VwGH 2007/02/0107

VwGH2007/02/010721.5.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 26. Jänner 2007, Zl. UVS-2-003/E1-2006, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in einer Angelegenheit nach der StVO (mitbeteiligte Partei: G W in B, vertreten durch Längle Fussenegger Rechtsanwälte Partnerschaft in 6900 Bregenz, Brosswaldengasse 12), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs1;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs1;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Rahmen der Anfechtung hinsichtlich der Feststellung, dass die Verweigerung der Freigabe des Kraftfahrzeuges am 28. Februar 2006 von ca. 14.40 Uhr bis ca. 15.00 Uhr für rechtswidrig erklärt wird, sowie hinsichtlich des dem Land Vorarlberg aufgetragenen Kostenersatzes wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 26. Jänner 2007 wurde gemäß § 67c Abs. 3 AVG der Beschwerde der mitbeteiligten Partei insoweit stattgegeben, als die Verweigerung der Freigabe des Kraftfahrzeuges am 28. Februar 2006 von ca. 14.40 Uhr bis ca. 15.00 Uhr für rechtswidrig erklärt wurde. Hingegen wurde die Beschwerde, soweit sie sich auf die behauptete Rechtswidrigkeit einer Beschlagnahme des Kraftfahrzeuges am 26. Februar 2006 und einer nachfolgenden Verweigerung der Freigabe desselben bis ca. 14.40 Uhr des 28. Februar 2006 bezieht, als unbegründet abgewiesen.

Ferner wurde gemäß § 79a AVG der dem Mitbeteiligten gebührende Kostenersatz mit 1.486,90 EUR und der der "belangten Behörde" (Land Vorarlberg) gebührende Kostenersatz mit 246,05 EUR (unter Festsetzung einer zweiwöchigen Zahlungsfrist) bestimmt.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde u.a. aus, es stehe aufgrund der durchgeführten mündlichen Verhandlung folgender Sachverhalt fest:

Der Mitbeteiligte sei Eigentümer und Halter des gegenständlichen Kraftfahrzeuges. In der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 2006 sei das Fahrzeug von M. C., einem Geschäftspartner des Mitbeteiligten, verwendet worden. Nach einem Aufenthalt in einem näher genannten Gasthaus, wo eine Faschingsveranstaltung stattgefunden habe, habe der spanische Staatsbürger F. S., ein Bekannter von M. C., um ca. 04.00 Uhr das Kraftfahrzeug in Betrieb genommen, um es mit drei weiteren Personen (darunter auch M. C.) von D. nach B. zu lenken. An einem näher genannten Ort sei das Kraftfahrzeug von Polizeibeamten angehalten worden. Eine Alkoholuntersuchung beim Lenker F. S. habe für diesen einen Wert von umgerechnet 1,8 Promille ergeben, eine über Ersuchen von M. C. bei ihm selbst durchgeführte Alkoholuntersuchung einen Wert von umgerechnet 0,4 Promille. Der in Spanien wohnhafte F. S. sei aufgefordert worden, eine Sicherheitsleistung in der Höhe von 1.300.-- EUR zu erlegen. Diesen Betrag habe F. S. jedoch nicht bezahlen können; er und M. C. hätten sich bereit erklärt, den Betrag am Nachmittag des nächsten Tages bei der Polizeiinspektion D. zu entrichten.

M. C. habe das Fahrzeug weiter nach B. lenken wollen. Dies sei ihm von den Polizeibeamten jedoch wegen Fahruntüchtigkeit nicht gestattet worden. In der Folge habe Einverständnis zwischen F. S. und M. C. einerseits und den Polizeibeamten B. und S. andererseits bestanden, dass die Erstgenannten das Fahrzeug bei der Polizeiinspektion D. am nächsten Tag abholen und die vorerwähnte Sicherheitsleistung mitbringen würden.

Das Kraftfahrzeug sei von den Polizeibeamten auf den Parkplatz der Polizeiinspektion D. verbracht worden. Die Polizeibeamtin S. habe den Fahrzeugschlüssel im Journaldienstraum hinterlegt und einen Zettel dazugelegt. Auf diesem sei gestanden, ihre Kollegen sollten dann, wenn M. C. und F. S. das Fahrzeug abholen kämen, von F. S. die Sicherheitsleistung einheben und den Führerschein des M. C. kontrollieren. Wenn er den Führerschein vorweise, solle man ihm den Fahrzeugschlüssel aushändigen. Tatsächlich seien M. C. und F. S. am nächsten Tag nicht auf den Posten gekommen; vielmehr habe F. S. Österreich, ohne die Sicherheitsleistung erlegt zu haben, verlassen.

Stattdessen sei der Mitbeteiligte am 28. Februar 2006 um ca. 14.40 Uhr auf den Posten der Polizeiinspektion D. gekommen. Er habe vom dort befindlichen Polizeibeamten K. die Herausgabe seines Kraftfahrzeuges verlangt. Der Beamte K. sei hinsichtlich des diesbezüglichen Sachverhaltes nicht informiert gewesen und habe dann den erwähnten handschriftlich ausgefüllten Zettel seiner Kollegin S. gefunden. Er habe den Mitbeteiligten nach seiner Identität gefragt; dieser habe sich mit seinem Führerschein ausgewiesen. Der Mitbeteiligte habe angegeben, der spanische Staatsbürger F. S. sei ihm völlig unbekannt. Der Polizeibeamte habe gemeint, dass er zu wenig vom maßgeblichen Sachverhalt wisse und habe die Fahrzeugschlüssel nicht herausgegeben.

Der Mitbeteiligte sei darauf hin sehr aufgebracht gewesen, habe die Dienststelle verlassen und sei nach einigen Minuten wieder zurückgekehrt. In der Folge habe der Polizeibeamte K. den Postenkommandanten beigezogen, der sich seinerseits telefonisch mit der Polizeibeamtin S. in Verbindung gesetzt habe. Die Letztgenannte habe dann mitgeteilt, es liege keine Beschlagnahme vor und das Fahrzeug sei auszufolgen. Anschließend habe sich der Postenkommandant zu seinem Kollegen K. und dem Mitbeteiligten begeben und mitgeteilt, dass keine Beschlagnahme vorliege und dass das Fahrzeug auszufolgen sei. Zwischen dem Eintreffen des Mitbeteiligten auf dem Polizeiposten und dem Ausfolgen des Fahrzeuges sei ein Zeitraum von ungefähr 20 Minuten vergangen.

Es sei der Polizeiinspektion und letztlich der Bezirkshauptmannschaft zuzurechnen, dass es in diesem Zusammenhang Informationsdefizite gegeben habe und der Beamte K. über den gegenständlichen Sachverhalt nicht Bescheid gewusst sowie vorerst die Herausgabe des Fahrzeuges verweigert habe. Erst auf Grund einer weiteren Intervention des Mitbeteiligten und nach den dieser Intervention folgenden Erhebungen seien dem Mitbeteiligten dann die Fahrzeugschlüssel ausgehändigt worden. Es liege daher ein unzulässiger Eingriff in das Eigentumsrecht des Mitbeteiligten vor.

Die angefochtenen Verwaltungsakte seien der Bezirkshauptmannschaft als belangter Behörde zuzurechnen. Die Verwaltungsakte seien im Vollzugsbereich des Landes (StVO) gesetzt worden, sodass das Land hinsichtlich des Kostenersatzes verpflichtet und berechtigt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Zwar wird in der Beschwerde zunächst ausgeführt, dass der gegenständliche Bescheid "im gesamten Umfang" angefochten werde, jedoch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der weiteren Ausführungen, dass der beschwerdeführende Bundesminister den angefochtenen Bescheid nur insofern "im gesamten Umfang" anfechten wollte, als mit diesem die Verweigerung der Freigabe des Kraftfahrzeuges des Mitbeteiligten am 28. Februar 2006 von ca. 14.40 Uhr bis ca. 15.00 Uhr für rechtswidrig erklärt und dem Mitbeteiligten ein Kostenersatz zugesprochen wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der beschwerdeführende Bundesminister wendet u.a. ein, die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setze nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwangs oder die Erteilung eines Befehls mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus, das heiße, dass er erforderlichenfalls mit sofortigem Zwang durch unmittelbare Gewaltanwendung durchgesetzt werde. Es sei daher Ausübung physischen Zwangs oder unmittelbare Befehlsgewalt Voraussetzung für die Wertung einer Amtshandlung als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Februar 1997, Zl. 96/02/0299). Handle es sich bei dem Verhalten des Organs weder um die Erteilung eines Befehls, noch um die Ausübung von Zwang gegen den Mitbeteiligten, sondern erschöpfe sich dieses vielmehr in einem schlichten Verhalten, nämlich im Unterlassen eines vom Mitbeteiligten begehrten Tuns (Herausgabe eines Gegenstandes), so handle es sich um keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Diese setze nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts begriffsnotwendig ein positives Tun der die Zwangsgewalt gebrauchenden Behörde voraus und könne nicht im bloßen Unterbleiben eines Verhaltens der Behörde, selbst wenn dem Betreffenden darauf ein Anspruch zustünde, bestehen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. August 1997, Zl. 97/11/0105).

Sowohl die belangte Behörde als auch der Mitbeteiligte verweisen in der jeweiligen Gegenschrift darauf, dass auch eine sog. "qualifizierte Untätigkeit" Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein könne (vgl. Eisenberger, Ennöckl, Helm, Die Maßnahmenbeschwerde, 1. Auflage, S. 49 ff). Eine solche qualifizierte Untätigkeit liege vor, wenn die Behörde etwa gegen den Willen eines Beschwerdeführers - also zwangsweise - Gegenstände zurückhalte, an denen der Beschwerdeführer ein Recht habe. Eine solche Vorgangsweise werde als qualifizierte Untätigkeit bewertet. Eine bloße oder schlichte Untätigkeit könne hingegen nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein.

Der Verwaltungsgerichtshof hat u.a. in seinem Erkenntnis vom 15. November 2001, Zl. 99/01/0427, ausgeführt, ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt nicht vor, wenn die Behörde bloß untätig blieb, weil sie nicht von ihrer Befehls- und Zwangsgewalt Gebrauch gemacht hat.

In den Feststellungen des angefochtenen Bescheides wird von der belangten Behörde selbst ausgeführt, dass der diensthabende Beamte "über den hier maßgeblichen Sachverhalt nicht Bescheid wusste" und "vorerst die Herausgabe des Fahrzeugschlüssels verweigerte" (gemeint: beim ersten Kontakt mit dem Mitbeteiligten am 28. Februar 2006). Auch konnte der unangemeldet bei der Polizeiinspektion erschienene Mitbeteiligte - wie er selbst bei seiner Einvernahme im Zuge der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 7. Juni 2006 ausführte - bei diesem ersten Kontakt am 28. Februar 2006 nicht sagen, wer der Spanier, der das Fahrzeug in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 2006 in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand lenkte, war und weshalb diese Person nicht - wie bei der Fahrzeugkontrolle vereinbart - gleich am 27. Februar 2006 bei der Polizeiinspektion erschienen ist, um das Fahrzeug abzuholen. Für den diensthabenden Beamten war ferner aufgrund des bei den Fahrzeugschlüsseln vorgefundenen Zettels mit einer - näher dargestellten - schriftlichen Mitteilung jener Polizeibeamtin, die die Amtshandlung leitete, zunächst nicht klar, ob allenfalls eine Beschlagnahme des Fahrzeugs des Mitbeteiligten vorlag.

Da der Sachverhalt unter diesen Umständen vor einer allfälligen Ausfolgung der Fahrzeugschlüssel an den Mitbeteiligten noch einer weiteren Abklärung bedurfte, zumal sich die an der seinerzeitigen Amtshandlung beteiligten Beamten zum Zeitpunkt der Erscheinens des Mitbeteiligten (am 28. Februar 2006) nicht im Dienst befanden, lag für den gesamten Zeitraum vom ersten Erscheinen des Mitbeteiligten auf der Polizeiinspektion D. (um ca. 14.40 Uhr) bis zur Ausfolgung der Fahrzeugschlüssel an den Mitbeteiligten um ca. 15.00 Uhr kein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor. Die belangte Behörde belastete daher den angefochtenen Bescheid im dargestellten Umfang (erster Satz des Spruches sowie hinsichtlich der damit in Zusammenhang stehenden Kostenersatzpflicht des Landes Vorarlberg) mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG im dargestellten Umfang aufzuheben.

Wien, am 21. Mai 2008

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