VwGH 2007/21/0426

VwGH2007/21/042620.11.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des J, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 25. Oktober 2007, Zl. Senat-FR-07-3037, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §1 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §77 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §1 Abs2;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §76;
FrPolG 2005 §77 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste am 2. Dezember 2001 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Juli 2005 - in Rechtskraft erwachsen am 27. September 2005 - abgewiesen. Zugleich wurde (rechtskräftig) festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei, sowie eine Ausweisung nach Indien ausgesprochen. Eine dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hat der Beschwerdeführer, der am 22. September 2005 die österreichische Staatsangehörige A. geheiratet hatte, zurückgezogen. Die genannte Ehe wurde am 19. August 2007 geschieden.

Der Beschwerdeführer war bereits auf Grund des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 12. September 2007 von diesem Tag an in Schubhaft angehalten und am 14. September 2007 enthaftet worden.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 18. Oktober 2007 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 und 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG neuerlich die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung an.

Begründend führte sie - nach auszugsweiser Darstellung des bisherigen Verwaltungsgeschehens - aus, der Beschwerdeführer verfüge nicht über ausreichende Barmittel und könne auch keine rechtmäßige Beschäftigung ausüben, weil er weder im Besitz einer arbeitsmarkt- noch einer aufenthaltsrechtlichen Bewilligung sei. Es müssten daher für seinen weiteren Aufenthalt öffentliche Mittel aufgewendet werden. Dadurch sei die Annahme gerechtfertigt, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung, insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und einen geordneten Arbeitsmarkt, sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes gefährde. Der Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung könne ihm keine Aufenthaltsberechtigung verschaffen, weil es sich nicht um die Erteilung "eines weiteren Aufenthaltstitels" handle. Die Anwendung gelinderer Mittel nach § 77 Abs. 1 FPG sei auszuschließen, weil auf Grund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers die Annahme gerechtfertigt sei, dass er sich dem behördlichen Zugriff entziehen werde, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gegen seine Person zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren. Der Zweck der Schubhaft könne somit nicht durch die Anwendung eines solchen Mittels erreicht werden.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 19. Oktober 2007 Schubhaftbeschwerde, in der er auf seinen Aufenthalt im Inland seit 2. Dezember 2001 verwies und das Fehlen tauglicher Schubhaftgründe sowie das Fehlen einer Sachverhaltsänderung gegenüber der am 14. September 2007 angeordneten Enthaftung geltend machte. Nach Scheitern der Ehe mit der Österreicherin A. lebe er in aufrechter Lebensgemeinschaft mit der ungarischen Staatsangehörigen E. Die Eheschließung mit E. hätte am 14. September 2007 erfolgen sollen, was durch die genannte Schubhaft unmöglich gemacht worden sei. Aus übermittelten Unterlagen gehe hervor, dass er seit 20. August 2006 bei der Firma S. "mit einem Bruttoverdienst in der Höhe von EUR 1.042,00 beschäftigt ist (war)". Weiters habe er einen Gewinn von EUR 1.454,-- für die Monate Oktober bis Dezember 2006 "für den Einkauf von Zeitungen und Zeitschriften erhalten". Das "angeführte Dienstverhältnis" bestehe zwar nicht mehr, jedoch erziele er im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten ein Einkommen durch Aushilfsarbeiten.

Bis zur Ehescheidung und "über die Schutzfrist hinaus" sei er mit A. mitversichert gewesen, sodass er auch im Krankheitsfall keiner Gebietskörperschaft zur Last gefallen wäre. Aus seiner nunmehrigen Lebensgemeinschaft mit E., die "über ein Einkommen in Höhe von rund EUR 1.400,-- verfügt", ergebe sich "ebenfalls eine Mitversicherung". Abgesehen von dem langen Aufenthalt, der sozialen Bindung und dem beruflichen Engagement unterhalte er einen festen Wohnsitz und habe Ladungen - zuletzt durch die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf für den 18. Oktober 2007 - stets Folge geleistet. Darüber hinaus verfüge er über weitere private und berufliche Bindungen, etwa zu Arbeitskollegen sowie zu Angehörigen von A. und E. (diese werden näher dargestellt). Die Schubhaft stelle somit einen massiven Eingriff in sein durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Privat- und Familienleben dar. Infolge der dargestellten Aufenthaltsverfestigung und Integration sei die Notwendigkeit einer Schubhaft zu verneinen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Beschwerde gemäß § 83 FPG als unbegründet ab.

Begründend verwies die belangte Behörde zunächst auf die Ausführungen der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf. Ergänzend werde "festgestellt", dass "hinsichtlich der Zwecke der Lebensgemeinschaft mit E." noch einige Zweifel blieben, "ob es sich hier um eine eheähnliche Partnerschaft oder bloß um eine Art Wohngemeinschaft mit dem Ziel einer gelegentlichen Betreuung der Kinder der E." handle. Ob der Beschwerdeführer die von ihm behauptete Tätigkeit bei der Firma S. "auf Grund arbeitsmarktrechtlicher Bewilligungen ausgeübt" habe, sei nicht bekannt. Auch "solle" er durch den offenbar selbständigen Ein- und Verkauf von Zeitungen und Zeitschriften einen Gewinn von EUR 1.454,-- erwirtschaftet haben. Darüber hinaus sei eine gegenwärtige und weitergehende berufliche Verankerung im Inland "nicht erkennbar".

Zu den geltend gemachten sozialen Kontakten sei "festzustellen", dass "eine familiäre Bindung im engeren Sinn zu der geschiedenen Gattin (A.) wohl nicht gegeben" sei. Bloße Bekanntschaften vermögen die Annahme einer fundierten sozialen Einbettung nicht ausreichend zu stützen. Auch die Familienbindung zu E. und deren Kindern erscheine "nicht ausreichend fundiert". Nach seiner Enthaftung "am 14.7.2007" sei er "zweifellos für eine Zeit lang untergetaucht, wobei er durch die Aussagen" der E., er sei "nach Indien gereist", unterstützt worden sei. Die Tendenz, sich durch Untertauchen dem behördlichen Zugriff entziehen zu wollen, sei auch durch das Erscheinen am 18. Oktober 2007 über behördliche Ladung "nicht nachhaltig entkräftet". Von "einer Wirksamkeit gelinderer Mittel", über deren Anwendung die belangte Behörde jedoch mangels Zuständigkeit ohnehin nicht zu befinden habe, könne somit "wohl nicht ausgegangen werden". Die Schubhaft erweise sich damit als einzig taugliches Sicherungsmittel für die durchzuführenden fremdenpolizeilichen Verfahrensschritte.

Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde ausreichend geklärt erschienen sei. Der Ausspruch gemäß § 83 Abs. 4 FPG, dass im Zeitpunkt der Entscheidung auf Grund des als erwiesen festgestellten Sachverhaltes die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgebenden Voraussetzungen vorlägen, sei deshalb erfolgt, weil die Anhaltung in Schubhaft noch andauere.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die belangte Behörde hat es verabsäumt, das Vorliegen eines - nur durch die Verhängung von Schubhaft abdeckbaren - Sicherungsbedarfs gegenüber dem Beschwerdeführer, auf den nach der Beendigung seines Asylverfahrens die Bestimmung des § 76 Abs. 1 FPG Anwendung findet, zu prüfen. Sollte sich das dargestellte Vorbringen der Schubhaftbeschwerde, der Beschwerdeführer habe während seines langen (seit 2. Dezember 2001 andauernden) Aufenthalts im Bundesgebiet ständig über eine Wohnung verfügt, sei polizeilich gemeldet gewesen, habe Ladungen stets Folge geleistet sowie die dargestellten sozialen und beruflichen Bindungen aufgewiesen, was im angefochtenen Bescheid bislang ungeprüft geblieben ist, als richtig erweisen, wäre ein solcher Sicherungsbedarf nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verneinen. Dazu kommt, dass die belangte Behörde - entgegen der von ihr vertretenen Ansicht - auch zur Prüfung gehalten gewesen wäre, ob der Zweck der Schubhaft durch Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 FPG erreicht werden könnte (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. März 2007, Zl. 2007/21/0019, vom 20. Dezember 2007, Zl. 2006/21/0359, und vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0162, jeweils mwN).

Dabei auftretende - von der belangten Behörde im konkreten Einzelfall sogar wiederholt ausdrücklich offengelegte - Zweifel sind dabei nach der klaren Anordnung des § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu klären, die demnach schon auf Grund der wiedergegebenen (negativen) Feststellungen der belangten Behörde zu Unrecht unterblieben ist.

In Bezug auf den nach § 83 Abs. 4 erster Satz FPG vom unabhängigen Verwaltungssenat vorzunehmenden (im Beschwerdefall - abgesehen von einem unzureichenden Hinweis in den Entscheidungsgründen - fehlenden) Ausspruch über die weitere Anhaltung in Schubhaft, der gegebenenfalls einen neuen Titelbescheid darstellt, hat der unabhängige Verwaltungssenat nach der genannten Bestimmung inhaltlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft vorliegen. Auch dabei hat er die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel an Stelle der Schubhaft - bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 77 Abs. 1 FPG im Rahmen des ihm insoweit eingeräumten Ermessens -

zu berücksichtigen. Lediglich zur Anordnung eines gelinderen Mittels fehlt ihm die Zuständigkeit. Das bleibt der Fremdenpolizeibehörde vorbehalten (vgl. dazu zuletzt das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0246 mwN). Die im angefochtenen Bescheid in diesem Zusammenhang ausschließlich angeführte Rechtsgrundlage der Entscheidung kann ihre inhaltliche Begründung nicht ersetzen.

Anzumerken ist schließlich, dass die pauschal unterstellte "Tendenz unterzutauchen" ohne ersichtliche Grundlage in den Beweisergebnissen geblieben ist.

Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet, weshalb er - ohne dass auf das weitere Vorbringen der Beschwerde eingegangen werden musste - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. November 2008

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