Normen
AsylG 1997 §15 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §15 Abs2 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §15;
AsylG 1997 §8 Abs4 idF 2003/I/101;
AVG §66 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §15 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §15 Abs2 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §15;
AsylG 1997 §8 Abs4 idF 2003/I/101;
AVG §66 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Die am 7. Juni 1998 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren beiden minderjährigen Kindern nach Österreich eingereiste Mitbeteiligte, eine irakische Staatsangehörige, stellte nach abweisender Erledigung des auf ihren Ehemann bezogenen Erstreckungsantrages am 22. März 2000 selbst einen Asylantrag.
Das Bundesaslamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 17. April 2000 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten in den Irak "derzeit" nicht zulässig sei. Mit Bescheid vom 20. Juni 2001 wies der unabhängige Bundesasylsenat die gegen die Abweisung im Asylteil erhobene Berufung der Mitbeteiligten ab und erteilte ihr "gemäß § 15 AsylG" eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 19. Juni 2001. In der Folge wurde diese Aufenthaltsberechtigung vom Bundesasylamt auf Antrag der Mitbeteiligten jeweils für den Zeitraum eines Jahres, zuletzt bis 19. Juni 2005, verlängert.
Am 25. Mai 2005 stellte die Mitbeteiligte den Antrag, die Aufenthaltsberechtigung "gem. § 15 AsylG um die längstmögliche Dauer" zu verlängern. Zur Begründung verwies die Mitbeteiligte auf die katastrophale allgemeine Sicherheitslage im Irak und das Fehlen einer "flächendeckenden" Grundversorgung der Bevölkerung. Darüber hinaus sei sie als Katholikin Angehörige einer im Irak besonders gefährdeten religiösen Minderheit, deren Lage sich seit dem Sturz des ehemaligen irakischen Regimes im Frühjahr 2003 dramatisch verschlechtert habe. Zur Situation der Christen im Irak verwies die Mitbeteiligte auf im Antrag wörtlich wiedergegebene, über häufige Anschläge und Übergriffe berichtende Ausführungen von UNHCR in der "Hintergrundinformation zur Gefährdung von Angehörigen religiöser Minderheiten im Irak" vom April 2005. Auch zur allgemeinen Sicherheits- und zur Versorgungslage bezog sich die Mitbeteiligte auf den im Antrag auszugsweise dargestellten Inhalt von UNHCR-Papieren ("Überarbeitete UNHCR-Position zum Schutzbedürfnis und zu Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Flüchtlinge", Oktober 2004, und "Herkunftsinformation - Irak, August 2004). Daraus folgerte die Mitbeteiligte, angesichts der "andauernd" instabilen Sicherheitslage und der höchst prekären Versorgungslage könne ihr eine Rückkehr in den Irak weiterhin nicht zugemutet werden.
Über diesen Antrag entschied das Bundesasylamt dahin, dass der Mitbeteiligten "die befristete Aufenthaltsberechtigung (...) gemäß § 8 Absatz 3 iVm § 15 Absatz 2 AsylG bis zum 30.05.2006 erteilt" werde. In der Begründung bezog sich das Bundesasylamt einleitend auf die erstmalige Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Juni 2000, erwähnte dann, am 25. Mai 2005 "brachte die Antragstellerin einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung beim Bundesasylamt ein" und führte - nach Wiedergabe des Inhalts der maßgeblichen Rechtsvorschriften - fallbezogen nur aus:
"Aufgrund der derzeitigen allgemeinen Lage im Irak ist die befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu verlängern gewesen.
Da alle Voraussetzungen für die Verlängerung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung vorliegen, war spruchgemäß zu entscheiden."
Gegen den (implizit) abweisenden Teil dieses Bescheides erhob die Mitbeteiligte Berufung mit dem Antrag, "eine befristete Aufenthaltsberechtigung gem. § 15 AsylG für mehr als 1 Jahr bzw. die längstmögliche (5 Jahre) Dauer zu erteilen." Die nähere Begründung wurde in einem von der Mitbeteiligten selbst in Arabisch verfassten, zehn Seiten umfassenden Schreiben vorgetragen.
Mit dem angefochten Bescheid der belangten Behörde wurde in Erledigung der Berufung "der bekämpfte Bescheid" (gemeint: im angefochtenen Umfang) behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Die belangte Behörde begründete dies damit, dass die Erstbehörde auf das Vorbringen der Mitbeteiligten nicht sachgerecht eingegangen sei. Gemäß § 15 Abs. 2 AsylG sei die befristete Aufenthaltsberechtigung für höchstens ein Jahr, nach der ersten Verlängerung für höchstens fünf Jahre zu bewilligen. Die Behörde habe daher eine Prognoseentscheidung zu treffen, bei der insbesondere zu berücksichtigen sei, wie lange jene Umstände bestehen werden, welche die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung erforderlich machen. Im vorliegenden Fall müsse daher vor allem die Frage beantwortet werden, wie lange die schlechte Sicherheitssituation im Irak bestehen werde. Diesbezüglich habe das Bundesasylamt aber weder die erforderlichen Ermittlungen durchgeführt noch Feststellungen getroffen. Da die Mitbeteiligte zum Ergebnis der Ermittlungen zu hören sei, wäre die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich anzusehen, wobei es unter dem Gesichtspunkt des § 66 Abs. 2 AVG unerheblich sei, ob eine Verhandlung oder Vernehmung erforderlich wäre. Zur Begründung der Ermessensübung verwies die belangte Behörde auf eine aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 2002, Zl. 2000/20/0084, zitierte Passage, wonach die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert werde, wenn es das Bundesasylamt ablehne, auf das Parteienvorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Im Übrigen wies die belangte Behörde darauf hin, dass eine Anreise der in Forchtenstein lebenden Mitbeteiligten zur Bundesasylamtsaußenstelle Eisenstadt jedenfalls kostengünstiger wäre als zur belangten Behörde nach Wien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
§ 8 Abs. 4 und § 15 Abs. 1 und 2 AsylG (in der gemäß § 44 Abs. 3 im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung der AsylG-Novelle 2003) lauten auszugsweise:
"Subsidiärer Schutz
§ 8 (...)
(4) Bei Wegfallen aller Umstände, die einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden nach Abs. 1 entgegenstehen, kann das Bundesasylamt von Amts wegen bescheidmäßig feststellen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden zulässig ist.
Befristete Aufenthaltsberechtigung
§ 15. (1) Die Verlängerung befristeter Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 3 sowie deren Widerruf obliegt dem Bundesasylamt.
(2) Die befristete Aufenthaltsberechtigung ist für höchstens ein Jahr und nach der ersten Verlängerung für höchstens fünf Jahre zu bewilligen. Die Aufenthaltsberechtigung behält bis zur Entscheidung über die Verlängerung durch das Bundesasylamt Gültigkeit. Wird von der Behörde gemäß § 8 Abs. 4 festgestellt, dass keine Umstände einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat entgegenstehen, so ist die befristete Aufenthaltsberechtigung in diesem Bescheid zu widerrufen. ..."
In der Amtsbeschwerde wird zunächst unter Bezugnahme auf § 15 Abs. 2 AsylG die Auffassung vertreten, es sei "ausdrücklich normiert, dass das Bundesasylamt zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag eine 'Status quo' Feststellung zur Situation im Heimatland" vorzunehmen habe. Entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht, habe das Bundesasylamt "keine Prognoseentscheidung für die Zukunft" zu treffen; es liege auch "außerhalb jeglicher Möglichkeiten", eine "derartige Lageeinschätzung für die Zukunft" vorzunehmen. Daraus folgerte die beschwerdeführende Innenministerin, es "lag beim erstinstanzlichen Bescheid kein mangelhafter Sachverhalt vor."
Dem kann nicht gefolgt werden. Zwar hat das Bundesasylamt bei der Beurteilung eines Antrages auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vor dem Hintergrund der Voraussetzungen nach § 8 Abs. 4 AsylG zunächst jedenfalls eine (aktuelle) Nonrefoulement-Prüfung vorzunehmen, wofür Ermittlungen in Bezug auf die derzeit gegebene Lage im Herkunftsstaat erforderlich sind. Für die Frage der Dauer, die im Gesetz nur durch Höchstgrenzen bestimmt ist, kommt es aber auch darauf an, wann sich die angenommenen, weiterhin einen Abschiebungsschutz rechtfertigenden Verhältnisse voraussichtlich ändern werden. Fehlen ausreichende Anhaltspunkte für eine insoweit maßgebliche Sachverhaltsänderung während eines bestimmten Zeitraumes, so wird die Aufenthaltsberechtigung - auch unter verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten - mit der zulässigen Höchstdauer zu befristen sein (vgl. in diesem Sinne auch Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997, 3. Ergänzung, Juni 2004, Seite 267).
Derartige Überlegungen setzen freilich nicht nur eine Beurteilung der aktuellen Verhältnisse im jeweiligen Herkunftsstaat an Hand einschlägiger Berichte, sondern auch darauf aufbauend eine - dem Bundesasylamt als Spezialbehörde auch zumutbare - prognostische Einschätzung über deren weitere absehbare Entwicklung voraus. Zum diesbezüglichen Begründungsaufwand für das Bundesasylamt kann keine allgemein gültige Aussage getroffen werden, weil das einerseits vom jeweiligen Herkunftsstaat und den dort gegebenen Verhältnissen, andererseits aber auch vom individuellen Parteienvorbringen und davon abhängt, inwieweit dem Antrag stattgegeben wird.
Davon ausgehend ist aber für den vorliegenden Fall dem von der belangten Behörde erhobenen Vorwurf einer Verletzung der gebotenen Ermittlungs- und Begründungspflicht durch die Erstbehörde zuzustimmen. Das Bundesasylamt hat sich nämlich weder mit dem ausreichend substanziierten und durch Berichte untermauerten Antragsvorbringen noch mit den notorischen Verhältnissen im Irak erkennbar befasst, sondern es hat - ohne die teilweise Antragsabweisung im Spruch zum Ausdruck zu bringen und ohne dafür eine nachvollziehbare Begründung zu geben - nur auf die "derzeitige allgemeine Lage" Bezug genommen. Die belangte Behörde ist daher zutreffend vom Vorliegen eines "mangelhaften Sachverhaltes" iSd § 66 Abs. 2 AVG ausgegangen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof aber wiederholt dargelegt hat, darf die Berufungsbehörde eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung "unvermeidlich erscheint", wobei es unerheblich ist, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. das Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315, mit weiteren Hinweisen). Einem zurückweisenden Bescheid im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG muss demnach auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20. April 2006, Zl. 2003/01/0285).
Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid - wie die Amtsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt - zunächst deshalb nicht, weil ihm nicht zu entnehmen ist, aus welchen Gründen die belangte Behörde von einer Sachentscheidung Abstand genommen hat. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, weshalb die belangte Behörde nicht auf Basis des bescheinigten Antragsvorbringens und vor dem Hintergrund der notorisch instabilen Verhältnisse im Irak zu einer - auch ohne Vernehmung der Mitbeteiligten zulässigen - antragsstattgebenden Entscheidung in der Lage war. Aber auch für den - von der belangten Behörde ohne Weiteres angenommenen - Fall, dass es ergänzender Ermittlungen bedürfte, wurde nicht dargelegt, weshalb insoweit die persönliche Anhörung der Mitbeteiligten erforderlich sei und nicht etwa mit der Einräumung einer schriftlichen Stellungnahmemöglichkeit zur Wahrung des Parteiengehörs das Auslangen gefunden werden könnte. Derartige Überlegungen hätten freilich aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Berufung vorausgesetzt. Eine dem Maßstab der erwähnten Judikatur gerecht werdende kassatorische Bescheidbehebung nach § 66 Abs. 2 AVG wäre für die belangte Behörde demnach in schlüssiger Weise überhaupt erst möglich gewesen, wenn sie eine Übersetzung der vorliegenden Berufung veranlasst hätte, was sie aber unterlassen hat.
Angesichts dessen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Bei diesem Ergebnis stellt sich die in der Amtsbeschwerde darüber hinaus - allerdings ohne Auseinandersetzung mit der dazu in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vertretenen gegenteiligen Auffassung (vgl. grundlegend die Erkenntnisse vom 21. November 2002, Zl. 2000/20/0084, und Zl. 2002/20/0315) - behandelte Frage nicht, ob die belangte Behörde eine allenfalls notwendige Vernehmung der Mitbeteiligten ungeachtet ihres Wohnsitzes in Forchtenstein selbst durchzuführen gehabt hätte.
Wien, am 17. Oktober 2006
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)