VwGH 2007/18/0439

VwGH2007/18/04392.9.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des D R in W, geboren am 3. November 1979, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 24. April 2007, Zl. E1/169782/2007, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §61 Z4;
MRK Art7 impl;
VStG §1 Abs1 impl;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §61 Z4;
MRK Art7 impl;
VStG §1 Abs1 impl;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 24. April 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer in Österreich geboren sei und sich seit der Geburt hier aufhalte.

Er sei bereits im Alter von siebzehn Jahren erstmals strafgerichtlich verurteilt worden, und zwar durch Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 28. Jänner 1997 wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls gemäß §§ 127, 131 Fall 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten. Der Verurteilung sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 26. September 1996 in Wien zusammen mit Mittätern einem namentlich bekannten Opfer zwei Fingerringe im Wert von insgesamt öS 3.000,-- gestohlen und - bei dem Diebstahl auf frischer Tat betreten - das Opfer mit dem Hinweis, es werde zusammengeschlagen werden, wenn es ihnen die Ringe nicht überließe, mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben bedroht habe.

Am 9. Februar 1998 sei der Beschwerdeführer neuerlich vom Jugendgerichtshof Wien verurteilt worden, und zwar wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 StGB und des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen schweren Diebstahls durch Einbruch gemäß §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4, 129 Z. 1, 130 vierter Fall und 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten (als Zusatzstrafe zu dem oben erwähnten Urteil). Nach den Urteilsgründen habe der Beschwerdeführer gemeinsam mit Mittätern im Sommer 1996 im Prater einen Mann geschlagen und von ihm Geld gefordert, letztlich von ihm aber ablassen müssen, weil sich das Opfer erfolgreich gewehrt habe, sowie am 25. September 1996 einen Glücksspielautomaten aufgebrochen und öS 1.200,-- an Bargeld gestohlen.

Am 20. März 1998 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten, davon 6 Monate unbedingt, verurteilt worden. Der Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer mit Mittätern im Frühjahr 1997 in Wien vor einem Kaffeehaus einen Unbekannten niedergeschlagen und ihm öS 500,-- geraubt, im Februar 1997 in einem Lokal einem Unbekannten ein Handy und einem weiteren Unbekannten eine Geldbörse sowie eine Halskette gestohlen habe, während die Opfer infolge Alkoholkonsums besinnungslos gewesen seien, und im Juni 1996 in Wien einen namentlich bekannten Mann durch Verprügeln leicht am Körper verletzt habe.

Mit Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 17. Dezember 1998 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Monaten verurteilt worden, weil er zusammen mit Mittätern am 20. Juni 1998 einem namentlich bekannten Mann in zwei Angriffen öS 18.400,-- gestohlen und die Scheckkarte des Mannes weggeworfen habe.

Am 26. Juli 2004 sei der Beschwerdeführer wiederum, und zwar wegen teils versuchten und teils vollendeten schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs. 2 und 15 StGB zu einem Jahr unbedingter Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach den Urteilsgründen hätten der Beschwerdeführer und der Mittäter unter der Vortäuschung, zahlungswillig und zahlungsfähig zu sein, Anfang Februar 2004 zwei Möbelfirmen um insgesamt EUR 3.152,-- schädigen wollen.

Schließlich sei der Beschwerdeführer am 8. Juni 2006 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs. 2 und 148 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von dreißig Monaten unbedingt verurteilt worden. Der Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer im Herbst 2004 mit Mittätern slowakischen Staatsbürgern bei der Anmeldung von mindestens 35 Mobiltelefonen behilflich gewesen sei, wobei die Täter jeweils 50 oder 100 Euro erhalten und es billigend in Kauf genommen hätten, dass die Handys missbräuchlich verwendet würden. Weiters habe der Beschwerdeführer mitgeholfen, einem namentlich bekannten Mann insgesamt EUR 11.100,-- abzunötigen, sowie im Juli 2005 gemeinsam mit einem Mittäter ein gestohlenes Bild übernommen und es mehreren Kunsthändlern zum Kauf angeboten.

Der Beschwerdeführer sei ledig, ohne Berufsausbildung und ohne Beschäftigung. Er weise starke familiäre Bindungen im Bundesgebiet auf, weil seine Eltern, seine Geschwister, seine Lebensgefährtin und seine (drei) Kinder hier wohnten.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass nach § 60 Abs. 1 FPG gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt sei, dass sein Aufenthalt (Z. 1) die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde oder (Z. 2) anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Eine bestimmte Tatsache in diesem Sinn liege gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG vor, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden sei.

Gesetzliche Gründe, welche die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer nicht zuließen (§ 61 FPG), lägen nicht vor, weil dieser bereits einmal zu mehr als einer zweijährigen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sei.

Durch die Verurteilungen des Beschwerdeführers sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG mehrfach erfüllt. Das diesen Verurteilungen zu Grunde liegende Verhalten lasse aber auch die Annahme als gerechtfertigt erscheinen, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit gefährde und überdies anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, nämlich insbesondere dem Schutz der Gesundheit und des Eigentums anderer, der Verteidigung der Ordnung und der Verhinderung von strafbaren Handlungen, zuwiderlaufe.

Aufgrund des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit seiner Geburt und seiner starken familiären Bindungen im Bundesgebiet sei von einem "sehr schweren mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben" des Beschwerdeführers auszugehen. Dennoch sei die Berufungsbehörde nach reiflicher Überlegung zur Ansicht gelangt, dass die Zulässigkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Grunde des § 66 FPG zu bejahen sei. Im Hinblick auf die Häufigkeit und die trotz höher werdenden Lebensalters gleich bleibende Relevanz der vom Beschwerdeführer gesetzten strafbaren Handlungen, die vom Eigentumsdelikt über Körperverletzung und Betrug bis zum Raub reichten und gleichsam "einen Querschnitt durch das Strafgesetz" ergäben, sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und des Eigentums anderer) als dringend geboten zu erachten. Das geschilderte Fehlverhalten des Beschwerdeführers verdeutliche augenfällig seine Gefährlichkeit für die Gesundheit und das Eigentum von im Bundesgebiet aufhältigen Menschen und sein Unvermögen und seinen Unwillen, die Rechtsvorschriften Österreichs einzuhalten.

Eine positive Verhaltensprognose sei für den Beschwerdeführer im Hinblick auf die teilweise Gewerbsmäßigkeit seiner Vorgangsweise, die Vielzahl der Angriffe und deren Wiederholung innerhalb kurzer Zeiträume sowie die Schwere der Tathandlungen an sich keinesfalls möglich, auch nicht bezogen auf den in der Zukunft liegenden Zeitpunkt der Haftentlassung.

Im Hinblick auf die nach § 66 FPG erforderliche Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass der aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ableitbaren Integration, die jedenfalls in beruflicher Hinsicht gar nicht vorliege, insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch das fast ständige strafbare Verhalten des Beschwerdeführers stärkstens beeinträchtigt werde. Von daher hätten die sehr gewichtigen persönlichen und familiären Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den genannten - noch höher zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten. Die Behörde vermöge es nicht zu verantworten, den bisher schon schwer kriminell gewordenen Beschwerdeführer weiterhin im Bundesgebiet zu behalten.

Eine Ermessensübung komme "im Hinblick auf § 56 Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 FPG von vornherein nicht in Betracht".

Das Aufenthaltsverbot sei unbefristet auszusprechen, weil der Beschwerdeführer sein strafbares Verhalten wiederholt bzw. über lange Zeiträume hinweg gesetzt habe, sodass nicht vorhergesehen werden könne, wann der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Grund, nämlich die erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, weggefallen sein werde.

2. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 27. Juni 2007, B 1079/07, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

3. In der auftragsgemäß ergänzenden Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften des angefochtenen Bescheides geltend gemacht.

4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf Grundlage der unstrittig feststehenden Straftaten des Beschwerdeführers und der deswegen erfolgten rechtskräftigen Verurteilungen begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt und die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt seien, keinen Bedenken.

2.1. Gemäß § 61 Z. 4 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden (...).

2.2. Der Beschwerdefrührer bringt - unter Hinweis auf die mit 31. Dezember 2005 außer Kraft getretene Bestimmung des § 38 Abs. 1 Z. 4 Fremdengesetz - vor, dass das im gegenständlichen Fall im Hinblick auf § 61 Z. 4 FPG verhängte Aufenthaltsverbot als Strafe anzusehen sei und deshalb gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK verstoße.

2.3. Dem ist mit der ständigen hg. Rechtsprechung zu erwidern, dass es sich bei einem Aufenthaltsverbot nicht um eine Strafe, sondern um eine im öffentlichen Interesse erlassene administrativ-rechtliche Maßnahme handelt, sodass das Rückwirkungsverbot hier schon aus diesem Grund nicht zum Tragen kommt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0417, mwN, sowie vom 20. Dezember 2007, Zl. 2006/21/0168).

2.4. Abgesehen davon steht § 61 Z. 4 FPG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer schon im Hinblick darauf, dass dieser vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 8. Juni 2006 rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist, nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2008, Zl. 2007/18/0138).

3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG hat die belangte Behörde den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit seiner Geburt und dessen intensive familiäre Bindungen im Bundesgebiet berücksichtigt.

Wie die belangte Behörde - in der Beschwerde auch gar nicht bekämpft - zutreffend ausführt, wird allerdings die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration in ihrer sozialen Komponente durch das gravierende Fehlverhalten des Beschwerdeführers erheblich gemindert. Den insgesamt tatsächlich gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die aus seinen wiederholten Straftaten resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Im Hinblick auf das überaus große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Straftaten wie den oben geschilderten begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), keinen Bedenken.

4. Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers im Sinn des § 55 Abs. 3 Z. 1 FPG wäre eine auf einer Ermessensübung beruhende Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht im Sinn des Gesetzes gelegen (vgl. wiederum das vorzitierte Erkenntnis vom 28. Februar 2008).

5. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 2. September 2008

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte