VwGH 2005/01/0247

VwGH2005/01/024721.3.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des GL in S, geboren 1972, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in 5110 Oberndorf, Kirchplatz 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. April 2005, Zl. 240.165/0-VIII/22/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §7;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt I.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus dem Kosovo stammender Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro, reiste gemäß seinen Angaben am 9. April 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme vom 28. Mai 2003 gab er zu seinen Fluchtgründen - zusammengefasst - an, der albanischen Volksgruppe anzugehören und den Kosovo verlassen zu haben, weil er bereits zweimal von maskierten Leuten überfallen worden sei. Sein Problem sei, dass er in einer "Mischehe" lebe, seine Ehegattin gehöre der Volksgruppe der Gorani an. Er habe auch immer wieder Schwierigkeiten mit der Polizei, weil sich aus seinem Führerschein ergebe, dass er in Belgrad geboren worden sei.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte weiters fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Serbien-Montenegro" gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde, soweit sie sich gegen die Entscheidung in der Asylfrage richtete, gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Im Übrigen gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers jedoch Folge und stellte "gemäß § 8 AsylG" fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien und Montenegro nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.). Schließlich erteilte sie dem Beschwerdeführer "gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 AsylG" eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25. April 2006 (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde stellte - nach Durchführung einer Berufungsverhandlung - fest, dass der Beschwerdeführer von seiner Geburt an bis 1977 in Belgrad gelebt habe. Ab 1977 habe er sich im Kosovo befunden, wo er vor dem Einmarsch der NATO-Truppen im Mai 1999 gemeinsam mit anderen jungen Männern "zufällig" von serbischen Truppen "mitgenommen" worden sei und in der Folge in der Gemeinde Dragash Schützengräben habe ausheben müssen. Nach 44 Tagen sei er freigelassen worden und habe in der Folge weder mit der lokalen noch der internationalen Verwaltung im Kosovo Probleme gehabt. Der Beschwerdeführer sei - so die belangte Behörde weiter - mit einer "Goranerin" verheiratet, weswegen er von seiner Familie "enterbt" worden sei und weshalb er in der Folge in Prizren, im Haus eines Bekannten, gelebt habe. In diesem Haus sei auf die Familie des Beschwerdeführers von drei Personen ein Anschlag verübt worden, wobei man dem Beschwerdeführer vorgeworfen habe, ein Kollaborateur zu sein und eine "Goranerin" geheiratet zu haben. Dabei sei der fünfjährige Sohn des Beschwerdeführers geohrfeigt worden, ein Vergewaltigungsversuch an seiner Ehegattin sei am Geschrei des Kindes gescheitert. Am 28. März 2003 seien wiederum drei Angreifer in das Haus des Beschwerdeführers eingedrungen und hätten die gesamte Familie misshandelt, wobei die Ehegattin zwei Zähne eingebüßt habe. Die Eindringlinge hätten gemeint, dass für den Beschwerdeführer "im Kosovo kein Platz" wäre und er mit seiner Familie "in seine Heimat Belgrad" zurückkehren solle. Für den Fall einer Anzeigeerstattung bei der Polizei sei ihm mit dem Tod gedroht worden. Der Beschwerdeführer habe sich danach an die KFOR gewendet, die ihn ihrerseits bezüglich einer Anzeigeerstattung an die Polizei weiterverwiesen habe; der Beschwerdeführer habe aber mangels Vertrauen in die Polizei die Erstattung einer Anzeige unterlassen und sei mit seiner Familie geflüchtet.

Im Rahmen ihrer Darstellung der "aktuellen Situation im Kosovo" zitierte die belangte Behörde aus der "UNHCR-Position zur Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo" vom 30. März 2004. Im Besonderen hielt sie daraus Folgendes fest:

"Bei der Beurteilung von Asylanträgen von Kosovo-Albanern sollte in die Überlegungen miteinbezogen werden, dass es bestimmte Gruppen von Kosovo-Albanern gibt, die bei einer Rückkehr zum derzeitigen Zeitpunkt besonders schweren Sicherheitsrisiken ausgesetzt sein könnten, welche sich auch in einer Bedrohung ihrer körperlichen Unversehrtheit äußern können. Dazu zählen Kosovo-Albaner, die aus Gebieten stammen, in denen sie eine ethnische Minderheit darstellen, Kosovo-Albaner, die in bi-ethnischen Ehen leben, sowie Personen gemischter ethnischer Herkunft und Kosovo-Albaner, die mit dem serbischen Regime nach 1990 in Verbindung gebracht werden."

In rechtlicher Hinsicht argumentierte die belangte Behörde auszugsweise wie folgt (Berufungswerber = Beschwerdeführer):

"Dem Vorbringen des Berufungswerbers bezüglich des ersten Attentates durch drei nicht näher bezeichnete Personen wegen der vorgeworfenen Kollaboration mit den Serben sowie dem zweiten Attentat im März 2003 ist entgegenzuhalten, dass der Berufungswerber die Möglichkeit hatte, die Straftaten bei den Sicherheitsbehörden anzuzeigen. Er hat selbst ausgesagt, dass er bei der KFOR war, die ihn an die Polizei verwiesen hat. Weil der Berufungswerber der Polizei nicht vertraut hat, unterließ er eine Anzeigeerstattung.

Außer diesem einen (ersten) Attentat brachte der Berufungswerber keine Verfolgung im Zusammenhang mit einer Kollaboration vor.

Im Übrigen waren die vom Asylwerber vorgebrachten Umstände zur Kollaboration recht vage (Mutmaßungen bezüglich der Beleidigungen, Beibehalten der Uniform nach der Freilassung (zu ergänzen: nachdem der Beschwerdeführer im Mai 1999 von serbischen Soldaten gezwungen worden war, für sie Hilfstätigkeiten zu verrichten), wo ihn viele Albaner gesehen haben), sodass sich hierauf keine asylrelevante Verfolgungsgefahr stützen lässt, zumal die Ereignisse bereits sechs Jahre zurückliegen und es somit an einer aktuellen Gefährdung mangelt. ...

Das Vorbringen des Berufungswerbers zu beiden Attentaten stellt eine Verfolgung durch Privatpersonen dar, was nur unter der Prämisse der Duldung bzw. dem Unvermögen staatlicher Behörden, bei Kenntnis so einer privaten Verfolgung entsprechenden Schutz zu gewähren, einen Fluchtgrund im Sinne der GFK darstellt. Im konkreten Fall hat der Berufungswerber seine Heimat verlassen, ohne überhaupt den Versuch der Inanspruchnahme einer behördlichen Hilfe getätigt zu haben, indem er angab, die Überfälle nicht zur Anzeige gebracht zu haben.

Dass die Sicherheitsbehörden im Kosovo gänzlich schutzunfähig oder schutzunwillig wären bzw. der Berufungswerber aus diesem Grunde auch nur mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im gesamten Staatsgebiet mit Schutzverweigerung bzw. mangelnder Schutzgewährung aufgrund der Ineffizienz der staatlichen Sicherheitsbehörden zu rechnen hätte, ergibt sich weder aus den vorliegenden aktuellen Länderberichten noch hat der Berufungswerber das vorgebracht. ...

Aus dem Fluchtgrund betreffend der Heirat mit einer Goranerin lässt sich aufgrund des festgestellten Sachverhaltes keine asylrelevante Verfolgung ableiten. Dass die damit möglicherweise zusammenhängenden Beleidigungen keine Verfolgung darstellen, wurde bereits erwähnt. Zum ersten Attentat wird ebenfalls auf die oben genannten Ausführungen verwiesen.

Aus dem Vorbringen des Berufungswerbers zum zweiten Attentat war die Zugehörigkeit seiner Frau zur Minderheit der Goraner nicht der Grund für selbiges, sondern seine Herkunft aus Belgrad, da die Angreifer meinten, für ihn und seine Frau wäre in der von Albanern bewohnten Gegend kein Platz, weshalb sie in ihre Heimat Belgrad zurückkehren müssten.

Eine Verfolgung oder schwere Diskriminierung des Berufungswerbers wegen seiner Herkunft aus Belgrad ist aber aufgrund des Gutachtens des renommierten länderkundlichen Sachverständigen Stephan Müller vom 20.01.2005 zu verneinen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es dem Berufungswerber nicht gelungen ist, den Voraussetzungen der GFK gerecht zu werden, sodass daher der Asylantrag des Berufungswerbers abzuweisen war."

Zur Entscheidung nach § 8 AsylG verwies die belangte Behörde auf das von ihr wiedergegebene UNHCR-Positionspapier, wonach Kosovo-Albaner, die in ethnisch gemischten Ehen lebten, bei einer Rückkehr in den Kosovo ernsthafte Sicherheitsprobleme erleiden könnten. Da die Ehegattin des Beschwerdeführers eine "Goranerin" sei, könne eine Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinn des § 57 FrG im Kosovo nicht mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Zusammenfassend sei daher festzuhalten, dass beim Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Kosovo die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK bestünde, weshalb ihm Refoulement-Schutz zu gewähren gewesen sei.

Über die erkennbar nur gegen die Abweisung des Asylantrages erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die belangte Behörde gewährte dem Beschwerdeführer Refoulement-Schutz, weil er als Ehegatte einer Angehörigen der goranischen Volksgruppe in einer gemischt ethnischen Ehe lebe und demzufolge gemäß der einschlägigen UNHCR-Position bei einer Rückkehr in den Kosovo ernsthafte Sicherheitsprobleme erleiden könnte; eine Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinn des § 57 FrG im Kosovo könne nicht mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Geht man von der Richtigkeit dieser Überlegung aus, hätte dem Beschwerdeführer allerdings auch Asyl zuerkannt werden müssen, kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass die konstatierte ernsthafte Bedrohung seiner Person auf einem Konventionsgrund (Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) beruht.

Fallbezogen hat sich die von der belangten Behörde - wenn auch nur im Rahmen der Entscheidung nach § 8 AsylG - eingeräumte Gefährdung des Beschwerdeführers bereits insoweit verwirklicht, als er (gemeinsam mit seiner Familie) Ziel zweier Überfälle geworden ist, die gemäß seinen unbestrittenen Behauptungen mit erheblichen Misshandlungen (ua. wurden seiner Frau zwei Zähne ausgeschlagen) verbunden waren. Dass gemäß den im bekämpften Bescheid getroffenen Feststellungen nur im Zuge des ersten Überfalls auf die goranische Abstammung der Ehegattin des Beschwerdeführers Bezug genommen worden ist, ändert entgegen der Ansicht der belangten Behörde nichts daran, dass auch der zweite Vorfall eine asylrechtlich relevante Komponente aufweist, und zwar schon deshalb, weil er seitens der Angreifer ausdrücklich mit der Herkunft des Beschwerdeführers aus Belgrad begründet worden war. Von daher kann aber auch - anders als die belangte Behörde vermeint - nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer habe wegen seiner Herkunft aus Belgrad keine Verfolgung oder Diskriminierung zu befürchten. Wenn im bekämpften Bescheid bezüglich dieser Einschätzung auf ein - nicht näher dargestelltes - Gutachten eines länderkundlichen Sachverständigen verwiesen wird, so hat sich nach den Feststellungen der belangten Behörde im konkreten Fall des Beschwerdeführers, auf den sich das erwähnte Gutachten im Übrigen nicht bezogen hat, eben das Gegenteil erwiesen. Dass es aber allein auf das konkrete Schicksal des Beschwerdeführers und nicht auf sonst übliche Gegebenheiten ankommt, bedarf keiner näheren Erörterung. Davon abgesehen ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer eine Reihe von risikobegründenden Faktoren ins Treffen geführt hat, sodass es insgesamt einer globalen Bewertung aller dieser Umstände in ihrer Gesamtheit bedurft hätte. Die getrennte Beurteilung einzelner Aspekte ohne Rücksichtnahme auf andere Gesichtspunkte der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers entspricht, wie in der Beschwerde richtig aufgezeigt wird, nicht dem Gesetz (vgl. zur Unzulässigkeit einer derartigen "isolierten Betrachtungsweise" etwa das hg. Erkenntnis vom 6. März 2001, Zl. 2000/01/0056).

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers in der Asylfrage auch damit begründet, dass er von den Sicherheitsbehörden im Kosovo ausreichenden Schutz hätte erhalten können. Diese Überlegung ist freilich mit der Entscheidung nach § 8 AsylG bzw. mit der dieser Entscheidung zu Grunde liegenden UNHCR-Position nicht kompatibel, weshalb sich dieser Ansatz - ohne dass auf Einzelheiten eingegangen werden müsste - gleichfalls als verfehlt erweist. Insgesamt ergibt sich damit, dass die Asylentscheidung keinen Bestand haben kann und der bekämpfte Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 21. März 2006

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