VwGH 2006/19/0359

VwGH2006/19/035911.11.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak und den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres, 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. März 2005, Zl. 257.492/0- XIV/39/05, betreffend Behebung eines Bescheides in einer Asylangelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG (mitbeteiligte Partei: M), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §32 Abs6;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AVG §45 Abs3;
AVG §66 Abs2;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §32 Abs6;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AVG §45 Abs3;
AVG §66 Abs2;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Indien, reiste am 26. September 2004 in das Bundesgebiet ein und stellte am 27. September 2004 einen Asylantrag.

Anlässlich einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30. September 2004 bestätigte der Mitbeteiligte nach Vorhalt, dass er bereits am 28. November 2003 in Spanien unter anderem Namen einen Asylantrag gestellt habe. Er sei jedoch nur sieben Tage in Spanien gewesen und "von Spanien nach Venezuela zurückgeschoben" worden, da er von dort nach Spanien eingereist sei. Von Venezuela sei er nach Indien zurückgekehrt, wo er sich bis zum Juli 2004 aufgehalten habe. Am 16. Juli 2004 sei er mit dem Flugzeug nach Moskau gereist und schließlich auf dem Landweg nach Österreich gelangt.

Mit Bescheid vom 17. Jänner 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Mitbeteiligten - nach Konsultationen mit den zuständigen spanischen Behörden - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung des Antrages sei gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c iVm Art. 20 Abs. 1 lit. c der "Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden: Dublin-Verordnung) Spanien zuständig und wies den Mitbeteiligten gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Spanien aus.

Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass die Angaben des Mitbeteiligten zum Fluchtweg "auf Grund völliger Unglaubwürdigkeit" nicht als Entscheidungsgrundlage dienen könnten. Das Verfahren habe eindeutig ergeben, dass der Mitbeteiligte vor seiner Einreise nach Österreich einen Asylantrag in Spanien gestellt habe.

Dagegen erhob der Mitbeteiligte Berufung. Begründend führte er aus, dass durch die "spanischen Ausländerbehörden" seine Abschiebung nach Venezuela objektiv nachzuvollziehen sei. Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung sei nicht anzuwenden, da er sich mehr als drei Monate "außerhalb der Mitgliedstaaten" aufgehalten habe. Bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens wäre hervorgekommen, dass er zwischen Dezember 2003 und September 2004 "nicht in einem EU-Mitgliedsland" aufhältig und sogar einer Verfolgung in Indien ausgesetzt gewesen sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung statt, behob den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Begründend führte sie aus, dass durch das Bundesasylamt nicht überprüft worden sei, wann der Mitbeteiligte Spanien verlassen habe und wohin er abgeschoben worden sei. Somit sei unklar, ab welchem Zeitpunkt sich der Mitbeteiligte nicht mehr im Gebiet eines der Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufgehalten habe. Damit sei nicht geprüft worden, ob ein Ausschlusstatbestand des Art. 16 Abs. 3 oder 4 Dublin-Verordnung vorliege. Das Bundesasylamt wäre jedoch gehalten gewesen, diese Auskünfte von den spanischen Behörden in Erfahrung zu bringen. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen wären in weiterer Folge mit dem Beschwerdeführer zu erörtern gewesen. Erst dies hätte eine abschließende Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Mitbeteiligten ermöglicht. Das erstinstanzliche Verfahren erweise sich daher als so mangelhaft, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Eingangs ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175, das zu § 32 AsylG in der Fassung vor der AsylG-Novelle 2003, BGBl I Nr. 101, ergangen ist, ausdrücklich offen gelassen hat, ob in Berufungsverfahren wie dem vorliegenden eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG überhaupt zulässig ist. Auch im Anwendungsbereich der hier maßgeblichen §§ 32 und 32a AsylG idF der AsylG-Novelle 2003 ist diesbezüglich noch keine Klarstellung erfolgt.

Erst im Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) hat der Gesetzgeber in § 41 Abs. 3 AsylG 2005 ausdrücklich angeordnet, dass in einem Verfahren über eine Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden ist.

Selbst unter der Annahme, dass die Berufungsbehörde gesetzlich nicht gehindert war, § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden, vermag der angefochtene Bescheid aber keinen Bestand zu haben.

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat, darf die Berufungsbehörde eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung "unvermeidlich erscheint", wobei es unerheblich ist, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315, mwN). Einem zurückverweisenden Bescheid im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG muss demnach auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 20. April 2006, Zl. 2003/01/0285).

Im Zusammenhang mit den von der belangten Behörde als notwendig erachteten ergänzenden Ermittlungen ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 32 Abs. 6 AsylG über die gegenständliche Berufung auch ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden kann. Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es Fälle gibt, in denen auch in einem Berufungsverfahren gegen einen zurückweisenden Bescheid gemäß § 5 AsylG - etwa wegen der Notwendigkeit einer ergänzenden Beweiswürdigung unter Berücksichtigung des unmittelbaren Eindrucks - eine persönliche Anhörung des Asylwerbers erforderlich sein könnte (vgl. dazu schon das hg. Erkenntnis vom 22. November 2005, Zl. 2005/01/0415). Abgesehen davon läge es aber an der belangten Behörde darzulegen, warum nach Vorliegen der Ermittlungsergebnisse nicht mit der Einräumung einer schriftlichen Stellungnahmemöglichkeit zur Wahrung des Parteiengehörs das Auslangen zu finden ist. Dem entsprach die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht.

Der angefochtene Bescheid war schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Wien, am 11. November 2008

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