VwGH 2007/08/0199

VwGH2007/08/019911.9.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der C in Wien, vertreten durch Mag. Gerald Schachner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Platz 5, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 20. Februar 2007, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2006-11200, betreffend Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4;
AlVG 1977 §38;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die im Bezug von Notstandshilfe stehende Beschwerdeführerin stellte mit Schreiben vom 4. Dezember 2006 an das Arbeitsmarktservice Wien, Regionale Geschäftsstelle Währinger Gürtel (in der Folge: AMS Währinger Gürtel), den Antrag auf Genehmigung bzw. Bezahlung eines "Lehrgangs zum Ausbildungsleiter/in" bei der N GmbH. Beigeschlossen war ein Schreiben der N GmbH an die Beschwerdeführerin, aus dem unter anderem hervorgeht, dass bei einer Förderung des Kurses durch das AMS die Umsatzsteuerverrechnung entfällt.

Am 13. Dezember 2006 teilte die Beschwerdeführerin dem AMS Währinger Gürtel per Fax mit, dass sie diesen Kurs nunmehr besuche, obwohl er vom AMS nicht genehmigt worden sei.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2006 stellte das AMS Währinger Gürtel die Notstandshilfe für die Beschwerdeführerin ab 11. Dezember 2006 ein und führte dazu im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin besuche seit 11. Dezember 2006 einen Kurs, aber nicht im Auftrag des AMS. Da es sich bei dem Kurs weder um einen Abend- noch um einen Wochenendkurs handle, stehe die Beschwerdeführerin der Vermittlung des AMS nicht zur Verfügung.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, dass das AMS Währinger Gürtel bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Ermittlungsverfahren zum Schluss gekommen wäre, dass der von der Beschwerdeführerin besuchte Kurs lediglich von 9 bis 12 Uhr dauere und genau auf Berufstätige zugeschnitten sei. Daher werde der Kurs auch in zwei Blöcken durchgeführt, nämlich vom 11. Dezember bis zum 21. Dezember 2006 und vom 8. Jänner bis zum 2. Februar 2007, das seien genau 29 Kursvormittage. Es sei extra ein freier Tag am 22. Dezember und zwei freie Wochen zwischen den Blöcken eingeplant, damit Berufstätige hier ihrer gewöhnlichen Arbeit nachgehen könnten. Außerdem falle nicht jeder Kurs, den ein Arbeitsloser aus eigenem Antrieb besuche, automatisch unter § 12 Abs. 3 lit. f AlVG, was aber von der Behörde offenbar angenommen worden sei.

Mit Schreiben vom 15. Jänner 2007 wurde die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde aufgefordert, Unterlagen über den besuchten Lehrgang zu übermitteln. Insbesondere seien Unterlagen über den genauen zeitlichen Ablauf und darüber, zu welchen Zeiten konkret Lehrveranstaltungen stattgefunden hätten bzw. noch stattfinden würden, erforderlich. Sollte die Beschwerdeführerin bis 31. Jänner 2007 nicht Stellung nehmen, werde nach der Aktenlage entschieden.

Am 31. Jänner 2007 langte per Fax eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde ein, der eine von der N GmbH ausgestellte "Seminarteilnahmebestätigung" für die Beschwerdeführerin vom 29. Jänner 2007 angeschlossen war. Aus dieser Bestätigung geht hervor, dass die Beschwerdeführerin am "Lehrgang zur AusbildungsleiterIn" vom 11. Dezember 2006 bis zum 2. Februar 2007 (Montag bis Freitag, jeweils von 9 bis 12.15 Uhr) teilnehme. Kein Seminar habe während der Zeit vom 25. Dezember 2006 bis zum 7. Jänner 2007 stattgefunden. In der Stellungnahme führte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, aus der beiliegenden Urkunde ergebe sich, dass das Seminar in zwei Blöcken stattgefunden habe, die Tagesleistung habe lediglich gute drei Stunden betragen, sodass genug Zeit für die Arbeitssuche zur Verfügung gestanden sei. Das Seminar sei daher gerade für Berufstätige oder Personen, die das Seminar in ihrer Urlaubszeit besuchen wollten, eingerichtet.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge. Begründend führte sie nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin bisher Schulungen bei W., bei A. und bei der N GmbH absolviert habe. Bei dem von der Beschwerdeführerin nunmehr besuchten Lehrgang zur Ausbildungsleiterin handle es sich jedenfalls um einen geregelten Lehrgang im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG. Wenngleich die Beschwerdeführerin in der Berufung anführe, dass der Kurs nicht in Schulform organisiert sei, so sei doch von einem Unterricht anhand eines festgesetzten Lehrplans auszugehen. Da die Beschwerdeführerin detaillierte Unterlagen dazu im Berufungsverfahren trotz Aufforderung nicht übermittelt habe, sei eine weitere Überprüfung nicht möglich gewesen. Es werde jedenfalls auch nach den eigenen Darstellungen der Beschwerdeführerin ein konkretes Ausbildungsziel - nämlich selbständig Schulungen abhalten zu können - verfolgt und der abschließende Vortrag entsprechend bewertet. Darüber werde auch ein Zertifikat ausgestellt. Die Ausbildung sei an fünf Wochentagen jeweils am Vormittag erfolgt, unter Berücksichtigung der entsprechenden Lernzeit sei allgemein davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin auf Grund der Intensität der Ausbildung überwiegend in Anspruch genommen worden und daher dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden sei. Die Ausbildung sei im Hinblick auf die zeitliche Inanspruchnahme auch nicht auf Berufstätige zugeschnitten. Die Schulung dauere sechs Wochen, das seien 36 Werktage, und könne daher unter Berücksichtigung des zustehenden Jahresurlaubs von 30 Werktagen nicht besucht werden. Die Teilnahme an der Ausbildung (Umschulung) sei nicht im Auftrag des Arbeitsmarktservice erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 7 Abs. 1 und 2 AlVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 102/2005 lauten:

(1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer

  1. 1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,
  2. 2. die Anwartschaft erfüllt und
  3. 3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist."

§ 12 AlVG idF BGBl. I Nr. 77/2004 lautet auszugsweise:

"Arbeitslosigkeit

§ 12. (1) Arbeitslos ist, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat.

...

(3) Als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht:

...

f) wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang - so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder einer mittleren Lehranstalt - ausgebildet wird oder, ohne dass ein Dienstverhältnis vorliegt, sich einer praktischen Ausbildung unterzieht.

..."

Gemäß § 24 Abs. 1 AlVG ist das Arbeitslosengeld einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch darauf wegfällt.

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AIVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Der in § 12 Abs. 3 lit. f AlVG genannten Personengruppe gebührt grundsätzlich kein Arbeitslosengeld (es sei denn, es besteht eine - im vorliegenden Fall unbestritten nicht vorliegende - Ausnahme gemäß § 12 Abs. 4 AlVG). Der Grund für diese Regelung ist darin zu erblicken, dass der Gesetzgeber - ungeachtet subjektiver Umstände und Erklärungen des Arbeitslosen, insbesondere seiner Arbeitswilligkeit - von der Vermutung der Unvereinbarkeit der Ausbildung mit einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung und damit auch von der Vermutung des Fehlens der Verfügbarkeit für eine Vermittlung durch das Arbeitsmarktservice bzw. des Fehlens der Möglichkeit eines Bemühens um eine neue zumutbare Beschäftigung ausgeht. Dadurch soll verhindert werden, dass das Arbeitslosengeld - systemwidrig - zur Finanzierung einer solchen Ausbildung herangezogen wird, statt dazu zu dienen, nach Maßgabe der Bestimmungen des AlVG den Entgeltausfall nach Verlust der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung bis zur Wiedererlangung einer neuen abzugelten. Die rechtliche Konsequenz der Zuordnung einer Schulungsmaßnahme zu § 12 Abs. 3 lit. f AlVG besteht darin, dass der Betreffende nicht als arbeitslos im Sinne der Absätze 1 und 2 leg. cit. gilt und daher - ungeachtet des Vorliegens der übrigen nach § 7 leg. cit. erforderlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld, unter anderem auch der Arbeitswilligkeit im Sinne der §§ 9 bis 11 leg. cit. - keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. Das bedeutet, dass von Gesetzes wegen unwiderleglich vermutet wird, dass der Betreffende so lange einer Vermittlung durch das Arbeitsmarktservice nicht zur Verfügung steht, als er in dem geregelten Lehrgang ausgebildet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 2004, Zl. 2001/08/0049, mwN).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes muss es sich bei einem "geregelten Lehrgang" im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG um eine schulähnliche (in Schulform organisierte) Ausbildung mit einem bestimmten (ein bestimmtes Ausbildungsziel einschließenden) Lehrplan mit einer gewissen Breite der vermittelten Ausbildung, also einem mehrere Gegenstände (Fächer) umfassenden Lehrplan, handeln, um die unwiderlegliche Vermutung des Gesetzgebers zu rechtfertigen, dass derjenige, der an einer solchen Lehrveranstaltung teilnimmt, während dieser Zeit nicht an einer neuen Beschäftigung, sondern an der Erreichung eines Ausbildungszieles interessiert ist (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 2004, Zl. 2001/08/0049, mwN).

Die belangte Behörde stellte - trotz des Berufungseinwandes der Beschwerdeführerin, es handle sich bei gegenständlichem Kurs um keinen unter § 12 Abs. 3 lit. f AlVG zu subsumierenden geregelten Lehrgang - fest, dass es sich "jedenfalls" um einen geregelten Lehrgang im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG handle, da "doch von einem Unterricht anhand eines festgesetzten Lehrplans auszugehen" sei. Da die Beschwerdeführerin trotz Aufforderung keine detaillierten Unterlagen vorgelegt habe, sei eine weitere Überprüfung nicht möglich gewesen. Zur Frage der Schulähnlichkeit und zu den Inhalten des Lehrplans hat die belangte Behörde keine konkreten Ermittlungen vorgenommen.

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde beschränkt sich somit auf Mutmaßungen und auf den Hinweis, dass die Beschwerdeführerin nicht ausreichend an der Ermittlung des Sachverhalts mitgewirkt habe. Eine Mitwirkungspflicht bei der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts besteht aber insoweit nicht, als die Behörde in der Lage ist, diese Ermittlungen von Amts wegen vorzunehmen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 576, unter E 225 ff zu § 39 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Im konkreten Fall hat die belangte Behörde nicht festgestellt, dass und aus welchen Gründen sie gehindert gewesen ist, die entsprechenden Unterlagen beim Schulungsträger anzufordern, abgesehen davon, dass offenbar solche Kurse und andere Kurse der N GmbH vom Arbeitsmarktservice gefördert werden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zu klären haben, ob ein geregelter Lehrgang im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG vorliegt oder aber der gegenständliche Kurs ein solcher ist, für den die rechtliche Vermutung des Fehlens der Verfügbarkeit nicht gilt. Erst wenn sich auf Grund des Ermittlungsverfahrens ergibt, dass der Lehrgang ein geregelter Lehrgang im Sinne der genannten Vorschrift ist, wird relevant, ob dieser auf Berufstätige zugeschnitten ist.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

Wien, am 11. September 2008

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