VwGH 2006/18/0117

VwGH2006/18/011718.5.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des I, geboren 1979, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 13. März 2006, Zl. St 34/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §61;
FrPolG 2005 §54 Abs1;
FrPolG 2005 §61;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 13. März 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei im April 2002 illegal nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, den er am 16. April 2004 zurückgezogen habe.

Am 29. November 2002 sei der Beschwerdeführer wegen des teils vollendeten und teils versuchten Vergehens nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 Suchtmittelgesetz (SMG) sowie wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, davon sieben Monate unter bedingter Strafnachsicht, rechtskräftig verurteilt worden.

Dieser Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis 30. November 2002 gewerbsmäßig insgesamt zumindest 15 Kugeln Heroin und Kokain an unbekannte Abnehmer verkauft habe und am 3. November 2002 drei Kugeln Kokain sowie zumindest drei weitere Kugeln "Heroin/Kokain" für den unmittelbar bevorstehenden Weiterverkauf an unbekannte Abnehmer bereitgehalten habe. Am 3. November 2002 habe er Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht, indem er Revierinspektor B., der im Begriff gestanden sei, eine Personenkontrolle durchzuführen, mit beiden Händen gegen den Oberkörper gestoßen und durch Ergreifen am Daumen die Hand verdreht habe. Durch diese Handlung, die bei Revierinspektor B. eine Schwellung am rechten Daumen bewirkt habe, habe er einen Beamten während bzw. wegen der Erfüllung seiner Aufgaben vorsätzlich am Körper verletzt.

Die - laut Beschwerde am 7. Dezember 2003 geschlossene - Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsangehörigen sei am 3. Oktober 2005 rechtskräftig geschieden worden.

Der Beschwerdeführer habe u.a. vorgebracht, dass ihm in Kenntnis seiner rechtskräftigen Verurteilung von der Behörde eine Niederlassungsbewilligung für den Zweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger" mit einer Gültigkeitsdauer bis 7. Dezember 2005 erteilt worden wäre. Er stünde seit 2003 in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis und würde monatlich EUR 900,-- verdienen. Er wäre sehr gut in Österreich integriert, würde ausgezeichnet Deutsch sprechen und hätte einen überwiegend aus Österreichern bestehenden Freundeskreis. Es wäre amtsbekannt, dass Ex-Gattinnen kein gutes Haar an ihren Männern lassen würden. Aus diesem Grund wäre aus der Aussage seiner Ex-Gattin keinesfalls abzuleiten, dass er die Ehe nur deshalb geschlossen hätte, um sich fremdenrechtliche Vorteile zu sichern. Auf Grund des seit den Straftaten verstrichenen Zeitraumes wäre die Erlassung eines fünfjährigen Aufenthaltsverbots nicht mehr gerechtfertigt.

Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt. Die Erlassung des Aufenthaltsverbots sei im Grund des § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, da sowohl das Suchtgiftdelikt des Beschwerdeführers als auch der versuchte Widerstand gegen die Staatsgewalt schwer zu gewichten seien. Aus diesen Gründen sei "auch von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG Gebrauch zu machen" gewesen. Eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots würde die öffentliche Ordnung schwer beeinträchtigen.

Der Beschwerdeführer halte sich erst seit dem Jahr 2002 in Österreich auf; seine Ehe sei bereits wieder geschieden. Es könne daher, auch wenn der Beschwerdeführer einer Erwerbstätigkeit nachgehe, noch nicht von einer Integration im Bundesgebiet gesprochen werden.

Ein rigoroses Vorgehen gegen Suchtgiftdelikte, insbesondere Suchtgifthandel, sei dringend geboten, um die immer größer werdenden Schäden und Folgen in der Gesellschaft, vor allem bei Jugendlichen, hintan zuhalten. Die mit Suchtgiften einhergehende Kriminalität stelle eine eklatante Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar. Die mit Suchtgiftmissbrauch regelmäßig verbundenen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Belastungen und Risken böten hinreichend Anlass zu konsequenter Wahrnehmung der verfügbaren Abwehrmechanismen. Bei Suchtgiftdelikten sei überdies die Wiederholungsgefahr besonders groß. Auch der Widerstand gegen die Staatsgewalt sei schwer zu gewichten.

Unter Abwägung all dieser Umstände sei für das Verhalten des Beschwerdeführers eine negative Prognose zu erstellen. Die Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots wögen wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Aufenthaltsverbot sei daher im Grund des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.

Der Hinweis des Beschwerdeführers, dass seine Verurteilung bereits bei der letzten Erteilung einer Niederlassungsbewilligung bekannt gewesen wäre, sei insofern nicht zielführend, als der Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt noch "begünstigter Drittstaatsangehöriger" gewesen sei. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbots wäre daher nur unter erschwerten Umständen möglich gewesen. Nunmehr sei der Beschwerdeführer jedoch nur mehr "einfacher Drittstaatsangehöriger".

Die Ausmittelung der Dauer des Aufenthaltsverbots durch die Erstbehörde könne nicht als rechtswidrig erkannt werden, zumal nach Ablauf von fünf Jahren erwartet werden könne, dass sich der Beschwerdeführer an die im Bundesgebiet geltendenden Normen halten werde. Überdies entspreche die fünfjährige Dauer in etwa der Tilgungsfrist der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zunächst sei Folgendes festgehalten:

Gemäß § 61 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn (Z. 2) eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 leg. cit. wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre.

Gemäß § 54 Abs. 1 FPG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn (Z. 1) nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegen gestanden wäre oder (Z. 2) der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegen steht.

Dies bedeutet, dass die Verhängung eines Aufenthaltsverbots auf Grund eines Sachverhalts, der die Versagung des dem Fremden zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gerechtfertigt hätte, nur zulässig ist, wenn dieser Sachverhalt erst nach Erteilung des Titels eingetreten oder der Behörde bekannt geworden ist.

Dem Beschwerdeführer wurde unstrittig nach seiner rechtskräftigen Verurteilung eine Niederlassungsbewilligung als Angehörigem seiner damaligen österreichischen Gattin erteilt. Die Ehe wurde mittlerweile am 3. Oktober 2005 rechtskräftig geschieden.

Die belangte Behörde hat die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbots - im Grund des § 61 Z. 2 iVm § 54 Abs. 1 FPG - damit begründet, dass im Zeitpunkt der Erteilung des Titels (auf Grundlage des damals in Geltung gestandenen Fremdengesetzes 1997) das Fehlverhalten des Beschwerdeführers auf Grund dessen Eigenschaft als begünstigter Angehöriger einer Österreicherin die Versagung nicht gerechtfertigt hätte.

Schon im Hinblick auf den Umstand, dass das Familienleben eines Fremden mit einem österreichischen Staatsangehörigen erhöhten Schutz genießt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2000, Zl. 98/19/0304, mwN) kann diese - in der Beschwerde nicht bekämpfte - Ansicht nicht als rechtswidrig erkannt werden. Da der Beschwerdeführer seit der Scheidung seiner Ehe kein Angehöriger einer Österreicherin mehr ist und die Sonderbestimmungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots (§ 86 FPG) auf ihn nicht mehr anwendbar sind, bildet das beschriebene Fehlverhalten nunmehr einen - insofern nachträglich eingetretenen - Versagungsgrund im Sinn von § 54 Abs. 1 FPG.

2. Im Hinblick auf die unstrittige rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten bestehen keine Bedenken gegen die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG verwirklicht sei.

3. Der Beschwerdeführer hat über einen nicht mehr feststellbaren Zeitraum bis 3. November 2002 zumindest 15 Kugeln Heroin und Kokain an unbekannte Abnehmer verkauft und am 3. November 2002 weitere sechs Kugeln Heroin bzw. Kokain zum Verkauf bereit gehalten. Dabei ging er in der Absicht vor, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Straftaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (gewerbsmäßig gemäß § 70 StGB). Die gewerbsmäßige Vorgangsweise und die wiederholte Tatbegehung zeigen, dass die Suchtgiftdelikten erfahrungsgemäß innewohnende Wiederholungsgefahr (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2003, Zl. 2003/18/0156) auch beim Beschwerdeführer gegeben ist. Auf Grund dieses Fehlverhaltens stellt der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers ungeachtet des seit der Straftat vergangenen Zeitraumes von etwa drei Jahren und vier Monaten eine erhebliche Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität dar.

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer einen Beamten mit Gewalt an der Durchführung einer Amtshandlung zu hindern versucht und dabei diesen Beamten vorsätzlich am Körper verletzt. Aus diesem Fehlverhalten resultiert eine nicht unerhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers.

Der Umstand, dass die vom Gericht hinsichtlich des bedingt nachgesehenen Strafteils bemessene Probezeit bereits abgelaufen ist, kann die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung öffentlicher Interessen nicht schmälern.

Die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme ist daher gerechtfertigt.

4.1. Zur Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG bringt der Beschwerdeführer vor, dass er "mittlerweile im österreichischen Bundesgebiet komplett integriert" sei, perfekt Deutsch spreche und seit über drei Jahren einer geregelten Beschäftigung nachgehe. Seit der Verurteilung seien nahezu vier Jahre vergangen. Er habe seinen Asylantrag nur auf Druck der Behörde erster Instanz zurückgezogen.

4.2. Die belangte Behörde hat bei der Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG zu Gunsten des Beschwerdeführers den Inlandsaufenthalt seit April 2002 sowie die Berufstätigkeit berücksichtigt. Im Hinblick auf die noch nicht lange Aufenthaltsdauer und das unstrittige Fehlen familiärer Bindungen im Bundesgebiet sind die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich auch dann nicht sehr ausgeprägt, wenn man zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er bereits seit 2003 beschäftigt ist und gut Deutsch spricht.

Diesen privaten Interessen steht die oben 3. dargestellte, aus dem Fehlverhalten des Beschwerdeführers resultierende große Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Von daher kann die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbots für die Dauer von fünf Jahren zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit, Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 leg. cit.), nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Hinzugefügt sei, dass die Frage, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer seinen Asylantrag zurückgezogen hat, für die Interessenabwägung gemäß § 66 FPG belanglos ist.

5. Entgegen dem Beschwerdevorbringen bestand keine Veranlassung für die belangten Behörde, im Rahmen des ihr gemäß § 60 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen, sind doch weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus der Beschwerde besondere Umstände ersichtlich, die für eine derartige Ermessensübung sprächen.

6. Ein Aufenthaltsverbot ist - unter Bedachtnahme auf § 63 Abs. 1 FPG - für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann (vgl. aus der auch hier maßgeblichen ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 39 Fremdengesetz 1997 etwa das Erkenntnis vom 26. November 2002, Zl. 2002/18/0225).

Der belangten Behörde kann nicht entgegen getreten werden, wenn sie in Anbetracht des aufgezeigten schwerwiegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers die Auffassung vertrat, dass ein Wegfall der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände nicht vor Verstreichen eines Zeitraumes von fünf Jahren erwartet werden könne, zumal der Beschwerdeführer seinerseits nicht aufzeigt, welche Umstände die belangte Behörde hätten veranlassen müssen, ein für einen kürzeren Zeitraum befristetes Aufenthaltsverbot zu erlassen.

7. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die geltend gemachte Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

8. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 18. Mai 2006

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