VwGH 2006/21/0189

VwGH2006/21/018922.11.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 3. Juli 2006, Zl. Senat-FR-06-0055, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 8. Mai 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl, was er im Wesentlichen mit seiner Verfolgung durch einen religiösen Kult in Nigeria begründete. Dieser Antrag wurde mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. Februar 2005 abgewiesen; zugleich wurde gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat zulässig sei. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 4. März 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wurde mit Beschluss vom 21. April 2005, Zl. 2005/20/0113, abgelehnt.

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 18. Jänner 2005 erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 (FrG) gegen den Beschwerdeführer ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Dem lag zu Grunde, dass er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 9. August 2002 wegen eines versuchten Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 Z. 2 SMG zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe (davon 6 Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden war, weil er am 6. Juni 2002 rund 10 g Heroin und Kokain zum Zweck des unmittelbaren Weiterverkaufes bereitgehalten hatte.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. September 2005 wurde der Beschwerdeführer wegen eines neuerlichen Suchtmitteldelikts (§§ 27 Abs. 1 und 28 Abs. 1 SMG) zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Diese verbüßte er (unter Anrechnung von Zeiten der Untersuchungshaft) in der Zeit vom 18. Juni bis zum 16. September 2005.

Mit Bescheid vom 6. Juli 2005 hatte die Bundespolizeidirektion Wien über den Beschwerdeführer - mit Wirkung ab der Entlassung aus der "Gerichtshaft" - gemäß § 61 Abs. 1 FrG zur Sicherung seiner Abschiebung nach § 56 FrG die Schubhaft angeordnet, die vom 16. September bis zum 10. Oktober 2005 vollzogen wurde. Sie endete infolge einer vom Beschwerdeführer durch einen Hungerstreik herbeigeführten Haftunfähigkeit.

Am 6. April 2006 heiratete der Beschwerdeführer, nachdem der gemeinsame Sohn A. bereits am 11. Oktober 2003 geboren worden war, in Wien die russische Staatsangehörige E. (Der gemeinsame zweite Sohn F. wurde am 4. August 2006 geboren).

Sowohl E. als auch A. war mit in Rechtskraft erwachsenen Bescheiden des Bundesasylamtes vom 27. Juni 2005 gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt worden. In der Begründung war hervorgehoben worden, dass auf Grund des nigerianischen Vaters des Kindes im Fall einer Rückkehr der E. nach Russland eine unzumutbare Diskriminierung vorläge.

Unter Hinweis darauf beantragte der Beschwerdeführer am 20. Juni 2006 gemäß § 34 AsylG 2005 die Gewährung desselben internationalen Schutzes.

Nach seiner Einvernahme am 23. Juni 2006 teilte ihm das Bundesasylamt mit Erledigung vom gleichen Tag gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005 mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil entschiedene Sache vorliege; diese Mitteilung gelte auch als eingeleitetes Ausweisungsverfahren. (Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. September 2006 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Eine dagegen erhobene Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist hg. zur Zl. 2006/20/0552 anhängig.)

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 23. Juni 2006 hatte die Bezirkshauptmannschaft Baden gemäß § 76 Abs. 2 Z. 3 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG sowie § 57 Abs. 1 AVG die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft angeordnet, um das Verfahren zur Erlassung seiner Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und um seine Abschiebung zu sichern.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. Juli 2006 wies die belangte Behörde (Unabhängiger Verwaltungssenat im Land Niederösterreich) die vom Beschwerdeführer am 26. Juni 2006 erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

In ihrer Begründung führte sie aus, die Tatbestände des § 76 Abs. 2 Z. 2 und 3 FPG seien verwirklicht, sodass die Verhängung von Schubhaft "geradezu geboten" sei. Es sei nicht nur das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 zu sichern, sondern es bestehe auch das (oben dargestellte) "rechtskräftige zehnjährige Aufenthaltsverbot", dem mehrmalige schwer wiegende Drogendelikte zu Grunde lägen. Ein Wegfall der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit könne nicht vor Verstreichen der festgesetzten Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes erwartet werden. Auch sei der Beschwerdeführer als mittellos anzusehen, weil er mangels arbeitsmarktrechtlicher Bewilligung eine legale Beschäftigung in Österreich gar nicht ausüben dürfte und seine Ehefrau selbst von österreichischer Sozialunterstützung lebe.

Die familiären Bindungen (ein Sohn und die schwangere Ehefrau) seien "bereits im Zusammenhang mit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes, an dessen Bestand der UVS-NÖ gebunden (sei), zu prüfen". Wegen der in hohem Maße sozialschädlichen Suchtgiftdelikte stünde im Übrigen auch "eine ansonsten volle Integration einem Aufenthaltsverbot nicht entgegen". Im Hinblick auf das genannte schwere Fehlverhalten bzw. die Ignoranz des Beschwerdeführers gegenüber der österreichischen Rechtsordnung könne auf die schwierige familiäre Situation nicht Rücksicht genommen werden. Darüber hinaus sei es dem Beschwerdeführer bereits einmal gelungen, seine Entlassung aus der Schubhaft durch Hungerstreik zu erzwingen und so seine Abschiebung zu vereiteln.

Die verhängte Schubhaft stelle eine Maßnahme dar, die gesetzlich vorgesehen und in der demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung sowie zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral und zum Schutz der Rechte anderer zweifelsfrei unumgänglich notwendig sei. Wenngleich bei der Erlassung des Aufenthaltsverbotes "vom 15.11.2004" noch nicht ausdrücklich auf die in Österreich lebenden Angehörigen (russische Ehegattin und gemeinsames Kind A.) Bezug genommen worden sei, so sei aus den genannten Gründen dem nationalen Sicherheitsbedürfnis bei der neuerlichen Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK der Vorrang zu geben.

Da der Beschwerdeführer in Österreich beruflich nicht integriert sei und wegen der wiederholten Begehung von Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz "ein besonderes Sicherungsbedürfnis geradezu unumgänglich geboten erscheine", scheide die Anwendbarkeit eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG aus. Auch von einer unverhältnismäßig langen Dauer des Freiheitsentzuges könne nicht die Rede sein, weil sich der Beschwerdeführer erst seit dem 23. Juni 2006 in Schubhaft befinde. Es sei somit weiters festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gegen einen Asylwerber wie den Beschwerdeführer ist die Verhängung von Schubhaft nur aus den in § 76 Abs. 2 FPG normierten Gründen zulässig (§ 1 Abs. 2 Satz 1 FPG). Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann somit gemäß § 76 Abs. 2 FPG über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung (u.a. dann) anordnen, wenn gegen ihn nach den Bestimmungen des AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde (Z. 2) oder gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54 FPG) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60 FPG) verhängt worden ist (Z. 3).

Sämtliche Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 2 FPG sind jedoch final determiniert. Sie rechtfertigen die Verhängung von Schubhaft nur "zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung". Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 15. Juni 2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein darf (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, m.w.N.).

Weiters ist festzuhalten, dass die Verhängung von Schubhaft - entgegen der von der belangte Behörde im Ergebnis vertretenen Ansicht - weder der Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten, noch ihrer Sanktionierung, sondern lediglich der Erfüllung eines administrativen Sicherungszweckes dient (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 1994, G 112/93 = VfSlg. 13.715, sowie das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0107, mwN). Dies verkennt die belangte Behörde bei ihrer Argumentation mit jenen Überlegungen, die für das Aufenthaltsverbot maßgeblich waren.

Soweit die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid überhaupt mit dem Bestehen einer Gefahr begründet, der Beschwerdeführer könnte sich österreichischen Verfahren entziehen, lassen ihre Überlegungen den nach der Aktenlage kontinuierlich beibehaltenen Aufenthalt des familiär integrierten Beschwerdeführers in Wien außer Betracht. Außerdem hat er bei seiner Einvernahme durch die Bezirkshauptmannschaft Baden am 23. Juni 2006 - (im angefochtenen Bescheid) unwidersprochen - auf gesundheitliche Probleme seines Sohnes A. hingewiesen, die es nicht nahe legen, er würde von sich aus eine Trennung von ihm und seiner (damals noch) schwangeren Ehefrau E. anstreben. Auch unter diesem Blickwinkel ist somit - ohne dass auf den vom Beschwerdeführer am 20. Juni 2006 gestellten Asylantrag näher eingegangen werden musste - nicht zu ersehen, weshalb es im vorliegenden Fall der Verhängung von Schubhaft bedurfte.

Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 22. November 2007

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