VwGH 2006/18/0342

VwGH2006/18/034211.12.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. September 2006, Zl. UVS-FRG/40/753/2006/35, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: NF, geboren 1978, S), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §60 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (der belangten Behörde) vom 15. September 2006 wurde der Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 26. Februar 1999, mit dem gegen den Mitbeteiligten gemäß § 48 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG i.V.m. § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, aufgehoben.

Der Mitbeteiligte sei deutscher Staatsbürger und lebe seit 1997 in Österreich. Am 15. Oktober 1998 sei er vom Jugendgerichtshof Wien gemäß § 28 Abs. 2 SMG zu einer bedingten Haftstrafe von 19 Monaten verurteilt worden. Diese sei am 12. November 2004 endgültig nachgesehen worden. Am 11. Juni 2001 sei er gemäß §§ 125, 127, 229 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Haftstrafe von zwei Monaten verurteilt worden. Am 7. April 2004 sei er vom Landesgericht (für Strafsachen) Wien nach den §§ 127, 128 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Am 29. Dezember 2004 habe er eine rumänische Staatsbürgerin geheiratet. Sonst habe er keine Verwandten in Österreich, allerdings seien Verwandte seiner Frau in Österreich aufhältig. Er habe zwei Kinder aus erster Ehe, die beide in Österreich eine Schule besuchen würden, und sei gelernter Web-Designer. Im ersten Halbjahr 2006 habe er einen Lehrgang für eine Ausbildung zum Kommunikationstrainer besucht. Seit 3. Februar 2006 arbeite er als Arbeitsbegleiter bei einer gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassungs GmbH. Zudem sei er seit 2002 ehrenamtlich für die Organisation "Die Grünen Andersrum Wien" tätig und seit 2005 Bezirksrat für die Grünen im

15. Bezirk. Er verfüge über ein regelmäßiges Einkommen von etwa EUR 1.500,-- netto monatlich. Zur Zeit sei kein Strafverfahren gegen ihn anhängig. Es seien keine Anzeichen einer Drogenabhängigkeit ersichtlich. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine Schein(aufenthalts)ehe vorliege.

Mit 1. Jänner 2006 sei an die Stelle des § 48 Abs. 1 erster Satz FrG der § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG getreten. Die letztgenannte Bestimmung weiche von der vorhergehenden deutlich ab. Für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes bedürfe es nun eines persönlichen Verhaltens des Fremden, welches eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Der Beschwerdeführer habe im Jahr 1998 gewerbsmäßig Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt und wiederholt Suchtgift erworben, besessen und auch selber konsumiert. Dafür sei er im Jahr 1999 zu einer 19- monatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er habe danach erfolgreich einen Drogenentzug vorgenommen. In den Jahren 2000, 2001 und 2003 habe der Mitbeteiligte "unter Alkoholeinfluss und im Umfeld seiner finanziellen Probleme wiederholt Delikte gegen fremdes Vermögen begangen". Er habe in allen Fällen den Schaden gänzlich wieder gutgemacht. Seit Sommer 2003 (konkret seit der letzten Tatbegehung), also seit drei Jahren, habe sich der Mitbeteiligte wohlverhalten. Er sei nunmehr in Österreich sozial integriert und verheiratet. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei als Zeugin befragt worden. Es hätten sich - außer dem äußeren Anschein durch die getrennten Wohnungen - keine Anhaltspunkte für eine Schein(aufenthalts)ehe gefunden. Die unterschiedlichen Wohnsitze des Mitbeteiligten und seiner Ehefrau seien mit den Arbeitsumständen nachvollziehbar begründet worden. Die rumänische Ehefrau und deren Kinder würden auf Grund ihrer künftigen EU-Bürgerschaft in Kürze unabhängig vom Mitbeteiligten zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sein. Die Kinder würden in Österreich die Schule besuchen. Der Mitbeteiligte gehe einem Beruf nach. Sein soziales Engagement würde sich durch die oben dargestellte ehrenamtliche Tätigkeit und sein politisches Mandat zeigen.

Angesichts der dargestellten familiären, beruflichen und sozialen Umstände des Mitbeteiligten gelange die belangte Behörde zur Ansicht, dass "zur Zeit keine Anzeichen für eine Rückfallswahrscheinlichkeit in die Drogensucht (einschließlich Alkoholmissbrauchs) und somit für eine neuerliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den Verkauf von Drogen oder der Begehung von Diebstählen besteht." Die von § 86 Abs. 1 zweiter Satz FPG geforderte gegenwärtige Gefahr liege daher nicht vor.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots oder einer Ausweisung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (1. Jänner 2006) anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiter zu führen. Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG hatte über die gegenständliche Berufung die belangte Behörde zu entscheiden.

2. Gegen den Mitbeteiligten als freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne Weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Für die Beantwortung der Frage, ob die oben umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der Beurteilung der genannten Gefährdung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0275).

3. Die belangte Behörde hat - abweichend von der nach der oben dargestellten Rechtslage gebotenen Vorgangsweise - keine Feststellungen darüber getroffen, worin das Fehlverhalten des Beschwerdeführers konkret bestanden hatte, sondern im Wesentlichen lediglich auf die Tatsache der Verurteilungen verwiesen. Sie hat sich nicht in der nach dem Gesagten erforderlichen Weise mit dem aus den Straftaten ergebenden Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers auseinander gesetzt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0262 sowie nochmals Zl. 2006/18/0275). Wenn die belangte Behörde daher in der Begründung des angefochtenen Bescheides "angesichts der dargestellten familiären, beruflichen und sozialen Umstände des (Mitbeteiligten)" zur Ansicht gelangt ist, "dass zur Zeit keine Anzeichen für eine Rückfallswahrscheinlichkeit in die Drogensucht (einschließlich Alkoholmissbrauchs) und somit für eine neuerliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den Verkauf von Drogen oder der Begehung von Diebstählen besteht", so lässt sich diese Schlussfolgerung nicht nachvollziehen. Infolge Fehlens konkreter Feststellungen zu den einzelnen Straftaten lassen sich auch die Art und die Schwere der den Verurteilungen des Mitbeteiligten zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen nicht beurteilen und das Persönlichkeitsbild des Mitbeteiligten daraus nicht ableiten. Vor allem aber hat die belangte Behörde - worauf die Amtsbeschwerde zutreffend hinweist - bei ihrer Gefährdungsprognose nicht darauf Bedacht genommen, dass der Mitbeteiligte mehrfach Eigentumsdelikte begangen hat, obwohl erstinstanzlich bereits ein Aufenthaltsverbot gegen ihn erlassen war. Überdies sind dem angefochtenen Bescheid keine beweiswürdigenden Überlegungen darüber zu entnehmen, wie die belangte Behörde zur Feststellung gelangt ist, dass der Mitbeteiligte den aus seinen Eigentumsdelikten entstandenen Schaden gänzlich wieder gutgemacht hat.

4. Infolge der aufgezeigten Feststellungs- und Begründungsmängel war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 11. Dezember 2007

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