VwGH 2006/08/0163

VwGH2006/08/016319.12.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der Tiroler Gebietskrankenkasse in Innsbruck, vertreten durch Ullmann Geiler & Partner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 17-19, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 13. März 2006, Zl. Vd-SV-1001-3-23/6/Ko, betreffend Erstattung von Beiträgen (mitbeteiligte Partei: Mag. R F, in J), zu Recht erkannt:

Normen

31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art13 Abs2;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art14 Abs1;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art13 Abs2;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art14 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Punkt 1. des Spruches wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben; im Übrigen (Punkt 2. des Spruches) wird er wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz) hat der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 12. Jänner 2005 hat die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse einen Antrag der Mitbeteiligten auf "Erstattung von Beiträgen in der Pensionsversicherung gemäß § 70 ASVG und in der Krankenversicherung gemäß § 70a ASVG für das Jahr 2001" abgewiesen.

Nach der Begründung sei die Mitbeteiligte vom 1. September 1991 bis zum 31. Mai 2001 bei der S. GmbH in K beschäftigt gewesen. Der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse sei für den Zeitraum vom 1. Juni bis zum 3. Dezember 2001 von diesem Dienstgeber eine Urlaubsersatzleistung für nicht konsumierten Urlaub gemeldet worden. Dadurch habe sich die Versicherungszeit der Mitbeteiligten beim Dienstgeber S. GmbH bis 3. Dezember 2001 verlängert. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2004 habe die Mitbeteiligte einen Antrag auf Rückerstattung von Beiträgen gestellt, weil sie am 1. August 2001 in ein Arbeitsverhältnis in Deutschland eingetreten sei. Die Mitbeteiligte habe ihr Ansuchen damit begründet, dass sie ab diesem Zeitpunkt nach dem deutschen Sozialversicherungssystem versichert gewesen sei und eine unnötige Doppelversicherung vorliege. Es lägen - so die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse weiter - weder die Voraussetzungen für eine Erstattung gemäß §§ 70 und 70a ASVG vor noch sei aus der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (in der Folge kurz: Verordnung) oder aus einem bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und Österreich eine Zusammenrechnung der entrichteten Sozialversicherungsbeiträge mit anschließender Beitragserstattungsmöglichkeit zu ersehen. Die Mitbeteiligte habe daher für den in Rede stehenden Zeitraum die Voraussetzungen für die Erstattung von Beiträgen in der Pensionsversicherung bzw. in der Krankenversicherung nicht erfüllt.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch der Mitbeteiligten teilweise stattgegeben und ausgesprochen (Fettdruck im Original):

"1. Der Einspruch hinsichtlich der Rückerstattung der Unfallversicherungsbeiträge für den Zeitraum von 01.08.2001 bis 03.12.2001 wird als unbegründet abgewiesen.

2. Es wird festgestellt, dass der (Mitbeteiligten) für den Zeitraum von 01.08.2001 bis 03.12.2001 zu Unrecht Dienstnehmeranteile zur Kranken- und Pensionsversicherung auf die Urlaubsersatzleistung vorgeschrieben wurden und es wird die (beschwerdeführende Gebietskrankenkasse) dazu verpflichtet, der (Mitbeteiligten) die zu Unrecht einbehaltenen Dienstnehmeranteile zur Kranken- und Pensionsversicherung in der Höhe von insgesamt EUR 2334,98 ... binnen 14 Tagen ab Rechtskraft dieses Bescheides zurückzuerstatten."

In der Begründung gab die belangte Behörde das Verwaltungsgeschehen wieder und ging von dem im erstinstanzlichen Bescheid festgestellten Sachverhalt aus.

In rechtlicher Hinsicht kam die belangte Behörde nach Wiedergabe des § 69 ASVG und von Bestimmungen der Verordnung hinsichtlich des abweisenden Teiles des Bescheides (Punkt 1. des Spruches) zum Ergebnis, dass die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse über die - nach ihrer Ansicht ebenfalls beantragte - Erstattung von Beiträgen zur Unfallversicherung nicht abgesprochen habe. Ein solcher Antrag wäre abzuweisen gewesen, weil die Beiträge zur Unfallversicherung zur Gänze vom Dienstgeber bezahlt würden. Sie könnten daher auch nicht zurückgefordert werden.

Zum stattgebenden Teil des Bescheides (Punkt 2. des Spruches) führte die belangte Behörde unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 17. März 2004, Zl. 2001/08/0025, aus, dass ab dem Beginn der Beschäftigung der Mitbeteiligten in Deutschland (1. August 2001) ausschließlich die deutschen Vorschriften des Sozialversicherungsrechts anwendbar gewesen seien, weshalb die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse für die Einhebung von Beiträgen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zuständig gewesen sei. Daher seien die zu Unrecht entrichteten Beiträge gemäß § 69 ASVG zu erstatten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde vorgelegt und auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Artikel 13 Abs. 2 lit. a) der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (in der Folge: Verordnung) unterliegt ein Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaates beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn er im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt oder sein Arbeitgeber oder das Unternehmen, das ihn beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat.

Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse geht davon aus, dass diese Bestimmung auf die Mitbeteiligte anzuwenden ist. Sie vertritt in der Beschwerde - zusammengefasst - die Ansicht, dass dieses Beschäftigungslandprinzip bedeute, dass bei einer späteren Beschäftigung in einem anderem Land der für die Dauer der früheren Beschäftigung in Österreich zuständig gewesene Versicherungsträger auch für die Beitragserhebung für nach Beendigung des Dienstverhältnisses noch zu erbringende Leistungen des Dienstgebers zuständig sei, selbst wenn - parallel - in Deutschland eine Beschäftigung ausgeübt wird, weil die Versicherungspflicht insoweit nach den Bestimmungen des - früheren - Beschäftigungslandes zu beurteilen sei.

Mit dieser Ansicht ist die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse nicht im Recht: Die belangte Behörde hat für ihren Standpunkt das hg. Erkenntnis vom 17. März 2004, Zl. 2001/08/0025, ins Treffen geführt. Der diesem Erkenntnis zu Grunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich vom vorliegenden lediglich dadurch, dass in jenem Fall außer Streit gestanden ist, wo der Arbeitnehmer während seiner Beschäftigung in Deutschland seinen Wohnsitz gehabt hat. Im Übrigen gleicht der dort festgestellte Sachverhalt dem im Beschwerdefall festgestellten; auch in jenem Fall war der (beschwerdeführende) Arbeitnehmer zunächst in Österreich und dann in Deutschland beschäftigt. Obwohl der Beschwerdeführer jenes Falles schon in Deutschland beschäftigt war, hat die - hier - beschwerdeführende Gebietskrankenkasse die Pflichtversicherung nach dem ASVG für die Zeit des Bezuges einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) nach der Beschäftigung in Österreich weiter durchgeführt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bei einem solchen Sachverhalt angenommen, dass Artikel 14 Abs. 1 Buchstabe c) Ziffer i) der Verordnung anzuwenden ist, nach dem es vom Wohnsitz des Arbeitnehmers abhängt, welche Rechtsvorschriften anzuwenden sind. Befindet sich der Wohnsitz in Deutschland, ist dessen Rechtsordnung anzuwenden; befindet sich dieser in Österreich, so ist für die Dauer der durch die Urlaubsersatzleistung begründeten Pflichtversicherung österreichisches Sozialversicherungsrecht anzuwenden, wodurch auch die österreichischen Sozialversicherungsträger für die Beitragseinhebung zuständig sind. Nach Beendigung des Zeitraumes der Pflichtversicherung aufgrund einer Ersatzleistung gilt wieder das Beschäftigungslandprinzip des Artikel 13 Abs. 2 lit. a) der Verordnung, bei dem es nicht auf den Wohnort ankommt. Auf die Begründung des Erkenntnisses vom 17. März 2004 wird - auch im Hinblick auf die Anwendung von § 69 ASVG durch die belangte Behörde - gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Im Beschwerdefall kommt es demnach entscheidend darauf an, in welchem Land der Mitbeteiligte während der Dauer der durch die Urlaubsersatzleistung begründeten Pflichtversicherung seinen Wohnsitz hatte. Dazu hat die belangte Behörde jedoch keine Feststellungen getroffen. Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich der Stattgebung des Erstattungsantrages (Punkt. 2. des Spruches) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse sieht eine Vorlagefrage darin, ob die für die Urlaubsersatzleistung begründete Pflichtversicherungszeit als Zeit der Beschäftigung im Sinne der Artikel 13 und 14 der Verordnung anzusehen ist. Dem entgegen wird diese Frage durch die Verordnung selbst beantwortet:

Nach Artikel 1 lit. s) sind Beschäftigungszeiten Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften, unter denen sie zurückgelegt worden sind, als solche bestimmt oder anerkannt sind, ferner alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Beschäftigungszeiten gleichwertig anerkannt sind. Gemäß § 11 Abs. 2 ASVG besteht die Pflichtversicherung nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses unter anderem weiter für die Zeit des Bezuges einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) sowie für die Zeit des Bezuges einer Kündigungsentschädigung. Damit hat der österreichische Gesetzgeber diese Versicherungszeiten den (eigentlichen) Beschäftigungszeiten gleichgehalten, weshalb geklärt ist, dass auch Zeiten des Bezuges einer Ersatzleistung für Urlaubsentgelt (Urlaubsabfindung, Urlaubsentschädigung) als Beschäftigung im Sinne der Artikel 13 und 14 der Verordnung anzusehen sind. Eine Vorlage erübrigt sich bei dieser klaren Rechtslage.

Soweit die belangte Behörde über die Erstattung von Unfallversicherungsbeiträgen abgesprochen hat, war sie nicht zuständig. Weder lag ein Antrag der Mitbeteiligten auf Erstattung solcher Beiträge vor, noch hat die beschwerdeführende Gebietskrankenkasse darüber abgesprochen; dieser Punkt war somit nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens. Insoweit (Punkt 1. des Spruches) war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 19. Dezember 2007

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