdeführer keinerlei Befangenheitsgründe angegeben worden seien. Der Vollständigkeit halber werde festgestellt, dass sich auch für die belangte Behörde keine sachlichen Bedenken gegen die der Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverständigengutachten ergeben hätten und darüber hinaus den Gutachten vom Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der seine Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im gegenständlichen Fall anzuwendenden Bestimmungen der Tiroler Bauordnung, LGBl. Nr. 94/2001 (TBO 2001) in der hier maßgeblichen wiederverlautbarten Fassung, lauten:

"§ 2

Begriffsbestimmungen

(16) Untergeordnete Bauteile sind Vordächer, Dachkapfer, Kamine, Windfänge, Freitreppen, offene Balkone, Sonnenschutzeinrichtungen und dergleichen, fassadengestaltende Bauteile wie Erker, Gesimse, Lisenen, Rahmen und dergleichen, unmittelbar über dem Erdgeschoss angebrachte offene Schutzdächer sowie an baulichen Anlagen angebrachte Werbeeinrichtungen und Solaranlagen.

§ 6

Abstände baulicher Anlagen

von den übrigen Grundstücksgrenzen

und von anderen baulichen Anlagen

(1) Sofern nicht auf Grund der in einem Bebauungsplan festgelegten geschlossenen oder besonderen Bauweise oder auf Grund von darin festgelegten Baugrenzlinien zusammenzubauen bzw. ein anderer Abstand einzuhalten ist, muss jeder Punkt auf der Außenhaut von baulichen Anlagen gegenüber den Grenzen des Bauplatzes zu den angrenzenden Grundstücken mindestens einen horizontalen Abstand aufweisen, der

a) im Gewerbe- und Industriegebiet, im Kerngebiet, auf Sonderflächen nach den §§ 43 bis 47 und 50 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2001 und im Freiland das 0,4fache des lotrechten Abstandes zwischen dem betreffenden Punkt und dem Geländeniveau darunter, jedenfalls aber drei Meter, zum übrigen Bauland, zu Sonderflächen nach den §§ 48, 49 und 51 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2001 und zu Vorbehaltsflächen jedoch das 0,6fache dieses Abstandes, jedenfalls aber vier Meter, und

b) im übrigen Bauland, auf Sonderflächen nach den §§ 48, 49 und 51 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2001 und auf Vorbehaltsflächen das 0,6fache des lotrechten Abstandes zwischen dem betreffenden Punkt und dem Geländeniveau darunter, jedenfalls aber vier Meter,

beträgt. Wurde das Geländeniveau durch die Bauführung oder im Hinblick auf eine beabsichtigte Bauführung verändert, so ist bei der Berechnung der Abstände nach lit. a und b vom Geländeniveau vor dieser Veränderung auszugehen. Andernfalls ist vom bestehenden Geländeniveau auszugehen. Dies gilt auch dann, wenn eine Geländeveränderung mehr als zehn Jahre zurückliegt. Ist jedoch in einem Bebauungsplan eine Höhenlage festgelegt, so ist in allen Fällen von dieser auszugehen.

(2) Bei der Berechnung der Mindestabstände nach Abs. 1 bleiben außer Betracht und dürfen innerhalb der entsprechenden Mindestabstandsflächen errichtet werden:

a) untergeordnete Bauteile, sofern sie nicht mehr als 1,50 m in die Mindestabstandsflächen ragen und ein ausreichender Brandschutz zum angrenzenden Grundstück gewährleistet ist;

…"

Der Beschwerdeführer bringt zusammengefasst in seiner Beschwerde vor, dass die gegenständliche Wandscheibe einen untergeordneten Bauteil im Sinne des § 2 Abs. 16 TBO darstelle. Grundsätzlich sei von der Baufreiheit auszugehen, das heiße, Einschränkungen betreffend das Bauen müssten gesetzlich normiert sein. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere zum früheren § 7 Abs. 4 lit. b TBO 1978 verweist er darauf, dass es sich bei "untergeordneten Bauteilen" durchwegs um vorspringende - horizontale oder vertikale - Gliederungen des Gebäudes handle, denen der Charakter eines Raumes fehle. Auch bei ähnlichen Bauteilen sei das Vorspringen in horizontaler oder vertikaler Richtung ein wesentliches Merkmal. Im gegenständlichen Fall springe die gegenständliche Mauerscheibe vertikal in den Mindestabstand vor. Der Charakter des Raumes fehle vollständig. Die Ansicht, dass die Wandscheibe auf Grund ihrer Höhe nicht mehr als untergeordnet angesehen werden könne, sei verfehlt, da auch ein Kamin von 6,5 m Höhe oder ein Windfang von 6,5 m zulässig sei. Der Begriff "untergeordnet" bedeute nicht, dass dabei auf die Größe abzustellen sei, sondern einzig und allein darauf, ob es sich um eine raumbildende Gestaltung handle oder nicht.

Die im gegenständlichen Fall zu beurteilende Wandscheibe schließt nach dem, dem Verwaltungsakt einliegenden Einreichplan an das in diesem Bereich als Terrasse ausgebaute Dach des Hauses an und verläuft in einer Länge von 2,5 m mit einem Winkel von ca. 30 Grad in südöstlicher Richtung zur südlichen Hausfront. Nur am Schnittpunkt Hausaußenwand und Wandscheibe kommt der Wandscheibe Trägerfunktion zu. Der Bauteil weist eine Höhe von ca. 6,50 m und eine Tiefe von ca. 50 cm auf. Die Wandscheibe liegt unbestrittener Maßen zu einem großen Teil im Mindestabstandsbereich von 4 m zu den Nachbargrundstücken, ragt aber auf Grund der Schrägstellung nicht mehr als 1,5 m in diesen.

Mit der Tiroler Bauordnung 1998 wurde die Begriffsbestimmung der "untergeordneten Bauteile" in § 2 Abs. 16 neu aufgenommen (vgl. die Ausführungen auf S. 21 f der Erläuternden Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes, mit dem eine Bauordnung für Tirol erlassen wird - Tiroler Bauordnung 1998). Diese Bestimmung ist in § 2 Abs. 16 TBO 2001 wiederverlautbart. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu ausgeführt, dass auch Lauben- und Erschließungsgänge, mögen sie auch an drei Seiten offen sein, nicht allein deshalb, also ohne Rücksicht auf ihre Dimensionierung im Verhältnis zum restlichen Bauwerk, als "untergeordneter Bauteil" anzusehen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. Dezember 2000, Zl. 99/06/0089). Damit hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass bei der Frage, ob ein Bauteil als "untergeordnet" zu qualifizieren ist, auch auf die Dimensionierung im Verhältnis zum restlichen Bauwerk Bedacht zu nehmen ist. Auch ohne dass ein Bauteil eine "Raumbildung" entfaltet, kann im Hinblick auf seine Größe das Vorliegen eines untergeordneten Bauteils zu verneinen sein. Dies geht auch klar aus der Bestimmung des § 2 Abs. 16 TBO 2001 hervor, worin vom Merkmal der Raumbildung keine Rede ist.

Ein Vergleich der in des § 2 Abs. 16 TBO 2001 angeführten Bauteile mit der im vorliegenden Fall gegebenen "Wandscheibe" lässt hier keinen Zweifel aufkommen, dass die Baubehörden und dieser folgend die belangte Behörde die gegenständliche Wandscheibe auf Grund ihrer Größe und Bauart ohne Rechtsirrtum nicht als untergeordneten Bauteil im Sinne des § 2 Abs. 16 TBO 2001 qualifiziert hat. Auf das Vorbringen, wonach die Sachverständigen die Frage der Raumbildung nicht schlüssig beantwortet hätten, war daher nicht einzugehen.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich des Orts- und Straßenbildes ist festzuhalten, dass weder die Baubehörden noch die belangte Behörde ihre Entscheidung auf § 5 Abs. 4 TBO 2001 gestützt haben.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 31. März 2009

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