VwGH 2007/21/0180

VwGH2007/21/018017.7.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 14. März 2007, Zl. Fr 2478/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

62003CJ0383 Dogan VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z2;
EMRK Art8 Abs2;
62003CJ0383 Dogan VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z2;
EMRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateten türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei erstmals im Jahr 1979 als Student in das Bundesgebiet eingereist. Mit Bescheid vom 13. März 1980 sei gegen ihn wegen Mittellosigkeit und illegalen Aufenthaltes ein bis zum 30. Juni 1985 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, das mit Bescheid vom 9. Oktober 1980 aufgehoben worden sei. In der Folge seien ihm Wiedereinreise-Sichtvermerke bis 23. September 1982 erteilt worden. Danach sei er ausgereist und erst 1985 wieder in das Bundesgebiet eingereist, wo er sich seither durchgehend aufhalte.

Am 21. Juli 1986 und - nach einer Scheidung neuerlich - am 20. Juni 2006 habe der Beschwerdeführer die (nunmehr) österreichische Staatsangehörige X. geheiratet, die im Jahr 1986 auf Grund einer Familienzusammenführung aus der Türkei in das Bundesgebiet eingereist sei. Die gemeinsamen Söhne E., geboren am 21. September 1985, und D., geboren am 30. September 1987, seien österreichische Staatsbürger. Weiters hielten sich sein Bruder und seine Schwester mit ihren Familien im Bundesgebiet auf. Ihm seien wiederholt, zuletzt mit Gültigkeit bis 30. November 2002, Niederlassungsbewilligungen für jeglichen Aufenthaltszweck erteilt worden. Bis Mai 2002 - danach jedoch nicht mehr - sei der Beschwerdeführer einer Erwerbstätigkeit als Arbeiter bei verschiedenen Unternehmen nachgegangen.

Der Beschwerdeführer sei wie folgt rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden:

1. Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 19. Oktober 1992 wegen der §§ 105 Abs. 1, 107 Abs. 1 und 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen zweimonatigen Freiheitsstrafe. Er habe am 30. November 1991 in St. Pölten Wolfgang M., der einen Pkw der Marke VW-Golf gelenkt habe, mit Gewalt, indem er nach einem Überholmanöver seinen Pkw quer über die Fahrbahn gestellt habe, zu einem abrupten Abbremsen und Anhalten seines Pkws genötigt, gemeinsam mit Mittätern durch die Äußerung "Wir hauen dir den Schädel ein" Wolfgang M. zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, und diesen gemeinsam mit Mittätern durch Faustschläge und Fußtritte vorsätzlich am Körper verletzt.

2. Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 4. April 2001 wegen der §§ 107 Abs. 1 und 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten. Er habe am 24. Juli 2000 in Herzogenburg Walter F. durch die mehrfache Äußerung, er werde ihn niederschlagen, gefährlich mit einer Verletzung am Körper bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, sowie ihn durch Versetzen eines Fußtrittes vorsätzlich am Körper verletzt.

3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 19. Mai 2004 wegen des in der Form einer Beitragstäterschaft versuchten Verbrechens nach § 28 Abs. 2, 3 und 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Er habe am 22. Mai 2002 in Graz als Beitragstäter versucht, rund 4,5 kg Heroin durch Übergabe an einen verdeckten Ermittler in Verkehr zu setzen.

Nach der bedingten Entlassung aus dieser Freiheitsstrafe am 21. Februar 2006 habe der Beschwerdeführer keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt, sodass das Fortdauern einer Berechtigung nach Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 zu verneinen sei. Darüber hinaus sei er jedoch als Ehemann Familienangehöriger im Sinne des § 87 FPG (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer nicht freizügigkeitsberechtigten Österreicherin, sodass § 86 FPG auf ihn anzuwenden sei.

Im Hinblick auf die besonders schwer wiegende Straftat nach dem Suchtmittelgesetz, mit der üblicherweise eine hohe Begleitkriminalität und eine große Wiederholungsgefahr einhergehe, sei von einer außerordentlich gravierenden und massiven Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen. Zudem gehe der Beschwerdeführer keiner Erwerbstätigkeit nach und verfüge über Verbindungen in das kriminelle bzw. in das Suchtgiftmilieu, sodass - zumal unter Berücksichtigung seiner angespannten finanziellen Situation - keine günstige Prognosebeurteilung erfolgen könne. Auch der ersten und zweiten Verurteilung sei ein erheblich vorzuwerfendes Verhalten zu Grunde gelegen. Im ersten Fall habe sich seine Neigung zu einem aggressiven, rücksichtslosen und gefährdenden Verhalten im Straßenverkehr gezeigt, als er zusammen mit zwei Mittätern ein Opfer attackiert habe. Im Jahr 2001 sei er gegen einen betagten Pensionisten gewalttätig geworden. Auch an der Wahrung der körperlichen Integrität bestehe ein großes öffentliches Interesse. Das Aufenthaltsverbot sei daher zur Erreichung der Ziele des Art. 8 Abs. 2 EMRK, vor allem zum Schutz der Rechte und der Gesundheit anderer Personen, dringend geboten.

Das Aufenthaltsverbot stelle - so begründete die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 66 FPG - einen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar. Dem stehe jedoch das besonders hohe öffentliche Interesse an der Bekämpfung der außergewöhnlich gefährlichen Suchtgiftkriminalität, auch mit fremdenpolizeilichen Maßnahmen, gegenüber. Dazu komme, dass die Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen Geschwistern nicht über das bei erwachsenen Seitenverwandten dieses Grades übliche Maß hinausgehe. Die Beziehung zu seinen Söhnen werde durch deren Volljährigkeit relativiert. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass er schon vor Verbüßung der letztgenannten Haftstrafe seine Familie verlassen, sich habe scheiden lassen und mit seiner damaligen Lebensgefährtin, einer slowakischen Staatsangehörigen, mit der er einen gemeinsamen Sohn habe, in der Steiermark gewohnt habe. Seiner Ehegattin, die "gebürtige türkische Staatsangehörige" sei, stünde es frei, den Beschwerdeführer nach einer Rückkehr in die Türkei zu begleiten. Auch seine Söhne oder die Seitenverwandten könnten in dort besuchen.

Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer sei dringend geboten. Die Abstandnahme von dessen Erlassung würde wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie. Seine privaten und familiären Interessen müssten gegenüber dem hohen öffentlichen Interesse an der Hintanhaltung (insbesondere) der Suchtmittelkriminalität zurücktreten. Im Übrigen sei seine Integration durch die versuchte Beteiligung am Drogenhandel und die früheren Straftaten relativiert. Auch eine Ermessensübung im Sinn einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wäre im Hinblick auf die dargestellte massive Delinquenz nicht mehr im Sinn des Gesetzes gelegen.

Die Befristung des Aufenthaltsverbotes mit zehn Jahren erfolge deshalb, weil nicht unwesentliche familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet vorlägen und sich der Beschwerdeführer bereits seit 1985 durchgehend in Österreich aufgehalten habe. Vor Ablauf von zehn Jahren sei eine günstige Prognosebeurteilung jedoch nicht möglich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass ein türkischer Staatsangehöriger seine aus Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB abgeleiteten Rechte nicht deshalb verliert, weil er während einer - auch mehrjährigen - Inhaftierung keine Beschäftigung ausübt, wenn seine Abwesenheit vom regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates nur vorübergehend ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 17. November 2005, Zl. 2005/21/0286, und vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0138, jeweils mwN), sofern er den Zeitraum, der angemessen ist, um nach dem Ende seiner Inhaftierung eine neue Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis zu finden, nicht überschritten hat (vgl. das Urteil des EuGH vom 7. Juli 2005, C- 383/03 , Dogan E., RNr. 23). Von einem solchen angemessenen Zeitraum kann im Beschwerdefall jedoch fallbezogen nicht mehr die Rede sein, weil der Beschwerdeführer auch nach der bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe (im Februar 2006) bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides (im März 2007) keiner unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.

Ebenso gehen weder aus dem Beschwerdevorbringen noch aus der Aktenlage Anhaltspunkte dafür hervor, dass die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers ihr Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen hätte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 13. März 2007, Zl. 2006/18/0188), sodass keine Bedenken gegen die Verneinung der Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen sowie die auf § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG gestützte Zuständigkeit der belangten Behörde bestehen.

Gegen den Beschwerdeführer als Ehegatten einer Österreicherin, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, ist gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei der Beurteilung, ob die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Grund dieser Bestimmung zulässig ist, kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als Orientierungsmaßstab zurückgegriffen werden. Allein auf Grund der letztgenannten Verurteilung des Beschwerdeführers ist der - wie dargestellt als Orientierungsmaßstab heranzuziehende - Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Das vor allem aus der versuchten Weitergabe von Heroin in einer übergroßen Menge hervorkommende krasse Fehlverhalten bietet einen klaren Grund für die Annahme der belangten Behörde, dass vom Beschwerdeführer eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2007, Zl. 2007/18/0345).

Der weiteren behördlichen Annahme, dass das den beiden ersten Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten geeignet ist, eine relevante Vergrößerung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen herbeizuführen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 11. Dezember 2007, Zl. 2006/18/0278), tritt die Beschwerde aber gar nicht entgegen.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG hat die belangte Behörde den langjährigen Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers, seine Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen sowie seine familiäre Integration im Inland berücksichtigt. Es entspricht in diesem Zusammenhang der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei solchen Verbrechen gegen das SMG in der Regel weder ein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet noch eine vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot entgegenstehen (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2008/21/0339).

Der durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Beeinträchtigung des gemeinsamen Familienlebens steht die dargestellte große Gefährdung öffentlicher Interessen durch den Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich gegenüber. Schon daher kann weder der wiedergegebenen Argumentation der belangten Behörde noch den von ihr erzielten Schlussfolgerungen, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen und Schutz der Gesundheit Dritter) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), entgegengetreten werden.

Ebenso hätte eine Übung des der Behörde eingeräumten Ermessens zu Gunsten des Beschwerdeführers nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht dem Gesetz entsprochen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. Juli 2008

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