VwGH 2007/08/0116

VwGH2007/08/01162.4.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der V B in Wien, vertreten durch Mag. Florian Haslwanter, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Lothringerstraße 16, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 19. Jänner 2007, Zl. LGSW/Abt.3- AlV/1218/56/2006-10933, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs3 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §12 Abs6 lita;
AlVG 1977 §10 Abs3 idF 2004/I/077;
AlVG 1977 §12 Abs6 lita;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der in Bezug von Notstandshilfe stehenden Beschwerdeführerin wurde vom Arbeitsmarktservice Wien, Regionale Geschäftsstelle Hietzinger Kai (in der Folge AMS Hietzinger Kai), am 19. September 2006 eine Stelle als Ladnerin bei der Bäckerei RB zugewiesen. Im Stelleninserat wurde unter anderem angegeben, dass es sich um ein Vollzeitdienstverhältnis im Ausmaß von 38,5 Wochenstunden mit leistungsgerechter Entlohnung nach Vereinbarung handle.

Am 8. November 2006 wurde vom AMS Hietzinger Kai eine Niederschrift mit der Beschwerdeführerin aufgenommen, in welcher diese angab, dass es sich bei der Stelle entgegen dem Inserat um eine Teilzeitstelle als Küchengehilfin gehandelt habe. Es sei ihr gesagt worden, die im Inserat angegebene Stelle sei schon besetzt. Die Stelle als Küchengehilfin habe sie natürlich nicht angenommen, da sie eine Vollzeitstelle als Ladnerin suche. In der Niederschrift findet sich auch der Vermerk, Frau B von der Bäckerei RB habe angerufen und mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin angegeben habe, für eine Entlohnung von EUR 1.158 brutto sicherlich keine Beschäftigung aufnehmen zu wollen. Weiters habe die Beschwerdeführerin gesagt, dass es sie ziemlich nerve, andauernd vermittelt zu werden, dass sie eigentlich mit dem Leistungsbezug recht zufrieden und momentan nicht an einer Beschäftigung interessiert sei.

Mit Bescheid des AMS Hietzinger Kai vom 22. November 2006 wurde der Beschwerdeführerin die Notstandshilfe für den Zeitraum vom 5. Oktober bis zum 29. November 2006 entzogen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin die ihr zugewiesene Beschäftigung bei der Bäckerei RB nicht angenommen habe.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung und einer Berufungsergänzung führte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, dass ihr nur eine Stelle als Küchengehilfin mit 20 Wochenstunden angeboten worden sei. Es sei ihr Wunsch gewesen, eine Vollzeitstelle in einer Bäckerei anzunehmen, da die Arbeitszeiten sich gut mit der Betreuung ihrer drei Kinder vereinbaren lassen würden. Außerdem habe sie fünf Jahre Berufserfahrung. Aufgrund ihrer Schulden und der Sorgepflichten für die drei Kinder brauche sie eine Vollzeitstelle. Ihre schlechte finanzielle Situation sei der einzige Grund gewesen, die angebotene Teilzeitstelle nicht anzunehmen. Die Sperre treffe sie wegen ihrer finanziellen Lage unverhältnismäßig härter als andere Menschen, weshalb sie eine Nachsicht beantrage. Außerdem ersuche sie um Überprüfung der Sperre für acht Wochen, da sie noch nie eine Sperre gemäß § 10 AlVG gehabt habe, sondern nur eine Einstellung der Leistung wegen Versäumung eines Kontrolltermins.

In einer schriftlichen Stellungnahme von Frau B von der Bäckerei RB vom 9. Jänner 2007 führte diese im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerein habe im Vorstellungsgespräch erklärt, dass sie sicher nicht um ca. EUR 900,- netto arbeiten würde, da sie mit der "Arbeitslosen" mehr bekomme, außerdem habe sie drei Kinder und müsse an diese denken. Es sei nie von weniger Arbeitszeit gesprochen worden, Frau B habe extra erwähnt, dass eine Vollzeitkraft auf längere Zeit gebraucht werde. Sie hasse es, Personal zu suchen, und sei froh, Stammpersonal zu haben. Am betreffenden Standort seien zehn Personen beschäftigt, alle Vollzeit. Sie habe nach dem Gespräch sofort beim zuständigen Berater im AMS angerufen und von dem Vorfall erzählt. Sie sei sehr verärgert gewesen, dass die Beschwerdeführerin für die angebotene Entlohnung nicht arbeiten wolle, da sie mehr "Arbeitslose" beziehe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin ab. In der Begründung stellte sie zunächst - soweit wesentlich - fest, dass der Beschwerdeführerin eine Beschäftigung als Ladnerin bei der Bäckerei RB mit zumindest kollektivvertraglicher Entlohnung (EUR 1.158,-) zugewiesen worden sei. Die Beschwerdeführerin habe im Bewerbungsgespräch angegeben, dass sie für die angebotene Entlohnung nicht arbeiten werde, weil sie mehr Arbeitslosengeld beziehe. Es sei nie über eine gekürzte Arbeitszeit gesprochen worden, da langfristige Vollzeitkräfte gesucht worden seien. Das Stammpersonal sei in Vollzeit beschäftigt und dies auch immer gewesen. Das Vorbringen des potentiellen Dienstgebers sei als glaubwürdig anzusehen. Die Angaben würden exakt dem Stellanangebot, das das Unternehmen dem AMS übermittelt habe, entsprechen und andererseits der Interessenlage des Dienstgebers, dass dieser nur dann den zusätzlichen Aufwand einer Meldung an das AMS auf sich nehmen würde, wenn sich die Stellenwerberin ablehnend verhalten hätte. Seit 1. November 2006 habe die Beschwerdeführerin eine geringfügige Beschäftigung bei Dr. G. In rechtlicher Hinsicht habe es sich bei der Stellenzuweisung um eine zumutbare Beschäftigung in dem von der Beschwerdeführerin bisher ausgeübten Beruf gehandelt. Die Aussage der Beschwerdeführerin, sie könne mit der angebotenen Entlohnung ihre drei Kinder nicht versorgen, habe dazu geführt, dass sie nicht in den weiteren Auswahlprozess für die Beschäftigung einbezogen worden sei. Dies stelle eine Vereitelung dar; berücksichtigungswürdige Gründe seien nicht gegeben. Der Leistungsverlust sei deshalb für acht Wochen auszusprechen gewesen, weil bereits vom 18. Juli bis zum 28. August 2005 ein Anspruchsverlust gemäß § 10 AlVG gegen die Beschwerdeführerin verhängt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.

Gemäß § 9 Abs. 2 AlVG in der zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 ist eine Beschäftigung zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AlVG idF BGBl. I Nr. 77/2004 verliert eine arbeitslose Person, wenn sie sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung um weitere zwei Wochen auf acht Wochen.

Gemäß § 10 Abs. 3 AlVG idF BGBl. I Nr. 77/2004 ist der Verlust des Anspruches gemäß Abs. 1 in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. bei Aufnahme einer anderen Beschäftigung, nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen.

Gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG gilt als arbeitslos, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die Geringfügigkeitsgrenze im Sinne des § 5 Abs. 2 ASVG nicht übersteigt.

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG sinngemäß auch auf die Notstandshilfe anzuwenden.

Die Bestimmungen der §§ 9 und 10 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0157, mwN).

Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, dass die belangte Behörde bei richtiger Beweiswürdigung festgestellt hätte, dass der Beschwerdeführerin gar nicht die zugewiesene Vollzeitbeschäftigung, sondern eine Teilzeitbeschäftigung angeboten worden sei und sie somit nicht die Annahme einer zugewiesen zumutbaren Beschäftigung verweigert oder vereitelt habe.

Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist -

die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen (vgl. wiederum das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0157, mwN).

Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie zu verwerfen, weil auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0195, mwN).

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die widerstreitenden Darstellungen sowohl der Beschwerdeführerin als auch des Dienstgebers angeführt und schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, warum sie jener des potentiellen Dienstgebers Glauben geschenkt hat. Der Verwaltungsgerichtshof vermag keine Rechtswidrigkeit zu erkennen, wenn die belangte Behörde der in sich widerspruchsfreien Aussage von Frau B folgte, zumal diese auch nachvollziehbar dargestellt hat, warum sie in der Regel nur Vollzeitkräfte einstellt. Diese Darstellung deckt sich auch damit, dass die Bäckerei RB ein Inserat für eine Vollzeitstelle und eben nicht für eine Teilzeitstelle beim AMS geschaltet hat. Auch kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie das Faktum, dass Frau B - nach ihrer Aussage aus Verärgerung aufgrund des Verhaltens der Beschwerdeführerin - sich aktiv an das AMS wendete, als Indiz für die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage wertete.

In Bezug auf die Dauer des Verlustes der Notstandshilfe macht die Beschwerdeführerin geltend, dass sie sich keine "weitere Pflichtverletzung" im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG habe zu Schulden kommen lassen. Dabei übersieht sie, dass - wie sich aus dem Verwaltungsakt (Darstellung des Bezugsverlaufes) ergibt und auch die belangte Behörde in ihrer Begründung anführt - gegen sie schon einmal ein Anspruchsverlust gemäß § 10 AlVG, nämlich vom 18. Juli bis zum 28. August 2005, verhängt worden war. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies in ihrer Beschwerde auch nicht näher. Sie vermeint aber, dass ihr sowohl die Vereitelung einer Vollzeit- als auch einer Teilzeitbeschäftigung bei der Bäckerei RB angelastet worden wäre. Dies ist aber, wie sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt, jedenfalls nicht geschehen.

Die Beschwerdeführerin rügt darüber hinaus, dass ihr aufgrund der Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung eine Nachsicht gemäß § 10 Abs. 3 AlVG zu erteilen gewesen wäre und dass es bei einer Befassung des Regionalbeirats zu einer Nachsicht gekommen wäre.

Nach der Aktenlage wurde jedoch der Regionalbeirat am 17. November 2006 mit der Frage befasst und hat sich gegen eine Nachsicht ausgesprochen.

Unter einer anderen Beschäftigung im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG kann nur eine die Arbeitslosigkeit ausschließende Beschäftigung verstanden werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0252 zum - soweit hier wesentlich - inhaltlich gleichlautenden § 10 Abs. 2 AlVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 77/2004). Eine geringfügige Beschäftigung schließt die Arbeitslosigkeit gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG nicht aus.

Darüber hinaus stellen weder die finanzielle Belastung durch Schulden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2000, Zl. 99/08/0116, mwN) noch auch grundsätzlich Betreuungspflichten für Kinder Gründe im Sinne des § 10 Abs. 3 AlVG dar.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 2. April 2008

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