VwGH 2007/18/0461

VwGH2007/18/04613.7.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der M S in W, geboren am 20. Jänner 1958, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Mommsengasse 9/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. Dezember 2006, Zl. SD 955/05, betreffend Ausweisung zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13a;
AVG §37;
AVG §43 Abs4;
AVG §45 Abs2;
AVG §13a;
AVG §37;
AVG §43 Abs4;
AVG §45 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 5. Dezember 2006 wurde die Beschwerdeführerin, eine kroatische Staatsangehörige, gemäß § 54 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Begründend stellte die belangte Behörde im Wesentlichen fest, die Beschwerdeführerin sei erstmals am 28. Oktober 2001 nach Österreich eingereist, dann ausgereist und am 9. Jänner 2002 in das Bundesgebiet zurückgekehrt. Bereits am 20. Februar 2002 habe sie einen österreichischen Staatsbürger geheiratet und darauf gestützt Niederlassungsbewilligungen erhalten. Die Beschwerdeführerin habe sich auf diese Ehe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels berufen, obwohl sie nie ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK mit dem Ehemann geführt habe. Auf Grund der Eheschließung der Beschwerdeführerin seien auch deren fünf Kinder in den Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich gelangt.

Bei einer polizeilichen Kontrolle in der angeblich ehelichen Wohnung in Wien 20 sei die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Ex-Ehegatten und zwei Kindern noch im Bett liegend angetroffen worden. Der Ex-Ehegatte habe sich unter der Decke verstecken wollen. Zum Grund seines Aufenthaltes befragt habe er angegeben, nur zu Besuch zu sein. Warum er dann im gemeinsamen Bett mit seiner Ex-Ehegattin übernachte, obwohl beide mit österreichischen Staatsbürgern verheiratet seien, habe er nicht erklären können.

Bei einer Befragung des Ehegatten der Beschwerdeführerin am 22. Juli 2004 habe dieser angegeben, seit 20 Jahren mit einer Lebensgefährtin in deren Wohnung in Wien 10 zu leben. Er habe diese Lebensgefährtin unbedingt heiraten wollen, womit sie aber nicht einverstanden gewesen sei; er sei daher sehr enttäuscht gewesen und habe aus lauter Trotz die Beschwerdeführerin geheiratet. Es sei ausgemacht gewesen, dass die beiden nach der Hochzeit getrennte Wege gingen und jeder sein eigenes Leben führe. Er habe nur manchmal zu Besuch kommen sollen. Die Ehe mit der Beschwerdeführerin sei nie vollzogen worden. Die Beschwerdeführerin und er hätten für die Wohnung in Wien 20 jeweils EUR 2.500,-- bezahlt. Er habe keinerlei Vermögensvorteil für die Eheschließung erhalten und nur geheiratet, um seine Lebensgefährtin zu ärgern und sie so dazu zu bringen, ihn zu heiraten.

Die Beschwerdeführerin habe bei ihrer Befragung angegeben, die Ehe sei vollzogen worden und sie habe mit ihrem Ehegatten ungefähr ein Jahr lang einen gemeinsamen Haushalt geführt. Die Ehe sei nicht glücklich gewesen, ihr Mann sei gekommen und gegangen, wie es ihn gerade gefreut habe. Zu Beginn des Jahres 2003 habe er die gemeinsame Wohnung verlassen. Die Beschwerdeführerin habe bestritten, dass ihr geschiedener Ehegatte immer noch bei ihr wohnhaft sei und dass sie eine Scheinehe geschlossen habe, und sei dabei geblieben, aus Liebe geheiratet zu haben.

Bei einer neuerlichen Befragung des nunmehrigen Ehegatten am 8. April 2005 habe dieser die Behauptungen der Beschwerdeführerin über einen gemeinsamen Haushalt und eine Geschlechtsgemeinschaft bestritten und angegeben, er lebe mit seiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt und habe immer bei ihr genächtigt. Er wolle sich so rasch wie möglich scheiden lassen. Er habe bereits ausführlich erzählt, wie es zu der ganzen Sache gekommen sei, und bleibe bei diesen Angaben.

Die Lebensgefährtin des Ehegatten habe bei ihrer Vernehmung angegeben, nicht zu wissen, warum ihr Lebengefährte so einen Blödsinn gemacht habe; sie könne mit Sicherheit angeben, dass er keinesfalls in einem gemeinsamen Haushalt mit der Beschwerdeführerin gewohnt habe. Sie seien seit 1984 ein Paar; ihr Lebensgefährte habe mit Ausnahme von Krankenhausaufenthalten oder dergleichen keine Nacht außerhalb der gemeinsamen Wohnung verbracht. Er habe ihr nach der Eheschließung sofort erzählt, dass er geheiratet habe, um sie zu ärgern. Sie glaube, dass er dies getan habe, weil sie sich seit längerer Zeit geweigert habe zu heiraten; sie könne jedoch mit Sicherheit angeben, dass er mit der Beschwerdeführerin niemals zusammen gewohnt habe, geschweige denn mit ihr ins Bett gegangen sei.

Der Ehegatte der Beschwerdeführerin sei am 15. Oktober 2005 verstorben.

Die Beschwerdeführerin sei daher nunmehr verwitwet und für zwei Kinder aus einer Vorehe sorgepflichtig; drei weitere Kinder, die ihren Aufenthalt ebenfalls von der Scheinehe der Beschwerdeführerin ableiteten, befänden sich ebenfalls im Bundesgebiet. Zwei Töchter seien verheiratet, eine weitere (volljährige) Tochter lebe mit ihr im gemeinsamen Haushalt. Die beiden jüngsten (minderjährigen) Kinder der Beschwerdeführerin besuchten in Österreich die Schule.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, wer sich zur Erlangung eines Aufenthaltstitels auf eine Ehe berufe, obwohl ein gemeinsames Ehe- und Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie vorgelegen habe, gefährde maßgebliche öffentliche Interessen (an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens), weshalb auch der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegenstehe. Die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG seien damit gegeben.

Angesichts der familiären Situation der Beschwerdeführerin sei zwar von einem mit der Erlassung der Ausweisung verbundenen erheblichen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen, der jedoch zulässig sei, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG).

Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration der Beschwerdeführerin Bedacht zu nehmen. Diese wiege jedoch keinesfalls schwer, sei doch auch zu bedenken, dass sich der gesamte Aufenthalt der Beschwerdeführerin ausschließlich auf das angeführte Fehlverhalten stütze. Letzteres gelte "im Ergebnis wohl auch für ihre Familienangehörigen". Erst durch dieses Fehlverhalten sei es der Beschwerdeführerin überhaupt ermöglicht worden, in Österreich ein regelmäßiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen.

Dass einer gemeinsamen Ausreise der Beschwerdeführerin mit ihren (minderjährigen) Kindern unüberwindliche Hindernisse entgegenstünden, sei nicht geltend gemacht worden und auch nicht aktenkundig. Dass die beiden jüngsten Kinder in Österreich die Schule besuchten, sei "Ausfluss der in Österreich geltenden Unterrichts- bzw. Schulpflicht" und daher nicht besonders zugunsten der Beschwerdeführerin zu veranschlagen. Den Kontakt zu ihren Kindern könne sie - wenn auch eingeschränkt - auch vom Ausland aus wahrhaben, eine Einschränkung, die ihr im öffentlichen Interesse zuzumuten sei.

Das der Beschwerdeführerin solcherart insgesamt zu unterstellende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet sei zwar gewichtig, keinesfalls jedoch besonders ausgeprägt. Dem stehe das maßgebliche hohe öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenlagen gelange die Behörde zu der Ansicht, dass die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin (und ihrer Familie) keinesfalls schwerer wögen als das in ihrem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse an der Beendigung ihres Aufenthalts. Die Erlassung der Ausweisung erweise sich sohin auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG als zulässig.

2. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 18. Juni 2007, B 79/07, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

3. In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begehrt die Beschwerdeführerin, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Soweit die Beschwerde als Verfahrensmangel rügt, dass es die Behörde unterlassen habe, der Beschwerdeführerin einen Dolmetscher beizugeben, ist schlicht auf das Protokoll über die Befragung der Beschwerdeführerin am 27. Juli 2004 zu verweisen, aus dem die Mitwirkung eines Dolmetschers hervorgeht (AS 74f).

Das in der Verfahrensrüge im Weiteren ins Treffen geführte Fragerecht der Parteien gemäß § 43 Abs. 4 AVG ist auf mündliche Verhandlungen beschränkt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1999, Zl. 99/07/0071; Hengstschläger/Leeb, AVG § 43 Rz 4), sodass auch in dieser Hinsicht eine Mangelhaftigkeit des Administrativverfahrens nicht vorliegt.

Soweit die Beschwerde eine Verletzung der Manuduktionspflicht durch die belangte Behörde andeutet, so weist diese in ihrer Gegenschrift zutreffend auf die rechtsanwaltliche Vertretung der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren hin; bei einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt aber kann die Manuduktionspflicht im Sinn des § 13a AVG nicht verletzt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2005/18/0156).

2.1. Als Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerdeführerin schließlich auch geltend, sie habe zum Beweis dafür, dass sie mit ihrem Ehegatten ein Jahr lang in einer gemeinsamen Wohnung in Wien 9 und daran anschließend einige Monate lang in einer gemeinsamen Wohnung in Wien 20 gewohnt habe, die Befragung ihrer Tochter S.S. als Zeugin beantragt. Die belangte Behörde habe diesem Beweisantrag allerdings nicht entsprochen.

Bei Befragung jener Zeugin und der weiteren - erst in der Beschwerde angeführten - Zeugen J.R. und E.P. hätte die belangte Behörde zum Ergebnis kommen müssen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte sehr wohl in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hätten und ihre Ehe keinesfalls eine Scheinehe darstelle.

2.2. Tatsächlich beantragte die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien als Erstbehörde die "Einvernahme der Tochter S.S." unter anderem zum Beweis dafür, dass sie mit ihrem Ehegatten ein Jahr lang im gemeinsamen Haushalt gewohnt habe (S. 2 und 4 der Berufung).

Dieser durch die belangte Behörde nicht erledigte Beweisantrag findet im angefochtenen Bescheid keine Erwähnung.

In ihrer Gegenschrift vermeint die belangte Behörde, aus dem Berufungsschriftsatz sei nicht erkennbar gewesen, zu welchem Beweisthema die Zeugin aufgeboten werde.

2.3. Nach ständiger hg. Rechtsprechung dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne zulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. Juni 2008, Zl. 2008/18/0102, sowie vom 11. Dezember 2007, Zl. 2004/18/0018).

Im Hinblick darauf, dass die belangte Behörde die nach § 54 Abs. 1 Z. 1 FPG ausgesprochene Ausweisung der Beschwerdeführerin auf den Versagungsgrund einer Aufenthaltsehe der Beschwerdeführerin (§§ 11 Abs. 1 Z. 4, 30 Abs. 1 NAG) stützt, ist das mit dem erwähnten Beweisantrag verknüpfte Beweisthema eines gemeinsamen Haushaltes von rechtlicher Bedeutung. Die Unterlassung der Vernehmung der beantragten Zeugin stellt somit einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, dem deshalb Relevanz zukommt, weil die Behörde bei Zutreffen der Behauptung der Beschwerdeführerin zu einem anderen, für die Beschwerdeführerin günstigen Bescheid hätte kommen können.

3. Die belangte Behörde wird somit nach Ergänzung des Beweisverfahrens unter dem rechtlichen Aspekt, ob die zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem mittlerweile verstorbenen Ehegatten geschlossene Ehe lediglich eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG darstellte, neuerlich Feststellungen zu treffen haben.

Sollte die belangte Behörde auch nach Ergänzung des Beweisverfahrens davon ausgehen, dass der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z. 4 NAG nachträglich bekannt geworden ist (§ 54 Abs. 1 Z. 1 FPG), so werden - um eine nachvollziehbare Interessenabwägung im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG zu ermöglichen - auch zu den Lebensumständen der zwei minderjährigen Kinder der Beschwerdeführerin und der nach dem Vorbringen im Administrativverfahren ebenfalls noch im gemeinsamen Haushalt mit dieser lebenden Tochter S.S. nähere Feststellungen zu treffen sein.

4. Der angefochtene Bescheid war aus den ausgeführten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 3. Juli 2008

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