VwGH 2006/18/0343

VwGH2006/18/03432.9.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger, die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 22. August 2006, Zl. UVS-FRG/51/5330/2006/7, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (Mitbeteiligter: T L, geboren am 14. Mai 1979, vertreten durch Mag. Wilhelm Pruckner, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 68), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §125 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
SPG 1991 §81 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
FrPolG 2005 §125 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
SPG 1991 §81 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

I.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen (Ersatz-)Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 22. August 2006 wurde der Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 21. Oktober 2004, mit dem gegen den Mitbeteiligten, einen italienischen Staatsangehörigen, gemäß § 48 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75, ein befristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben.

Der Mitbeteiligte sei in Südtirol aufgewachsen. Er lebe seit 1998 in Wien und sei seit Jänner 2005 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. September 2001 sei er wegen der Vergehen gemäß § 125, § 126 Abs. 1 und § 15, § 269 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Wochen verurteilt worden. Die Straffolgen seien bedingt nachgesehen und die Probezeit mit drei Jahren festgesetzt worden. Im Jänner 2003 sei er wegen versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Probezeit sei auf insgesamt fünf Jahre verlängert worden. Mit Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 26. Februar 2004 sei er wegen Körperverletzung zu einer weiteren Geldstrafe verurteilt worden. Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 6. Mai 2004 sei er wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt (zu einer Geldstrafe und einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten) verurteilt worden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Mai 2004 sei er wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt worden, wobei die Straffolgen bedingt nachgesehen worden seien. Im Oktober sei er schließlich durch das Bezirksgericht Linz-Land wegen des Vergehens gemäß § 115 Abs. 1 (§ 117 Abs. 2) StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Seit diesen Verurteilungen habe der Mitbeteiligte keine Straftaten mehr verübt.

Der Mitbeteiligte sei Mitglied des Fanclubs R U des Fußballclubs SK R W und dort in führender Rolle tätig. Alle Verurteilungen stünden in Zusammenhang mit Heim- oder Auswärtsspielen dieses Fußballvereins. Auslöser für die diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden Handlungen seien stets Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fangruppen auch im Zusammenhang mit den zur Sicherung der Sportveranstaltungen und deren Umfeld eingesetzten Sicherheitswachebeamten gewesen. Der Mitbeteiligte sei in Absprache mit dem Verein auch in die Organisation von positiven Fanaktivitäten eingebunden gewesen. Die Fanbetreuung der Bundespolizeidirektion Wien sehe ihn als einen jener Fans, die gesprächsbereit seien und bei Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen bzw. einschreitenden Sicherheitswachebeamten wiederholt deeskalierend eingegriffen hätten.

Der Mitbeteiligte, der (zuletzt) im Mai 2004 wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt worden sei, sei bereits drei Mal wegen dieses Deliktes verurteilt worden. Er habe mit einiger Nachhaltigkeit gegen zentrale Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung, wozu jedenfalls auch die Respektierung der Aufgaben von Exekutivorganen gehöre, verstoßen. Es sei aber zu bedenken, dass alle strafgerichtlichen Verurteilungen im Zusammenhang mit Fußballspielen stünden. Der Mitbeteiligte weise keine gerichtlichen Vorstrafen auf, denen Vorfälle zu Grunde lägen, die nicht im Zusammenhang mit Fanaktivitäten gestanden seien. Zweifellos könnten auch wiederholte Straftaten im Zusammenhang mit Fanaktivitäten bei Fußballspielen ein erhebliches Gefährdungspotenzial einer Person indizieren, das auch die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EU-Bürger rechtfertigen könne. Dabei sei insbesondere auch auf die (vom Mitbeteiligten selbst angesprochene) Vorbildwirkung führender, in der Szene bekannter Vertreter von Fangruppen, wie dies der Mitbeteiligte sei, Bedacht zu nehmen und zu berücksichtigen, dass gerade bei Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen Aggressionshandlungen von Personen, die bei den Fangruppen in Ansehen stünden, gruppendynamische Prozesse auslösen könnten, denen ein erhebliches Gefährdungspotenzial für die öffentliche Sicherheit zukomme. Im Falle des Mitbeteiligten sei jedoch zu berücksichtigen, dass dieser - den Angaben der Fanbetreuung der Wiener Polizei zufolge - durchaus zu jenen Fußballanhängern gehöre, die sowohl mit der Vereinsführung als auch mit den Sicherheitskräften kooperierten, und dass er bereit sei, in angespannten Situationen zur Deeskalierung beizutragen. Auf Grund der familiären Situation des Mitbeteiligten sei auch von einem persönlichen Reifungsprozess auszugehen, der ihn in Zukunft davon abhalten sollte, im Rahmen eines bei der Auseinandersetzung zwischen Fangruppen von Fußballvereinen offensichtlich unvermeidbaren Emotionalisierungsprozesses derart die Beherrschung zu verlieren, dass er weiterhin Straftaten wie jene begehe, die seinen früheren Verurteilungen zu Grunde gelegen seien. Bei einer Gesamtbeurteilung der persönlichen Situation des Mitbeteiligten und des von ihm gewonnenen Eindruckes bestehe aus der Sicht der belangten Behörde doch eine erhebliche Chance dafür, dass dieser in Zukunft in der Lage sein werde, seinen Enthusiasmus für einen Fußballverein in geordnete Bahnen zu lenken, und er nicht seine ansonsten geordneten Lebensverhältnisse durch weitere Gewaltakte im Zusammenhang mit den Spielen seines Lieblingsvereines gefährden werde. Bei Abwägung aller gesetzlichen Beurteilungsparameter sei daher eine Entscheidung zugunsten des Mitbeteiligten zu treffen und das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot zu beheben.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab. Der Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Amtsbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots oder einer Ausweisung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (1. Jänner 2006) anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiter zu führen. Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG hatte über die gegenständliche Berufung die belangte Behörde zu entscheiden.

2. Gegen den Mitbeteiligen als freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne Weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Für die Beantwortung der Frage, ob die oben umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, ist demnach zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der Beurteilung der genannten Gefährdung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0275).

3.1. Die beschwerdeführende Sicherheitsdirektion bringt vor, die belangte Behörde habe sich nicht mit den den Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen des Mitbeteiligten auseinander gesetzt. Immerhin sei dieser innerhalb eines Zeitraumes von nicht einmal vier Jahren mehrfach verurteilt worden, weil er sich rechtmäßig einschreitenden Sicherheitswachebeamten entgegengesetzt und diese zum Teil verletzt habe. In einem Fall habe er im Grazer Liebenauer Stadion das Gebäude besprüht und einen Schaden von ATS 29.000,-- verursacht. Dass alle aktenkundigen Verurteilungen des Mitbeteiligten im Zusammenhang mit Fußballspielen gestanden seien, könne wohl nicht ernsthaft zu der Annahme führen, dass die Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG nicht (mehr) vorlägen. Zudem sei der Mitbeteiligte nach wie vor Mitglied des Fanclubs "U". Wie die belangte Behörde zu der Annahme komme, der Mitbeteiligte gehöre zu jenen Fußballanhängern, die sowohl mit der Vereinsführung als auch mit den Sicherheitskräften kooperieren würden, sei nicht nachvollziehbar. Die belangte Behörde habe außer Acht gelassen, dass der Mitbeteiligte zusätzlich zwei rechtskräftige Verurteilungen gemäß § 81 Abs. 1 SPG aufweise und im Bereich der Bundespolizeidirektion Wien insgesamt sieben Mal wegen Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges sowie drei Mal wegen Übertretung des Pyrotechnikgesetzes bestraft worden sei. Angesichts des Gesamtfehlverhaltens des Mitbeteiligten sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen diesen nach wie vor gerechtfertigt. Die letzte Verurteilung liege erst etwa zwei Jahre und vier Monate zurück. Dieser kurze Zeitraum erweise sich als zu kurz, um davon ausgehen zu können, dass sich der Mitbeteiligte tatsächlich von der gewaltbereiten Szene gelöst habe.

3.2. Bereits das Vorbringen, die belangte Behörde habe sich nicht mit dem den strafgerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhalten des Mitbeteiligten auseinander gesetzt, führt die Beschwerde zum Erfolg. Wenn die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Verurteilungen des Mitbeteiligten aufgelistet und im Anschluss daran zusammenfassend ausgeführt hat, der Mitbeteiligte habe "doch mit einiger Nachhaltigkeit gegen zentrale Bestimmungen der österreichischen Rechtsordnung, wozu auch die Respektierung der Aufgaben von Exekutivorganen" gehöre, verstoßen und "alle strafrechtlichen Verurteilungen" des Mitbeteiligten stünden "im Zusammenhang mit Fußballspielen", so ist die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass vom Mitbeteiligten "keine konkrete und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" (mehr) ausgehe, ohne Auseinandersetzung mit dem konkreten Verhalten des Mitbeteiligten nicht nachvollziehbar. Daran vermag auch die positive Beurteilung des Mitbeteiligten durch die Fanbetreuung der Wiener Polizei, wonach der Mitbeteiligte zu jenen Fußballanhängern, die sowohl mit der Vereinsführung als auch mit den Sicherheitskräften kooperieren würden und wonach dieser auch durchaus bereit sei, in angespannten Situationen zur Deeskalierung beizutragen, nichts zu ändern. Ohne konkrete Feststellungen zu den einzelnen Straftaten können weder die Art und die Schwere der den Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen des Mitbeteiligten noch dessen Persönlichkeitsbild abschließend beurteilt werden.

4. Der angefochtene Bescheid ist daher mit einem wesentlichen Feststellungsmangel belastet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

5. Ein Zuspruch von Aufwandersatz kam nicht in Betracht (§ 47 Abs. 3 und 4 VwGG).

Wien, am 2. September 2008

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