VwGH 2005/15/0126

VwGH2005/15/01262.3.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über die Beschwerde der S in T, vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in 3180 Lilienfeld, Babenbergerstraße 30/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 31. August 2005, GZ. RV/0535-W/05, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2003, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §303a Abs1;
BAO §303a Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
VwRallg;
BAO §303a Abs1;
BAO §303a Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, die im Streitjahr Geldleistungen von der Pensionsversicherungsanstalt erhielt, beantragte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für 2003 die Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen für ein Kind (bezeichnet durch die Versicherungsnummer); die Kostentragung erfolge zur Gänze durch sie. In der Rubrik "Angaben zur Behinderung" ließ sie die Frage nach dem Grad der Behinderung und dem Freibetrag für Diätverpflegung unbeantwortet. Sie bejahte hingegen den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe und pflegebedingter Geldleistungen von monatlich EUR 1.471,50 im gesamten Jahr.

Im Einkommensteuerbescheid 2003 wurde für außergewöhnliche Belastungen der Pauschbetrag nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen wegen der Behinderung eines Kindes mit EUR 0,00 angenommen. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Mit dem am 6. Dezember 2004 beim Finanzamt eingelangten Schreiben übermittelte die Beschwerdeführerin in der Anlage ein Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen vom 12. Juli 2004 sowie ein Schreiben des Präsidiums des Verfassungsgerichtshofes vom 16. November 2004. "Im Sinne dieser beiden Schreiben" beantrage sie Wiederaufnahme bzw. Geltendmachung ihrer Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Sinne der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Ihr sei Lohnsteuer von EUR 3.424,68 abgezogen und vom Bundessozialamt nur EUR 775,-- refundiert worden.

Mit Bescheid vom 14. Februar 2005 wies das Finanzamt das am 6. Dezember 2004 eingelangte Ansuchen betreffend Wiederaufnahme ab. In der Begründung wurde dazu ausgeführt, die Pensionsversicherungsanstalt habe von den Pensionsbezügen EUR 3.578,51 einbehalten. Bei Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung habe sich eine Gutschrift von EUR 364,02 unabhängig von der Refundierung durch das Bundessozialamt ergeben. Eine weitere Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen könne nicht erfolgen. Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt werde, seien durch Gewährung eines Freibetrages gemäß § 5 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996, ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten in Höhe von EUR 262,-- monatlich, vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen zu berücksichtigen. Der monatliche Freibetrag sei für jene Kalendermonate zu kürzen, für die Pflegegeld bezogen worden sei. Für jene Monate im Kalenderjahr, für die kein Pflegegeld bezogen worden sei, stehe der Freibetrag ungekürzt zu.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, sie betreue ihren schwer behinderten Sohn seit seiner Geburt praktisch rund um die Uhr. Es sei daher von einer wesentlichen Ersparnis der öffentlichen Hand auszugehen, weil keinerlei fremde Pflegegebühren anfielen. Sie trage im Gegensatz zu den meisten übrigen Mitbürgern außergewöhnliche Belastungen, welche auch steuerlich entsprechend zu würdigen seien. Ihre gesamte Lebenssituation habe sich praktisch nach den Bedürfnissen des behinderten Sohnes zu orientieren, ganz abgesehen von dem finanziellen Mehraufwand, den sie zu tragen habe. Nur die Krebskontrolle werde von der Gebietskrankenkasse bezahlt, für sämtliche übrigen medizinischen Sonderaufwendungen, wie Salben aus der Schweiz, pflanzliche bzw. homöopathische Präparate, habe sie selbst aufzukommen. Sie beantragte daher, der Berufung Folge zu geben und die geltend gemachten Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen und ihr auch die einbehaltene Lohnsteuer zu refundieren bzw. auszuzahlen. Hilfsweise wolle der bekämpfte Bescheid aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung und Überprüfung an die Erstbehörde zurückverwiesen werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung wurde nach einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, die am 6. Dezember 2004 eingelangte Eingabe enthalte zwar einen Antrag auf Wiederaufnahme. Ziel der Beschwerdeführerin sei aber erkennbar die Abänderung des für das Jahr 2003 ergangenen Einkommensteuerbescheides wegen der von ihr angenommenen rechtswidrigen Nichtberücksichtigung einer außergewöhnlichen Belastung. Auf welchen der beiden Verfahrenstitel sich die Beschwerdeführerin letztlich zu stützen beabsichtige, könne dahingestellt bleiben, weil weder einem Wiederaufnahmeantrag noch einem Aufhebungsantrag ein Erfolg beschieden sein könne. Die Beschwerdeführerin habe sich in der Eingabe auf die Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen und des Verfassungsgerichtshofes berufen und "im Sinne dieser beiden Schreiben" die Wiederaufnahme beantragt. Der Wiederaufnahmeantrag gründe sich daher auf die beiden genannten Schreiben. Einen tauglichen Wiederaufnahmsgrund habe sie damit aber nicht dargetan. Diesem Schreiben komme weder die Bedeutung neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel zu, noch könne darin eine nachträglich getroffene Vorfragenentscheidung erblickt werden, zumal sie der Beschwerdeführerin nur allgemeine Anregungen zur Geltendmachung der von ihr behaupteten Ansprüche gäben. Dass es die Beschwerdeführerin im abgeschlossenen Verfahren unterlassen hätte, über den Pauschalbetrag von EUR 262,-- bzw. über dem Pflegegeld liegende tatsächliche Kosten als außergewöhnliche Belastung geltend zu machen, lasse sich ihrem Vorbringen nicht entnehmen und würde zum anderen keine zu einer Wiederaufnahme berechtigende neu hervorgekommene Tatsache darstellen.

Gemäß § 299 Abs. 1 BAO könne die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen ihren Bescheid aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweise. Gemäß § 34 Abs. 6 dritter Teilstrich EStG 1988 könnten Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt werde, ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen übersteigen. Nach dem letzten Satz dieser Gesetzesstelle könne der Bundesminister für Finanzen mit Verordnung feststellen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag und ohne Anrechnung auf die pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen seien. Bei Ermittlung eines Abzugsbetrages für außergewöhnliche Belastungen seien von den Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte, erheblich behinderte Kinder pflegebedingte Geldleistungen abzuziehen. Das dem Kind der Beschwerdeführerin im Jahr 2003 gewährte Pflegegeld von monatlich EUR 1.471,50 habe den in der Verordnung (BGBl. Nr. 303/1996) angeführten Pauschbetrag von EUR 262,-- überstiegen. Die Beschwerdeführerin habe keine über diesen Betrag bzw. über den Betrag des erhaltenen Pflegegeldes hinausgehende Aufwendungen nachgewiesen. Die Beschwerdeführerin habe damit eine Rechtswidrigkeit des Einkommensteuerbescheides 2003 nicht aufgezeigt, sodass eine Aufhebung dieses Bescheides gemäß § 299 BAO nicht in Betracht komme.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Eingabe an das Finanzamt Wiederaufnahme bzw. Geltendmachung ihrer Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Sinne der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen "im Sinne" der beiden übermittelten Schreiben beantragt. Damit ist, wovon sowohl das Finanzamt als auch die belangte Behörde ausgehen, diese Eingabe als Antrag auf Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2003 aufzufassen. Ein solcher Antrag hat nach § 303a Abs. 1 BAO die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird (lit. a), die Bezeichnung der Umstände (§ 303 Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird (lit. b), die Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrages notwendig sind (lit. c) und bei einem auf § 303 Abs. 1 lit. b gestützten Antrag weiters Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden Verschuldens an der Nichtgeltendmachung im abgeschlossenen Verfahren notwendig sind, zu enthalten.

Die Eingabe der Beschwerdeführerin erfüllt diese gesetzlichen Voraussetzungen eines Antrages auf Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens nicht. Insbesonders enthält das Schreiben selbst keine Umstände (§ 303 Abs. 1 BAO), auf die der Antrag gestützt wird. Die Formulierung im Schreiben, "im Sinne dieser beiden Schreiben" bedeutet nicht, dass die von der Beschwerdeführerin übermittelten Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen und des Präsidiums des Verfassungsgerichtshofes an sich solche Umstände darstellen.

Gemäß § 303a Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde dem Antragsteller die Behebung inhaltlicher Mängel eines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Hinweis aufzutragen, dass der Antrag nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt. Diese (mit BGBl. I 1999/28 eingefügte, am 13. Jänner 1999 in Kraft getretene) Bestimmung bezweckt, Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht daran scheitern zu lassen, dass der Wiederaufnahmewerber die von der Rechtsprechung verlangten Inhaltserfordernisse im Wiederaufnahmeantrag nicht darstellt. Die Erlassung eines solchen Mängelbehebungsauftrages liegt nicht im Ermessen der Behörde. Die im § 303a Abs. 1 BAO geforderten Inhaltserfordernisse sollen der Behörde eine meritorische Entscheidung über den Antrag ermöglichen. Ergeht trotz solcher inhaltlicher Mängel vor deren Behebung eine meritorische Entscheidung, ist sie rechtswidrig (vgl. etwa das zu § 250 Abs. 1 BAO ergangene hg. Erkenntnis vom 14. September 1992, 91/15/0135).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II 2003/333.

Wien, am 2. März 2006

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