VwGH 2004/01/0308

VwGH2004/01/030820.9.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 27. April 2004, Zl. UVS- 02/V/43/7406/2001/6, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und Verletzung von Richtlinien (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AVG §79a Abs7;
SPG 1991 §89 Abs5;
SPG RichtlinienV 1993;
VwGG §52 Abs1;
VwGG §53 Abs1;
AVG §79a Abs7;
SPG 1991 §89 Abs5;
SPG RichtlinienV 1993;
VwGG §52 Abs1;
VwGG §53 Abs1;

 

Spruch:

I. den Beschluss gefasst:

Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit sie sich auf den

2. Spruchpunkt (betreffend die behauptete Personendurchsuchung des Beschwerdeführers) und den 5. Spruchpunkt (betreffend Kostenersatzanspruch des Bundes gemäß § 79a AVG) des angefochtenen Bescheides bezieht, abgelehnt.

II. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid, der in seinem 3. und 4. Spruchpunkt unbekämpft geblieben ist, wird in seinem

1. Spruchpunkt (betreffend die behauptete Fesselung des Beschwerdeführers) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in seinem 6. und 7. Spruchpunkt (betreffend Kostenersatzanspruch des Beschwerdeführers gemäß § 79a AVG) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2003, Zl. 2001/01/0311, verwiesen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen (Ersatz-)Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 27. April 2004 wurde über die Beschwerde des Beschwerdeführers wegen behaupteter Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sowie wegen behaupteter Verletzung von Richtlinien wie folgt entschieden:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde nicht die Verletzung bestimmter Rechte festzustellen, sondern schlichtweg über die Rechtmäßigkeit der zu beurteilenden Verwaltungsakte an sich abzusprechen gehabt hätte (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 2003/01/0502, aber auch das in der vorliegenden Sache ergangene Vorerkenntnis vom 7. Oktober 2003, Zl. 2001/01/0311, jeweils mwN).

1. Zum 1. Spruchpunkt (behauptete Fesselung):

Die Beschwerde bringt hiezu vor, die vorgenommene Beweiswürdigung vermöge die Feststellung, der Beschwerdeführer sei nicht gefesselt worden, nicht zu tragen. Vielmehr habe der des Englischen nicht mächtige Beschwerdeführer die Aufforderung der eingeschrittenen Beamten "don't move" nicht verstanden, sondern geglaubt, er sei zum Verlassen seines Bettes aufgefordert worden. Er habe sich von seinem Bett erhoben und es sei diese Handlung als Anlass zur Fesselung aufgefasst worden, weshalb dem Beschwerdeführer Handfesseln angelegt worden seien. Eine Fesselung, die nur deshalb erfolgt sei, weil der Beschwerdeführer sich von seinem Bett erhoben und dabei sichtlich unter dem bewusst schockierenden Eindruck eines "Wega-Eindringteams" gestanden habe, stelle jedenfalls eine überschießende Maßnahme dar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die von der belangten Behörde im (Erst-)Bescheid vom 27. Februar 2001 vorgenommene Beweiswürdigung als nicht schlüssig angesehen, weil der wesentliche Widerspruch der Aussage des Beamten F. (nach der einer Person Handschellen angelegt worden seien, weil diese entgegen der Aufforderung "don't move" trotzdem aufgestanden sei) gegenüber der Hypothese der belangten Behörde (nach welcher der mitverdächtige Mitbewohner Z. gefesselt worden sei, über dessen Identität sich die Beamten von vornherein im Klaren gewesen seien) keiner Erklärung zugeführt worden sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2003, Zl. 2001/01/0311, Punkt 2.1.).

Im angefochtenen Bescheid gesteht die belangte Behörde zu, die Hypothese, wonach das Anlegen der Handschellen gegenüber dem Mitbewohner des Beschwerdeführers nach Feststellung von dessen Identität erfolgt sei, sei unschlüssig, da nach dem festgestellten Sachverhalt diese Identitätsfeststellung erst nach Herstellung der Sicherheit durch die Wega-Beamten von Seiten der Kriminalbeamten und daher erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt sei. Sie stützt die Feststellung, dem Beschwerdeführer seien keine Handfesseln angelegt worden, nunmehr auf den Umstand, dass seitens der Beamten beim Beschwerdeführer kein Widerstand festgestellt worden sei und das Anlegen der Handschellen schon aus diesem Grunde nicht notwendig gewesen sei. Die belangte Behörde hat in ihrer nunmehrigen Beweiswürdigung in diesem Punkt die Aussage der drei eingesetzten Wega-Beamten G., B. und F. zu Grunde gelegt und diese einander gegenüber gestellt. Dabei ist die Behörde der Aussage des G. gefolgt, der ihrer Auffassung nach "die detailliertesten Erinnerungen" gehabt habe, wohingegen F. nur mehr eine sehr geringe Erinnerung an die gegenständliche Amtshandlung gehabt habe.

Diese Würdigung berücksichtigt jedoch nicht, dass jener Teil der Aussage des F. (wiedergegeben auf S 33 des angefochtenen Bescheides), der den Ablauf der Fesselung beschreibt, durchaus konkret und nachvollziehbar ist (so nennt diese Aussage den Wortlaut der Aufforderung, die Person, von welcher die Aufforderung gekommen war, die Reaktion der zwei Zimmerbewohner auf die Aufforderung, die anschließende Fesselung und Entfernung der Handfesseln). Hinzu kommt, dass B. (welcher nach Aussage des F. diese Aufforderung ausgesprochen haben solle) in seiner Aussage (wiedergegeben auf S 27 des angefochtenen Bescheides) bestätigt, dass derartige Aufforderungen "generell so gehandhabt" würden. Insbesondere wird aber der von F. geschilderte Geschehensablauf in der Gegenschrift der Bundespolizeidirektion Wien an die belangte Behörde vom 29. Juni 2000 im Wesentlichen deckungsgleich wieder gegeben und darüber hinaus angegeben, dass der Beschwerdeführer gefesselt worden sei. Mit diesem Beweismittel hat sich die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung nicht beschäftigt.

Insoweit hat die belangte Behörde bei ihrer Beweiswürdigung nicht alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt (vgl. hiezu auch die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), 685, angeführte hg. Rechtsprechung) und aus diesem Grund den 1. Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

2. Zum 6. und 7. Spruchpunkt (Kostenersatzanspruch des Beschwerdeführers gemäß § 79a AVG):

Zunächst ist im Hinblick auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen festzuhalten, dass die belangte Behörde gemäß § 2 Abs. 2 der UVS-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 334, zur Berechnung der Kosten zu Recht die sich aus dieser Verordnung ergebenden Pauschbeträge herangezogen hat.

Die Beschwerde rügt weiters, dem Beschwerdeführer wäre der Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand nicht nur zweifach, sondern dreifach zuzuerkennen gewesen, da es sich bei der Geltendmachung der beiden Richtlinienverletzungen nach § 6 Abs. 1 Z 2 RLV bzw. § 8 Abs. 1 RLV um zwei getrennte Beschwerdepunkte gehandelt habe.

Nach hg. Rechtsprechung kommt es ausgehend von § 79a Abs. 7 AVG iVm § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 1 VwGG bezüglich des Ersatzanspruches des Beschwerdeführers darauf an, wie viele Verwaltungsakte er vor der belangten Behörde erfolgreich angefochten hat. Bei der Ermittlung der Anzahl der Verwaltungsakte kann allerdings nicht allein darauf abgestellt werden, wie die zu Grunde liegende Beschwerde strukturiert ist und wie viele Einzelakte sie im Rahmen des bekämpften Amtshandelns zu erkennen vermeint. Wesentlich sind vielmehr die behördlichen Feststellungen über das angefochtene Verwaltungsgeschehen, an Hand derer zu beurteilen ist, wie viele sachlich und zeitlich trenn- und unterscheidbare Akte, die einer isolierten Betrachtung zugänglich sind, vorliegen, wobei für diese Beurteilung auch der jeweils verfolgte Zweck der Amtshandlung(en) und die in Frage kommenden Rechtsverletzungen eine Rolle spielen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. April 2005, Zl. 2004/01/0277, mwN).

Diese Rechtsprechung ist auf den Ersatzanspruch gemäß § 89 Abs. 5 SPG iVm § 79a AVG in Verfahren wegen Verletzung von Richtlinien zu übertragen, sodass es nach dem oben angeführten Maßstab darauf ankommt, wie viele Richtlinienverletzungen erfolgreich angefochten wurden.

Im vorliegenden Fall sind "die in Beschwerde gezogenen Unterlassungen" durch die Nichtinformation über den Zweck einer Amtshandlung nach § 6 Abs. 1 Z 2 RLV sowie durch die Nichtinformation über das Recht auf Beiziehung einer Vertrauensperson bzw. eines Rechtsvertreters nach § 8 Abs. 1 RLV Gegenstand des Abspruches des - insoweit nicht angefochtenen - Spruchpunkt 4. des angefochtenen Bescheides. Dabei handelt es sich um zwei durch die RLV getrennt normierte Informationspflichten, deren Verletzung von der belangten Behörde auch zu Recht jeweils getrennt festgestellt wurde.

Aus diesem Grund erweist sich die Auffassung der belangten Behörde, diese Unterlassungen seien als ein Beschwerdepunkt anzusehen und dem Beschwerdeführer sei im 7. Spruchpunkt nur der einfache Kostenersatz zuzusprechen gewesen, als inhaltlich rechtswidrig.

Der Beschwerdeführer ist aber auch hinsichtlich seiner Rüge, ihm wären gemäß § 79a Abs. 4 Z 1 AVG die im Kostenverzeichnis beantragten Stempelgebühren zu ersetzen gewesen, im Recht (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 2001, Zl. 2000/01/0019), sodass aus diesem Grund - ohne auf die Frage des Ersatzes der Dolmetschkosten einzugehen - auch der 6. Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet ist.

3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid, der in seinem 3. und 4. Spruchpunkt unbekämpft geblieben ist, in seinem

1. Spruchpunkt (betreffend die behauptete Fesselung des Beschwerdeführers) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG und in seinem 6. und 7. Spruchpunkt (betreffend Kostenersatzanspruch des Beschwerdeführers gemäß § 79a AVG) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 20. September 2006

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