VwGH 2007/18/0751

VwGH2007/18/075113.11.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde der K A (früher: Y) in W, geboren 1982, vertreten durch Dr. Lennart Binder, LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. August 2007, Zl. 148.681/3-III/4/07, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art7 Abs1;
BVG über die Beseitigung rassischer Diskriminierung 1973 Art1 Abs1;
FremdenG 1997;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73 Abs4;
NAG 2005 §74;
NAG 2005;
VwRallg;
B-VG Art7 Abs1;
BVG über die Beseitigung rassischer Diskriminierung 1973 Art1 Abs1;
FremdenG 1997;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73 Abs4;
NAG 2005 §74;
NAG 2005;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 22. August 2007 wurde der von der Beschwerdeführerin, laut dem Beschwerdevorbringen eine türkische Staatsangehörige, am 13. Juli 2004 im Postweg bei der Bundespolizeidirektion Wien gestellte Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta.-Ö., § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 und 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin habe in ihrer gegen den erstinstanzlichen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Mai 2007 erhobenen Berufung im Wesentlichen vorgebracht, dass zwei ihrer Kinder österreichische Staatsbürger wären und ihr drittes Kind über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügte. Ihr Lebensgefährte, der österreichische Staatsbürger A., würde sich bald scheiden lassen und sie anschließend ehelichen.

Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, dass auf Grund des Inkrafttretens des NAG der gegenständliche Antrag als Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Angehöriger" zu werten sei, weil die Beschwerdeführerin die Zusammenführung mit ihrem Lebensgefährten A. anstrebe, mit dem sie laut ihren Angaben bereits im Herkunftsstaat zusammengelebt habe.

Die Beschwerdeführerin sei noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels gewesen. Ihr Antrag vom 13. Juli 2004 sei daher als Erstantrag zu werten gewesen. Bei solchen Anträgen sei § 21 Abs. 1 NAG zu beachten.

Die Beschwerdeführerin sei mit einem von der österreichischen Vertretungsbehörde in Ankara ausgestellten, von 27. Juli 2002 bis 26. Oktober 2002 gültigen Visum C in das Bundesgebiet eingereist und offensichtlich bisher hier verblieben. Sie sei durchgehend seit 31. Juli 2002 und zuletzt seit 31. Oktober 2005 an einer näher genannten Adresse in Wien polizeilich gemeldet.

Die Beschwerdeführerin sei zwar im Zeitpunkt der Antragstellung zur Inlandsantragsantragstellung berechtigt gewesen, im Hinblick auf die geänderte Gesetzeslage mit 1. Jänner 2006 und auf § 81 NAG sei jedoch nunmehr § 21 leg. cit. anzuwenden. Auch wenn die Beschwerdeführerin ihren Lebensgefährten bald heiraten wollte und bald eine Heiratsurkunde vorlegen würde, sei sie nicht zur Inlandsantragstellung berechtigt.

Weiters hätten im Beschwerdefall keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 NAG erkannt werden können, weil der Umstand, dass der Lebensgefährte und Kinder der Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürger seien, keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe darstelle. Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen sei mit der Beantwortung der diesbezüglichen Anfrage des Landeshauptmannes von Wien mit 3. April 2007 abgelehnt worden, und es werde daher eine Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen. Diese Entscheidung der belangten Behörde gründe sich in formeller Sicht auf § 75 leg. cit. 2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, allenfalls Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der von der Beschwerdeführerin vor dem Inkrafttreten des NAG gestellte Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung war seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (mit 1. Jänner 2006) nach diesem Bundesgesetz zu beurteilen. Ob nach dem - im Zeitpunkt der Stellung dieses Antrages geltenden - Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, die Antragstellung im Inland zulässig gewesen sei, ist hiebei ohne Belang (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 16. Oktober 2007, Zl. 2007/18/0641, mwN).

2. Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin mit einem von 27. Juli 2002 bis 26. Oktober 2002 gültigen Visum C in das Bundesgebiet eingereist ist, seither im Inland aufhältig ist und noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt hat, und wendet sich auch nicht gegen die Beurteilung der belangten Behörde, dass es sich bei dem am 13. Juli 2004 gestellten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung um einen Erstantrag im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG handelt. Diese Beurteilung begegnet auf dem Boden der vorgenannten unbestrittenen Feststellungen keinen Bedenken.

Nach dieser Gesetzesbestimmung sind Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und ist die Entscheidung (darüber) im Ausland abzuwarten.

3. Die Beschwerde bringt vor, dass die Beschwerdeführerin gemäß § 21 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. zur Inlandsantragstellung berechtigt gewesen sei, weil sie die Lebensgefährtin eines österreichischen Staatsbürgers und die Mutter von österreichischen Staatsbürgern sei, die in Österreich dauernd wohnhaft seien und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukomme. Sie habe ihren Antrag nach rechtmäßiger Einreise bzw. während ihres rechtmäßigen Aufenthaltes gestellt.

Ferner müsse bei grundrechtskonformer Auslegung dieses Ausnahmetatbestandes bezüglich einer Inlandsantragstellung (offensichtlich gemeint: des § 21 Abs. 2 Z. 1 NAG) unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK die Inlandsantragstellung für zulässig erklärt werden. Es lägen offensichtlich humanitäre Gründe vor, weil die Beschwerdeführerin gegenüber dem österreichischen Lebensgefährten (in Kürze: Ehegatten) unterhaltsberechtigt sei und Mutter von sowohl türkischen als auch österreichischen Kindern sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sie nach legaler Einreise seit mehr als fünf Jahren in Österreich lebe.

4. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

4.1. Die Beschwerdeführerin erfüllt - anders als sie meint - bereits deshalb nicht die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Z. 1 NAG für eine Inlandsantragstellung, weil sie sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhält. Damit liegt kein Fall des § 21 Abs. 2 NAG vor, in dem es zulässig ist, einen Erstantrag im Inland zu stellen (vgl. auch dazu etwa das vorzitierte Erkenntnis). In diesem Zusammenhang sei weiters darauf hingewiesen, dass, selbst wenn nach dem FrG eine Inlandsantragstellung zu diesem Zeitpunkt zulässig gewesen wäre - wobei jedoch der bloße Umstand, dass die Beschwerdeführerin Lebensgefährtin eines österreichischen Staatsbürgers und Mutter von österreichischen Staatsbürgern sei, ein Recht zur Inlandsantragstellung nach § 47 Abs. 2 iVm Abs. 3 FrG nicht begründete - dies der Beschwerdeführerin nach dem NAG kein über einen (allenfalls) erlaubten (sichtvermerksfreien) Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht verschaffen würde (vgl. § 21 Abs. 4 NAG).

4.2. Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, käme daher fallbezogen nur gemäß § 74 NAG in Betracht. Nach dieser Gesetzesbestimmung kann die Behörde bei Vorliegen humanitärer Gründe die Inlandsantragstellung von Amts wegen zulassen. Ein durchsetzbares - und vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend zu machendes - Recht auf Inlandsantragstellung wird dem Fremden damit jedoch nicht eingeräumt (vgl. das vorzitierte Erkenntnis, Zl. 2007/18/0641).

Nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde wurde eine solche Inlandsantragstellung nach den §§ 74 und 75 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.

Im Hinblick darauf steht der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels der Grundsatz der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG entgegen. Die Beschwerdeführerin hätte daher (jedenfalls) ab dem Inkrafttreten des NAG (mit 1. Jänner 2006) die Entscheidung über ihren Antrag im Ausland abwarten müssen. Ein Abwägen der persönlichen Interessen an einer Niederlassung im Bundesgebiet mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen war dabei nicht erforderlich (vgl. nochmals das vorzitierte Erkenntnis).

4.3. Ergänzend sei bemerkt, dass der Grundsatz der Auslandsantragstellung in verfassungsrechtlicher Hinsicht nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes auch unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK als unbedenklich erscheint (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2007/18/0015, mwN und das vorzitierte Erkenntnis). Ferner ist darauf hinzuweisen, dass, wenn die Niederlassungsbehörde den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen hat, allein deswegen noch kein vollstreckbarer Titel zur Außerlandschaffung des Fremden besteht, sondern dazu eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot erlassen werden müsste. Im Übrigen kann ein Fremder einen (ausnahmsweise) aus Art. 8 EMRK abzuleitenden Anspruch auf Familiennachzug - dem auch der Eingriffsvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht entgegensteht - im Verfahren gemäß § 73 Abs. 4 NAG geltend machen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0153). Ein solcher Fall liegt jedoch hier nicht vor.

5. Entgegen dem - nicht weiter subtanziierten - Beschwerdevorbringen, dass die EU-Richtlinien über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sowie die Richtlinie über das Recht auf Familienzusammenführung, aus der die Beschwerdeführerin ebenfalls ein Aufenthaltsrecht in Österreich ableiten könne, zu berücksichtigen seien, besteht gegen die Regelung des § 21 Abs. 1 NAG auch unter einem gemeinschaftsrechtlichen Betrachtungswinkel kein Einwand. Diesbezüglich wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das vorgenannte Erkenntnis, Zl. 2007/18/0641, verwiesen.

6. Wenn die Beschwerde auf das Urteil des EGMR vom 31. Jänner 2006, Nr. 50435/99 (Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande), hinweist, so ist auch mit diesem Vorbringen für ihren Standpunkt nichts gewonnen. In diesem Urteil hat der EGMR bekräftigt, dass Art. 8 EMRK keine generelle Pflicht für die Vertragsstaaten enthalte, die Wohnortwahl von Emigranten zu respektieren und auf ihrem Staatsgebiet Familienzusammenführungen zuzulassen. Das Maß an Verpflichtung des Staates, Verwandte von rechtmäßig aufhältigen Personen auf seinem Gebiet zuzulassen, hänge von den Umständen des Einzelfalles der betroffenen Personen und des Allgemeininteresses ab. Einer der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sei etwa, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden sei, als sich die betroffenen Personen bewusst gewesen seien, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes bzw. der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher gewesen sei. Personen, die die Behörden eines Vertragsstaates, ohne die geltenden Rechtsvorschriften zu erfüllen, als "fait accompli" mit ihrem Aufenthalt konfrontierten, hätten grundsätzlich keinerlei Berechtigung, mit der Ausstellung eines Aufenthaltstitels zu rechnen. Nur unter ganz speziellen Umständen bewirke die Versagung eines Aufenthaltstitels und Ausweisung eines ausländischen Familienmitglieds eine Verletzung des Art. 8 EMRK.

In dem diesem Urteil zu Grunde liegenden Fall kam eine ausländische Staatsangehörige im Juni 1994 in die Niederlande, wo sie mit ihrem Lebensgefährten zusammenlebte. Im Februar 1996 brachte sie ein gemeinsames Kind zur Welt, das die niederländische Staatsbürgerschaft erhielt. Nach der Trennung der Eltern im Jahr 1997 wurde das Sorgerecht für das Kind dem Vater (dem Lebensgefährten der Fremden) zugesprochen. In seiner Beurteilung, dass die Ausweisung der Mutter aus den Niederlanden unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK unzulässig sei, ging der EGMR davon aus, dass diese im Fall ihrer Rückkehr in ihr Heimatland verpflichtet wäre, ihr (minderjähriges) Kind in den Niederlanden zurückzulassen. So sei das elterliche Sorgerecht dem Vater zugesprochen worden und würde er einer Ausreise des Kindes nicht zustimmen.

Weder aus der vorliegenden Beschwerde noch dem angefochtenen Bescheid ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin bei einer Ausreise ihre Kinder in Österreich zurücklassen müsste. Der dem genannten Urteil des EGMR zu Grunde liegende Beschwerdefall ist daher mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.

Dies gilt auch für das weitere von der Beschwerde ins Treffen geführte Urteil des EGMR vom 15. Jänner 2007, Nr. 60654/00 (Sisojeva u.a. gegen Lettland). In dem diesem Urteil zu Grunde liegenden Fall wurden ein seit 1968 bzw. 1969 in Lettland lebendes Ehepaar und dessen Tochter, welchen Personen von den lettischen Behörden im Jahr 1993 ein unbefristetes Aufenthaltsrecht als ehemalige sowjetische Staatsbürger zuerkannt wurde und die sich zuvor bis zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit Lettlands im Jahr 1991 als Staatsangehörige der Sowjetunion dort legal aufgehalten hatten, im Jahr 2000 aufgefordert, Lettland zu verlassen. Dieser Fall unterscheidet sich schon in Anbetracht der langen Dauer des (inländischen) Aufenthaltes der Beschwerdeführer und des Umstandes, dass dieser über viele Jahre rechtmäßig war, wesentlich vom gegenständlichen Beschwerdefall. Im Übrigen hat der EGMR in dem genannten Fall eine Fortsetzung der Prüfung der Beschwerde für nicht erforderlich gehalten und diese daher, soweit sie sich auf Art. 8 EMRK stützte, aus dem Register gestrichen.

7. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

8. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag, dieser aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 13. November 2007

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