Normen
AlVG 1977 §10;
AlVG 1977 §11;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AlVG 1977 §9 Abs3;
AlVG 1977 §9;
AngG §26;
AlVG 1977 §10;
AlVG 1977 §11;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AlVG 1977 §9 Abs3;
AlVG 1977 §9;
AngG §26;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer nahm am 11. September 2006 ein Dienstverhältnis bei der T Personaldienste AG (in der Folge T AG) auf, welches er noch am selben Tag in der Probezeit wieder löste.
Am 2. Oktober 2006 wurde vom Arbeitsmarktservice Steiermark, Regionale Geschäftstelle Graz (in der Folge AMS Graz), eine Niederschrift über die Beendigung dieses Dienstverhältnisses aufgenommen, in welcher der Beschwerdeführer angab, dass er die Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht machen könne und das Dienstverhältnis deshalb gelöst habe. Weiters findet sich in der Niederschrift ein Gesprächsvermerk über ein Telefonat mit dem Dienstgeber T AG, wonach die Hauptaufgabe das Zerlegen von Kühlschränken gewesen sei; es seien natürlich auch Tätigkeiten wie Zusammenkehren angefallen, diese seien aber keinesfalls die Haupttätigkeit gewesen.
Aus einem amtsärztlichen Gutachten vom 10. Oktober 2006 geht im Wesentlichen hervor, dass der Beschwerdeführer im Oktober 2005 bei einem Autounfall an der linken Schulter verletzt worden sei. Aktuell leide er an behinderter Nasenatmung und an Schulterproblemen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass er ständig mit Staub belastet gewesen sei und habe schwer heben müssen. Dies sei von medizinischer Seite nicht zumutbar. Die Lösung des Dienstverhältnisses sei gerechtfertigt gewesen. Leichte Hilfstätigkeiten seien zumutbar.
Mit Bescheid des AMS Graz vom 9. November 2006 wurde der Beschwerdeführer vom Bezug von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 12. September bis zum 9. Oktober 2006 gemäß § 11 AlVG ausgeschlossen sowie keine Nachsicht erteilt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung und führte im Wesentlichen aus, dass seine Arbeit darin bestanden habe, "Staub und Gesteine zu tragen." Dies sei ihm wegen seiner Atemprobleme und wegen seiner Probleme mit der Schulter sehr schwer gefallen. Der Berufung legte er einen Befundbericht der HNO-Ambulanz des Krankenhauses der Elisabethinen vom 4. Oktober 2006 betreffend das Vorliegen einer Behinderung bei der Nasenatmung sowie einen Textauszug des Unfallkrankenhauses Graz vom 24. März 2006 bezüglich der Nachbehandlung seiner Schulterverletzung bei.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers nicht statt und führte nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens im Wesentlichen aus, im Zuge des Berufungsverfahrens sei bei der T AG erhoben worden, dass die Haupttätigkeit des Beschwerdeführers das Zerlegen von Kühlschränken gewesen sei. Schweres Heben sei nicht erforderlich gewesen, da zur Beförderung der schweren Teile ein Hubstapler zur Verfügung gestanden sei. Zusammenkehren sei nur in dem Maß erforderlich gewesen, als der Arbeitsplatz habe gesäubert werden müssen. Die gesundheitliche Beeinträchtigung habe der Beschwerdeführer der T GmbH nicht bekannt gegeben. Die vom Beschwerdeführer eingewendeten Belastungen (Staubbelastung, schweres Heben, Steine-Tragen) seien bei der Tätigkeit nur teilweise bzw. in geringem Ausmaß angefallen, sie seien Bestandteil des Arbeitsprozesses und würden nur einen geringen Teil der Tagestätigkeit ausmachen oder seien grundsätzlich nicht vorgesehen (Steine tragen). Den Berufungseinwendungen könne nicht gefolgt werden, da der Beschwerdeführer aufgrund seiner sehr kurzen Tätigkeit (eintägiges Dienstverhältnis) nicht objektiv habe feststellen können, wie sich die Tätigkeit und sein subjektives Schmerzempfinden mit zunehmender Praxis und Routine im Betrieb entwickelt hätten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 11 AlVG in der Fassung vor der Novelle BGBl I Nr. 142/2000 lautete:
"§ 11. Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig ohne triftigen Grund gelöst haben, erhalten für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld. § 10 Abs. 2 gilt sinngemäß."
Seit der Novelle BGBl I Nr. 142/2000 lautet § 11 erster Satz:
"Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig gelöst haben, erhalten für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld."
§ 11 AlVG zweiter Satz in der zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 lautet:
"Der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie zB bei freiwilliger Beendigung eines Dienstverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Aufnahme einer anderen Beschäftigung, nach Anhörung des Regionalbeirates ganz oder teilweise nachzusehen."
Die Aufforderungen an die Arbeitswilligkeit werden in den (systematisch miteinander zusammenhängenden) §§ 9 bis 11 AlVG näher geregelt. Während § 9 AlVG jene Fälle regelt, in denen Arbeitslosigkeit bereits eingetreten ist, der Arbeitslose jedoch an der Beendigung dieses Zustandes nicht hinreichend mitwirkt, bestimmt § 11 in Ergänzung dazu, dass die in § 10 AlVG vorgesehene Sanktion des Verlustes des Anspruches auf Arbeitslosengeld auch denjenigen treffen soll, der den Zustand der Arbeitslosigkeit infolge Auflösung seines Dienstverhältnisses selbst herbeiführt (vgl. das zur Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 142/2000 ergangene hg. Erkenntnis vom 4. April 2002, Zl. 99/08/0092, mwN).
Gemäß § 11 zweiter Satz AlVG ist der Ausschluss vom Leistungsbezug in berücksichtigungswürdigen Fällen ganz oder teilweise nachzusehen. Mit der Novelle BGBl I Nr. 142/2000 fiel die Formulierung "ohne triftigen Grund" in § 11 erster Satz AlVG weg. Nach dem Bericht des Budgetausschusses (369 BlgNR 21. GP) sollen bei einer freiwilligen Lösung des Dienstverhältnisses allenfalls vorliegende Nachsichtsgründe, die die Auflösung eines Dienstverhältnisses rechtfertigen können, künftig nur mehr im Wege eines Nachsichtsverfahrens nach Anhörung des Regionalbeirats geprüft werden.
Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Änderung des § 11 durch die Novelle BGBl. I Nr. 77/2004 die Prüfung von im Einzelfall vorliegenden subjektiven Faktoren der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung in den Bereich der Nachsichtsgewährung verlegen wollte. Weder dem Gesetz noch den Materialien ist aber zu entnehmen, dass dabei der Maßstab für deren Beachtlichkeit geändert werden soll. Die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Grundsätze zum Vorliegen von "triftigen Gründen" im Sinne des § 11 erster Satz AlVG aF sind daher nunmehr auch für die Beurteilung der "berücksichtigungswürdigen Gründe" im Sinnes des § 11 erster Satz AlVG nF heranzuziehen sind.
Insbesondere sind für die Beurteilung des Vorliegens von Nachsichtsgründen im Sinne des § 11 erster Satz AlVG nF Zumutbarkeitsgesichtspunkte maßgebend, wie sie etwa § 9 Abs. 2 und 3 AlVG auch für den arbeitslos gewordenen Versicherten im Hinblick auf dessen Verpflichtung, eine vom Arbeitsmarktservice vermittelte oder sich bietende Arbeitsgelegenheit zu ergreifen, vorsieht. Soweit das Arbeitsverhältnis betreffende Umstände für die Auflösung eines Dienstverhältnisses in Betracht kommen, wird es sich zwar nicht nur um Vorfälle handeln müssen, die einen Austrittsgrund im Sinne des Arbeitsvertragsrechtes (etwa im Sinne des § 26 Angestelltengesetz und verwandter Rechtsvorschriften) darstellen, zumindest aber um solche, die einem solchen wichtigen Grund zumindest nahe kommen. Jedenfalls hat die bei Anwendung des § 11 AlVG vorzunehmende Zumutbarkeitsprüfung die gänzlich anders geartete Situation des in Beschäftigung Stehenden (zum Unterschied zu dem bereits arbeitslos Gewordenen) zu berücksichtigen (vgl. wiederum das zur früheren Rechtslage ergangene hg. Erkenntnis vom 4. April 2002, Zl. 99/08/0092, mwN).
Der Beschwerdeführer hat das Dienstverhältnis zur T AG unbestrittenerweise durch Auflösung in der Probezeit beendet. Strittig ist die Frage, ob die belangte Behörde die Sanktion des § 11 AlVG nachsehen hätte müssen, weil der Beschwerdeführer das Beschäftigungsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen gelöst hat. Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang im Wesentlichen geltend, dass das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde mangelhaft gewesen sei.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, d. h. sie zu verwerfen, weil auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0195, mwN).
Die Feststellung der belangten Behörde, dass schweres Heben im Hinblick auf einen zur Verfügung stehenden Hubstapler nicht erforderlich gewesen sei, findet keine Deckung im Akteninhalt, insbesondere nicht in dem in der Niederschrift vom 11. September 2006 wiedergegebenen Gesprächsvermerk über das Telefonat mit der T AG. Auch sonst ergeben sich aus dem Verwaltungsakt - abgesehen vom Vorbringen des Beschwerdeführers - keine Ermittlungsergebnisse, auf Grund derer sich die Frage, ob und in welchem Ausmaß schweres Heben Teil der Beschäftigung des Beschwerdeführers war, beantworten ließe. Die diesbezüglichen Feststellungen sind daher nicht nachvollziehbar begründet.
Die belangte Behörde hat sich auch im angefochtenen Bescheid überhaupt nicht mit dem amtsärztlichen Gutachten auseinandergesetzt. Zwar ist den Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift insofern Recht zu geben, als das amtsärztliche Gutachten von den Angaben des Beschwerdeführers ausgeht, er sei dauernd mit Staub belastet gewesen und habe dauernd schwer heben müssen und daher - jedenfalls unter Zugrundelegung der insofern unbedenklichen Feststellung der belangten Behörde, dass die mit Staubbelastung verbundenen Arbeiten wie Aufkehren nur eine untergeordnete Rolle spielten - nicht die tatsächlichen Gegebenheiten berücksichtigt hat; das vorliegende Gutachten lässt - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - also noch nicht den Schluss zu, dass die Fortsetzung der Beschäftigung für ihn aus gesundheitlichen Gründen jedenfalls unzumutbar war.
Abgesehen davon, dass die Nachholung der Begründung in der Gegenschrift die der belangten Behörde obliegende Pflicht der Begründung des angefochtenen Bescheids nicht erfüllt - vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2, S 1065f. unter E 140ff. wiedergegebene hg. Rechtsprechung) stellte auch der in der Gegenschrift angedeutete Umkehrschluss, dass, keine unzumutbare Gesundheitsgefährdung vorliege, wenn die vom Beschwerdeführer beschriebenen Belastungen nicht dauernd auftreten, keine schlüssige Beweiswürdigung dar. Vielmehr hätte die belangte Behörde Ermittlungen zu Art und Umfang der konkret erforderlichen Tätigkeiten im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere auch hinsichtlich des tatsächlichen Gewichts der zu hebenden Gegenstände anstellen und danach die Amtsärztin auffordern müssen, ihr Gutachten unter Zugrundelegung der festgestellten Tätigkeiten zu ergänzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0097).
Auch die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid angeführte Begründung, der Beschwerdeführer hätte angesichts der kurzen Dauer der Beschäftigung nicht feststellen können, wie sich die Tätigkeit und sein subjektives Schmerzempfinden mit zunehmender Praxis und Routine entwickelt hätte, kann behördliche Ermittlungen zur möglichen Beeinträchtigung der Gesundheit des Beschwerdeführers durch die Beschäftigung nicht ersetzen. Insbesondere wäre es an der belangten Behörde gelegen, zu ermitteln, ob die vom Beschwerdeführer angeführten gesundheitlichen Probleme in einer für den Beschwerdeführer zumutbaren Zeit (sei es durch entsprechende Behandlung, sei es durch Hilfsmittel bei der Tätigkeit) wegfallen würden und ob er die Beschäftigung dann im Wesentlichen beschwerdefrei, aber auch ohne die Besorgnis einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch die - wenn auch beschwerdefreie - Ausübung dieser Tätigkeit hätte fortsetzen können (vgl. das schon zitierte hg. Erkenntnis vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0097).
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 4. Juni 2008
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