Normen
AVG §8;
BauO Tir 2001 §25 Abs3 litd;
BauO Tir 2001 §6 Abs2;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 lita;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 litb;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 litc;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 litd;
BauO Tir 2001 §6 Abs6;
BauRallg;
ROG Tir 2001 §60 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §8;
BauO Tir 2001 §25 Abs3 litd;
BauO Tir 2001 §6 Abs2;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 lita;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 litb;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 litc;
BauO Tir 2001 §6 Abs3 litd;
BauO Tir 2001 §6 Abs6;
BauRallg;
ROG Tir 2001 §60 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines Grundstückes im Gebiet der mitbeteiligten Marktgemeinde, der Erstmitbeteiligte (im Folgenden: Bauwerber) Eigentümer eines angrenzenden Grundstückes. Mit am 2. August 2002 bei der mitbeteiligten Marktgemeinde eingelangten Baugesuch beantragte der Bauwerber die Baubewilligung für die Anbringung einer Zusatzüberdachung beim bestehenden Autoabstellplatz, die Errichtung einer Einfriedungsmauer sowie den Zubau einer Außentreppe und eines Tank- und Lagerraumes bei seinem Wohnhaus auf dem Grundstück Nr. x/x KG O. Der Beschwerdeführer erhob Einwendungen dahingehend, dass durch die Errichtung des Autoabstellplatzes sowie die Errichtung des Tankraumes mehr als 50 % der gemeinsamen Grundgrenze verbaut würden. Dieses Bauvorhaben sei somit nicht zulässig. Was die Errichtung des "Glasdaches auf Stahlkonstruktion" betreffe, werde auf diese Einwendungen verwiesen, welche auch für diesen Bauteil Geltung haben müssen. Der dem Verfahren beigezogene Bausachverständige Ing. M. äußerte sich in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 16. Oktober 2002 dahingehend, dass nach den vorliegenden Lageplänen die gemeinsame Grundstücksgrenze zwischen dem Bauplatz Gp x/x und der Nachbarparzelle x/x des Beschwerdeführers eine (gemessene) Länge von 46,6 m aufweise. Die Hälfte dieser Länge mache 23,3 m aus und es dürfte ein solches Maß innerhalb der Abstandsflächen mit baulichen Anlagen nach § 6 Abs. 3 lit. a und b TBO 2001 verbaut werden. Solche Anlagen seien am Bauplatz der Pkw-Abstellplatz mit der zusätzlichen Überdachung im Süden des Bauplatzes und der Tankraum mit einem Teil des Abstellraumes im Norden des Wohnhauses. Der Pkw-Abstellplatz weise eine gesamte Länge von 9,5 m auf, jener Teil des Tank- und Abstellraumes, welcher nicht an das an der Grundgrenze stehende Nachbargebäude angebaut sei, eine Länge von 3,24 m, sodass sich eine Gesamtlänge von baulichen Anlagen in den Abstandsflächen von 14,39 m ergebe. Auf der Nachbarparzelle x/x des Beschwerdeführers seien in den Abstandsflächen keine baulichen Anlagen gemäß § 6 Abs. 3 lit. a und b TBO 2001 erstellt. Er komme zum Ergebnis, dass eine verbaute "Fläche" mit baulichen Anlagen von 14,39 m festzustellen sei und im Sinne des § 6 Abs. 6 TBO 2001 eine Länge von 23,3 m verbaut werden könne.
Dem Bauwerber wurde mit Bescheid der Behörde erster Instanz vom 25. Oktober 2002 die Baubewilligung für das beantragte Bauvorhaben nach Maßgabe der eingereichten Planunterlagen und der näher angeführten Auflagen und Bedingungen erteilt, die Einwendungen des Beschwerdeführers wurden abgewiesen.
In seiner Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, die vom Bausachverständigen Ing. M. angegebene Länge der gemeinsamen Grundstücksgrenze zwischen dem Bauplatz und der seiner Nachbarparzelle von 46,4 m erstrecke sich über die Nordost-, wie auch die Nordgrenze. Diese Messung verkenne die Bestimmung des § 6 Abs. 6 TBO 2001, wonach gegenüber den angrenzenden Grundstücken zu jeder Seite hin (Hervorhebung im Original) mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von baulichen Anlagen freizubleiben habe. Die betroffene Nordostgrenze weise eine Länge von ca. 34 m auf, die Hälfte hievon betrage somit 17 m. Dass diese beinahe zur Gänze bereits verbaut werde, erhelle daraus, dass der Bausachverständige und ihm folgend die Erstbehörde irrtümlicherweise annehme, jener Teil der Grenze, welcher den Zusammenbau der beiden Häuser betreffe, habe bei der Berechnung des Hälfteanteiles außer Betracht zu bleiben. Diese Ansicht sei rechtsirrig. § 6 Abs. 6 TBO 2001 spreche lediglich von baulichen Anlagen und schränke sich diesbezüglich keineswegs auf solche im Sinne des § 6 Abs. 3 lit. a und b leg. cit. ein. Jener Teil der gemeinsamen Grundgrenze, der auf die beiden Häuser entfalle, sei somit einzurechnen.
Der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Marktgemeinde wies mit Bescheid vom 6. Februar 2003 die Berufung als unbegründet ab und führte aus, dass sich die gemeinsame Grenze zwischen den in Rede stehenden Grundstücken aus den vorgelegten Lageplänen zweifelsfrei mit 46,6 m herausmessen lasse, wie sie vom Bausachverständigen auch richtig gemessen worden sei. Demnach dürften 23,3 m der gemeinsamen Grenze mit baulichen Anlagen gemäß § 6 Abs. 3 lit. a und b TBO 2001 verbaut werden. Zu diesen Anlagen zählten die beantragten und bewilligten baulichen Anlagen, die zusammen 14,39 m lang seien, also wesentlich weniger als die Hälfte der gemeinsamen Grenze von 23,3 m und auch weniger als die Hälfte der vom Beschwerdeführer in der Berufung behaupteten Länge von ca. 34 m bzw. 17 m. Bei der Vorschrift des § 6 Abs. 5 leg. cit., wonach gegenüber den angrenzenden Grundstücken zu jeder Seite hin mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von baulichen Anlagen frei bleiben müsse, dürfe nur auf jene baulichen Anlagen abgestellt werden, die ausnahmsweise in Abstandsflächen errichtet werden dürften. Dies seien nur jene baulichen Anlagen gemäß § 6 Abs. 3 lit. a und b leg. cit. Dass auch jener Teil der gemeinsamen Grundgrenze einzurechnen sei, der den Zusammenbau der beiden Häuser an der Grundgrenze betreffe, wie dies der Beschwerdeführer vermeine, sei unzutreffend.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Vorstellung, die die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. Juli 2003 als unbegründet abwies. Nach Wiedergabe der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen führte sie aus, bereits aus dem Wortlaut des § 6 TBO 2001 werde ersichtlich, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers, auch jener Teil der gemeinsamen Grundgrenze, der auf die beiden Häuser entfalle, sei einzurechnen, keine gesetzliche Deckung finde. Diese Bestimmung verweise expressis verbis darauf, dass lediglich bauliche Anlagen nach Abs. 3 lit. a und b von dieser gesetzlichen Beschränkung umfasst seien. Auch das Vorbringen, die konkrete Bemessung nach Nordost- und Nordgrenze sei zu differenzieren, erweise sich als verfehlt. Auf Grund der vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. Februar 1989, Zl. 86/06/0263, geäußerten Rechtsansicht zur Auslegung der Worte "zu jeder Seite hin" sei grundsätzlich der gemeinsame Grenzverlauf der an mehreren Seiten angrenzenden Grundstücke zu ermitteln. Bei der Berechnung der Hälfte der gemeinsamen Grenze sei sohin vom gesamten Grenzverlauf und nicht vom Grenzverlauf zu jeder einzelnen Seite hin auszugehen. Nach der gutachterlichen Stellungnahme des Bausachverständigen Ing. M. ergebe sich zweifelsfrei, dass die gemeinsame Grundstücksgrenze zwischen dem Bauplatz des Bauwerbers und den Nachbarparzelle des Beschwerdeführers eine Länge von 46,6 m aufweise. Für die Berechnung der Verbauung relevante bauliche Anlagen nach § 6 Abs. 3 lit. a und b TBO 2001 seien der Pkw-Abstellplatz mit der zusätzlichen Überdachung im Süden des Bauplatzes und der Tankraum mit einem Teil des Abstellraumes im Norden des Wohnhauses. Der Pkw-Abstellplatz weise eine gesamte Länge von 9,5 m und jener Teil des Tank- und Abstellraumes, welcher nicht an das an der Grundstücksgrenze stehende Nachbargebäude angebaut sei, eine Länge von 3,24 m auf, sodass sich eine Gesamtlänge von baulichen Anlagen in den Abstandsflächen von 12,74 m ergebe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Die Mitbeteiligten haben sich - trotz Gelegenheit zur Stellungnahme - nicht am Verfahren beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren jedenfalls insoweit beschränkt, als ihm nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen.
Im Beschwerdefall ist die Tiroler Bauordnung 2001 (TBO 2001), LGBl. Nr. 94 (Wiederverlautbarung), in der Fassung LGBl. Nr. 89/2003 anzuwenden.
§ 25 Abs. 3 TBO 2001 lautet (auszugsweise):
"(3) Nachbarn, deren Grundstücke unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines Abstandes von 5 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen, sind berechtigt, die Nichteinhaltung folgender bau- und raumordnungsrechtlicher Vorschriften geltend zu machen, soweit diese auch ihrem Schutz dienen:
...
d) der Abstandsbestimmungen des § 6.
... ".
§ 6 TBO 2001 trifft nähere Bestimmungen über die Abstände baulicher Anlagen von den übrigen Grundstücksgrenzen und von anderen baulichen Anlagen; Abs. 3 und 6 lauten (auszugsweise):
"(3) Folgende bauliche Anlagen oder Bauteile dürfen in die Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m ragen oder innerhalb dieser errichtet werden:
a) oberirdische bauliche Anlagen, die ausschließlich dem Schutz von Sachen oder Tieren dienen und deren mittlere Wandhöhe bzw. Höhe auf der der Grundstücksgrenze zugekehrten Seite 2,80 m
... nicht übersteigt, wenn sie in den Mindestabstandsflächen keine
Rauchfang-, Abgasfang- oder Abluftgangmündungen aufweisen, einschließlich der Zufahrten; ...
b) oberirdische bauliche Anlagen, die dem Aufenthalt von Menschen dienen, wie Terrassen, Pergolen und dergleichen, wenn sie überwiegend offen sind, ...
...
(6) Die Mindestabstandsflächen von 3 bzw. 4 m dürfen insgesamt nur im Ausmaß von höchstens 15 v.H. der Fläche des Bauplatzes mit oberirdischen baulichen Anlagen im Sinne des Abs. 2 lit. a und Abs. 3 verbaut werden. Dabei bleiben bauliche Anlegen nach Abs. 3 lit. c und d sowie Pflasterungen und dergleichen unberücksichtigt. Oberirdische bauliche Anlagen nach Abs. 3 lit. a und b dürfen überdies nur in einem solchen Ausmaß errichtet werden, dass gegenüber den angrenzenden Grundstücken zu jeder Seite hin mindestens die Hälfte der gemeinsamen Grenze von baulichen Anlagen frei bleibt, außer der betroffene Nachbar stimmt einer weitergehenden Verbauung nachweislich zu. ..."
Im Beschwerdefall ist strittig, ob das an der 46,6 m langen gemeinsamen Grundstücksgrenze zwischen dem Bauplatzgrundstück und dem Grundstück des Beschwerdeführers befindliche Wohnhaus des Bauwerbers bei der Ermittlung des Ausmaßes der nach § 6 Abs. 6 zweiter Satz TBO 2001 zulässigen Verbauung der gemeinsamen Grenze einzubeziehen ist.
Dies wurde von der belangten Behörde unter Hinweis aus den Wortlaut des § 6 Abs. 6 dritter Satz TBO 2001 verneint.
Diese Rechtsansicht wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt:
Das Haus des Bauwerbers ist unstrittig unmittelbar an der Grundstücksgrenze errichtet und mit dem Wohnhaus des Beschwerdeführers in gekuppelter Bauweise verbunden. Unstrittig ist weiters, dass weder ein allgemeiner noch ein besonderer Bebauungsplan besteht, sodass diese Bauweise eine Ausnahme zu der im § 60 Abs. 1 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2001, LGBl. Nr. 93 - TROG 2001 vorgesehenen geschlossenen bzw. offenen Bauweise darstellt. Durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die Abs. 2 und 3 wird in § 6 Abs. 6 erster Satz TBO 2001 klargestellt, dass in den Mindestabstandsflächen nicht bauliche Anlagen jedweder Art bis zu einem Ausmaß von 15 v.H. der Bauplatzfläche errichtet werden dürfen, sondern nur die auf Grund dieser Bestimmungen dort an sich zulässigen Bauten. Ohne flächenmäßige Beschränkung zulässig sind die in Abs. 3 lit. c und d angeführten baulichen Anlagen. Die Regel in § 6 Abs. 6 dritter Satz leg. cit., dass gegenüber den Nachbargrundstücken zumindest die Hälfte der gemeinsamen Grundstücksgrenze von baulichen Anlagen frei bleiben muss, erfasst die geplante Errichtung von oberirdischen baulichen Anlagen nach Abs. 3 lit. a und b. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde bezieht sich jedoch die Wortfolge "von baulichen Anlagen frei bleibt" auf alle baulichen Anlagen, und nicht nur auf die in Abs. 3 lit. a und b genannten. Hätte die Bestimmung den von der belangten Behörde unterstellten Regelungsinhalt, hätte der Gesetzgeber etwa die Formulierung "von diesen baulichen Anlagen frei bleibt" gewählt.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 27. März 2007
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)