VwGH 2006/02/0171

VwGH2006/02/017127.2.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 19. Mai 2006, Zl. UVS-07/V/23/8661/2003/65, betreffend Übertretung der Bauarbeiterschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: FT in Wien, vertreten durch Dr. Manfred Hintersteininger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 11), zu Recht erkannt:

Normen

BArbSchV 1994 §30;
BArbSchV 1994 §7 Abs4;
BArbSchV 1994 §7;
BArbSchV 1994 §87;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
BArbSchV 1994 §30;
BArbSchV 1994 §7 Abs4;
BArbSchV 1994 §7;
BArbSchV 1994 §87;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 15. April 2005, Zlen. 2003/02/0241, 2004/02/0136, verwiesen, womit die Bescheide der belangten Behörde vom 4. August 2003 und vom 6. Februar 2004 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben wurden.

In der Folge erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 20. Mai 2006, mit welchem auf Grund der Berufung des Mitbeteiligten gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 12. Juni 2002 (vgl. die Darstellung im zitierten hg. Erkenntnis vom 15. April 2005) dieses behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt wurde.

In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, auf Grund des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. April 2005 sei davon auszugehen, dass im gegenständlichen Verfahren die Ausnahmebestimmung des § 7 Abs. 4 BauV anwendbar sei. Auf Grund des vorliegenden Sachverständigengutachtens werde eine Unverhältnismäßigkeit des erforderlichen Aufwandes für die Anbringung von Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gegenüber dem Aufwand für die durchzuführenden Arbeiten angenommen. Allerdings sei hinsichtlich des Unterbleibens des "sicheren Anseilens" entsprechend dem § 30 BauV (in Verbindung mit § 7 Abs. 4 BauV) keine rechtzeitige Verfolgungshandlung im Sinne der §§ 31 und 32 VStG vorgenommen worden, sodass insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten und das Strafverfahren spruchgemäß einzustellen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Dieser hat erwogen:

Gemäß § 87 Abs. 2 BauV müssen bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung bis zu 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 vorhanden sein.

Nach § 7 Abs. 4 BauV kann die Anbringung von Absturzsicherungen (§ 8) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) entfallen, wenn der hiefür erforderliche Aufwand unverhältnismäßig hoch gegenüber dem Aufwand für die durchzuführende Arbeit ist. In diesen Fällen müssen die Arbeitnehmer entsprechend § 30 sicher angeseilt sein.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag zunächst die Ansicht in der Beschwerde nicht zu teilen, § 7 Abs. 4 BauV sei im vorliegenden Beschwerdefall - ein Sachverhalt im Sinne des § 87 Abs. 2 BauV - nicht anwendbar; dies ergibt sich schon aus dem Verweis des § 87 Abs. 2 BauV u.a. auf § 7. Aus dem hg. Erkenntnis vom 23. Juli 2004, Zl. 2004/02/0199 (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2007, Zl. 2006/02/0096, welches darauf Bezug nimmt), wonach § 87 BauV die "lex specialis" zu § 7 BauV darstellt, ergibt sich nichts anderes. Im Übrigen lässt sich diese in der Beschwerde verkannte Rechtsanschauung auch ohne Weiteres aus dem im ersten Rechtsgang ergangenen hg. Erkenntnis vom 15. April 2005 entnehmen, worin sich der Gerichtshof mit dem Vorbringen des Mitbeteiligten zu § 7 Abs. 4 BauV auseinander gesetzt hat, was bei Unanwendbarkeit dieser Bestimmung sinnentleert gewesen wäre.

Dennoch ist für die belangte Behörde und den Mitbeteiligten (der eine Gegenschrift erstattet hat) damit nichts gewonnen:

Es ist richtig, dass bei Zutreffen des "negativen Tatbestandsmerkmales" der Unverhältnismäßigkeit des Aufwandes im Sinne des § 7 Abs. 4 erster Satz BauV nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung die Arbeitnehmer entsprechend dem § 30 "sicher angeseilt" sein müssen. Diese im zweiten Satz normierte Verpflichtung setzt somit den im ersten Satz angeführten Sachverhalt voraus (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 15. April 2005). Muss allerdings dieses "negative Tatbestandsmerkmal" des ersten Satzes weder Inhalt des Spruches noch Gegenstand einer (rechtzeitigen) Verfolgungshandlung sein - so das zitierte hg. Erkenntnis vom 15. April 2005 -, so wäre es geradezu abwegig, die davon abhängige Verpflichtung des "sicheren Anseilens" als Gegenstand einer solchen Verfolgungshandlung (bzw. des Spruches) zu verlangen. Mit dem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 88/08/0221, wonach die Unterlassung des Anseilens ein anderes Tatbild verwirklichen würde, ist für die belangte Behörde gleichfalls nichts gewonnen, weil diese Aussage infolge Änderung der Rechtslage, aber auch der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Juli 2004, Zl. 2001/02/0042, auf welches im Erkenntnis vom 15. April 2005 Bezug genommen wurde) überholt ist. Im Übrigen erkennt die belangte Behörde ohnedies unter Hinweis auf dieses Erkenntnis vom 15. Juli 2004, Zl. 2001/02/0042, richtig, dass die "konkreten Sicherheitsmaßnahmen" weder Spruchbestandteil noch Gegenstand einer (rechtzeitigen) Verfolgungshandlung sein müssen, ohne dass sie allerdings daraus die im Beschwerdefall erforderlichen Schlussfolgerungen zog.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 27. Februar 2007

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