VwGH 2004/01/0067

VwGH2004/01/006720.9.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde der D, vertreten durch Dr. Christian Moser, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Neutorgasse 24/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. November 2003, Zl. 233.910/0-V/13/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §27 Abs3 ;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §27 Abs3 ;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 9. April 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 10. April 2002 Asyl.

Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 5. September 2002 begründete die Beschwerdeführerin ihren Asylantrag damit, sie werde "wegen dem Sharia-Recht" in Nigeria gesucht; sie sei am 1. November 2001 auf dem Weg zur Arbeit "von ein paar unbekannten Männern vergewaltigt worden". Da die Frage, ob diese Vergewaltigung "unmittelbar mit ihren Fluchtgründen zu tun" habe, von der Beschwerdeführerin bejaht wurde, brach der männliche Leiter der Amtshandlung die weitere Vernehmung ab; die Vernehmung wurde am nächsten Tag von einer weiblichen Organwalterin mit der Beschwerdeführerin fortgesetzt. Sie (die Beschwerdeführerin) gab fortgesetzt vernommen an, die Täter der Vergewaltigung seien geflüchtet; im Jänner (2002) habe sie bemerkt, dass sie schwanger sei. Als der Vater ihrer Söhne (Zwillinge, die sie am 31. Dezember 1995 zur Welt gebracht habe) von ihrer Schwangerschaft erfahren habe, habe er sie Ende Jänner 2002 "vor das Sharia-Gericht gebracht". Von diesem Sharia-Gericht sei sie am 13. Februar 2002 zum Tod ("totschlagen") verurteilt worden; sie habe jedoch am 14. Februar 2002 (aus dem Gerichtsgebäude bzw. aus der Haft) flüchten können.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 10. Dezember 2002 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es schenkt den Angaben der Beschwerdeführerin, dass sie in Nigeria einer Verfolgung ausgesetzt sein könnte, keinen Glauben.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. November 2003 wies die belangte Behörde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung -

die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den genannten Bescheid des Bundesasylamtes "gemäß §§ 7, 8 AsylG" ab.

Nach der Begründung des Bescheides würdigte die belangte Behörde die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen als unglaubwürdig. Sie habe schon zum "Kern ihres Asylvorbringens (i.e. Vergewaltigung auf offener Straße)" kein einheitliches Bild der genauen Umstände vermitteln können; des Weiteren bestünden auch die - näher dargestellten - Divergenzen bzw. Diskrepanzen in ihren Angaben. Gegen die Glaubwürdigkeit ihres Asylvorbringens spreche auch, dass die Beschwerdeführerin "gänzlich unfähig war, ein detailliertes, umfassendes und durch persönliche Momente angereichertes Bild ihrer 'Lebensgeschichte' zu bieten und sie überdies auch noch in zentralen Punkten sich in Widersprüche verwickelte". Von der Beschwerdeführerin wäre aber - so die Begründung des angefochtenen Bescheides - zu erwarten gewesen, dass "sie einen Einblick in die detaillierten einzelnen Handlungsabläufe liefert; sohin zu den sie selbst betreffenden Passagen ihres Vorbringens eine gewisse 'Erlebnissicht' - unter Darstellung von Interaktionen, Emotionen etc. bietet und sich nicht nur rudimentären und leeren Floskeln bei der Darstellung ihrer Fluchtgründe ergeht".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im vorliegenden Fall gründet sich die Furcht der Beschwerdeführerin vor Verfolgung - wie dies bereits vor dem Bundesasylamt eindeutig zutage getreten ist - auf die Entscheidung eines Sharia-Gerichtes, das - nach den Angaben der Beschwerdeführerin - über einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung der Beschwerdeführerin urteilte.

Wie das Bundesasylamt zutreffend beachtete, ergab sich gemäß § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG - in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle 2003 - die Notwendigkeit, die Beschwerdeführerin durch eine Person weiblichen Geschlechts einzuvernehmen.

Die belangte Behörde ging - nach der Begründung des angefochtenen Bescheides - zwar gleichfalls davon aus, die Vergewaltigung auf offener Straße bilde den behaupteten "Kern des Asylvorbringens", die Befragung (auch) hinsichtlich des behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung der Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung am 13. November 2003 wurde jedoch durch einen männlichen Verhandlungsleiter durchgeführt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof dargelegt hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. Dezember 2003, Zl. 2001/01/0402 und vom 25. Mai 2004, Zl. 2003/01/0093), hatte die belangte Behörde im Berufungsverfahren (auch) die Bestimmung des § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG zu beachten. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird in dieser Hinsicht auf die Begründung der genannten hg. Erkenntnisse verwiesen.

Der mit der vorliegenden Rechtssache betraute männliche Organwalter der belangten Behörde konnte diesem genannten Erfordernis nicht Rechnung tragen.

Nach dem Vorgesagten ist der angefochtene Bescheid - wie dies in der Beschwerde zutreffend geltend gemacht wurde - mit wesentlichen Verfahrensmängeln behaftet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 20. September 2006

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