VwGH 2006/18/0378

VwGH2006/18/037827.3.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des SC in S, geboren 1979, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 5. September 2006, Zl. VwSen-720137/2/Gf/Mu/Ga, betreffend Feststellung der sachlichen Unzuständigkeit, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AVG §1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AVG §1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §9 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid vom 5. September 2006 sprach der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangten Behörde) gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 6 Abs. 1 AVG aus, dass er zur Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Schärding vom 3. Mai 2003, mit dem gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war, sachlich nicht zuständig sei und die Berufung gemäß § 6 Abs. 1 AVG an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich weitergeleitet werde.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 28. Juni 2002 mittels eines vom 19. Juni bis zum 31. Oktober 2002 gültigen Wiedereinreisesichtvermerks in das Bundesgebiet eingereist. Am 15. November 2002 habe er eine österreichische Staatsangehörige geheiratet. Am 18. November 2002 habe er einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" gestellt. Daraufhin sei ihm eine vom 3. Jänner 2003 bis zum 3. Jänner 2004 gültige Niederlassungsbewilligung erteilt worden. In der Folge sei gegen ihn wegen des Verdachts der Scheinehe mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Schärding vom 3. Mai 2003 ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Gegen diesen Bescheid habe er am 20. Mai 2003 rechtzeitig Berufung erhoben. Diese sei von der Erstbehörde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vorgelegt worden. Der die Berufung abweisende Bescheid des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Oberösterreich vom 17. Oktober 2003 sei vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. November 2005, Zl. 2005/18/0352, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden. Nach Aktenrücksendung habe die Bezirkshauptmannschaft Schärding mit Schreiben vom 30. August 2006 den Akt und die Berufung an die belangte Behörde übermittelt. (Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich der Bezirkshauptmannschaft Schärding unter Beifügung des hg. Erkenntnisses vom 15. November 2005, Zl. 2005/18/0352 - mit dem ihr Berufungsbescheid aufgehoben worden war, weil die innerstaatliche Rechtslage eine dem Gemeinschaftsrecht entsprechende Verhängung der gegenständlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht zugelassen hatte - mitgeteilt hat, dass sie "in derartigen Fällen nicht mehr Berufungsbehörde ist". Der Gesetzgeber habe die unabhängigen Verwaltungssenate in den betreffenden Ländern als Berufungsinstanz vorgesehen. Es werde daher ersucht, "den Verwaltungsakt nach dem 01.01.2006 dem UVS unter Hinweis auf dieses Schreiben zur wiederum ausständigen Berufungsentscheidung vorzulegen".)

Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen. Aus § 9 Abs. 1 Z. 1 iVm § 2 Abs. 4 Z. 11 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, lasse sich eine Zuständigkeit der belangten Behörde nicht ableiten, weil der Beschwerdeführer kein begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd zuletzt genannten Bestimmung sei. Diesem Ergebnis könne auch nicht "eine vermeintlich gegenteilige Judikatur des EuGH und des VwGH, die im Ergebnis eine auf dem sog. 'Assoziationsratsbeschluss' basierende Stärkung der Rechtsstellung türkischer Staatangehöriger zu bezwecken scheint, entgegengehalten werden." Der Beschluss des Assoziationsrates Nr. 1/80 vermittle lediglich jenen türkischen Arbeitnehmern weitergehende Rechte auf Arbeit und Aufenthalt, die zuvor den ersten Integrationsschritt eines rechtmäßigen Zugangs zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates vollzogen haben. Das Erfordernis einer ordnungsgemäßen (legalen) Beschäftigung sei jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn eine Beschäftigung auf Grund eines Aufenthaltestitels ausgeübt worden sei, der unrechtmäßig - insbesondere durch eine Täuschung (zB Scheinehe) - erlangt worden sei. Die "Unionsbürger-RL 2004/38 " habe den besonderen Rechtsschutz der Unionsbürger in Bezug auf Aufenthalt und freie Bewegung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ausgeweitet. Es sei nicht zu erwarten, "dass der EuGH eine solche Rechtsposition auch den - wenngleich im Wege spezifischer Abkommen mitunter Begünstigen - Bürgern von Drittstaaten wie den türkischen Staatsangehörigen zubilligen wird". Das FPG bringe nicht einmal ansatzweise zum Ausdruck, dass auch jenen türkischen Staatsangehörigen, die vom Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 erfasst würden, der an sich nur Unionsbürgern garantierte erweiterte Rechtsschutz zukommen solle.

Da die gegenständliche Berufung bereits an die belangte Behörde weitergeleitet worden sei, habe diese - in sinngemäßer Anwendung des § 66 Abs. 4 iVm § 6 Abs. 1 AVG - bescheidmäßig ihre Unzuständigkeit festzustellen und das Rechtsmittel an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich weiterzuleiten gehabt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe am 15. November 2002 eine österreichische Staatsangehörige geheiratet, mit der er nach wie vor in aufrechter Ehe zusammenlebe. Er gehe seit mehreren Jahren einer legalen und geregelten Beschäftigung nach und falle entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde in den Anwendungsbereich des ARB Nr. 1/80, weil er "zweifellos dem regulären Arbeitsmarkt der Republik Österreich" angehöre. Vom Vorliegen einer Scheinehe könne keine Rede sein. Seine Ehefrau habe im fremdenrechtlichen Verfahren eine eidesstättige Erklärung abgegeben, wonach es sich aus ihrer Sicht um keine Scheinehe gehandelt habe. Beide Eheteile seien verliebt gewesen und hätten sich spontan und unüberlegt entschlossen, zu heiraten. Die Ehe sei tatsächlich vollzogen worden. Es könne daher keine Rede davon sein, dass er sich die Arbeitsmöglichkeit durch eine Scheinehe erschlichen hätte. Die belangte Behörde wäre daher für eine Sachentscheidung zuständig gewesen. Die belangte Behörde habe weder über die Art und Dauer seiner Beschäftigung noch über die Qualität seiner Ehe Feststellungen getroffen.

1.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB) zukommt, ist § 9 Abs. 1 FPG anzuwenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0138, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2006, G 26/06 ua). Die Überlegungen der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift geben keine Veranlassung, von dieser Auffassung abzugehen. Die belangte Behörde hätte daher die für die Beurteilung ihrer Zuständigkeit erforderlichen Feststellungen treffen müssen, insbesondere darüber, welche Beschäftigungszeiten der Beschwerdeführer aufzuweisen hat und ob diese Beschäftigung im Einklang mit den arbeitserlaubnisrechtlichen und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften steht, weil nur dann von einer ordnungsgemäßen Beschäftigung im Sinn des Art. 6 Abs. 1 ARB die Rede sein könnte. Da eine durch eine Scheinehe herbeigeführte Täuschung der Behörden, die zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung sowie eines Befreiungsscheines geführt hat, der Anwendung des Art. 6 ARB entgegensteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 98/18/0100), dürfte die belangte Behörde ihre Zuständigkeit nur verneinen, wenn sie Feststellungen trifft, aus denen sich eine solche Täuschung der Behörden ableiten lässt.

2. Da der Sachverhalt sohin in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. März 2007

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